Verteidiger fordern Freispruch

Am Montag wurden vor dem Landgericht Wiesbaden die Plädoyers der Angeklagten im Ruzicka-Prozess fortgesetzt. Die Verteidiger von Aleksander Ruzicka forderten Freispruch. Da keine Vermögensveränderung bei Aegis Media stattgefunden habe, könne auch kein Vermögensnachteil vorliegen. Die Verteidiger Marcus Traut und Eva Schrödel argumentierten, dass die Tatmerkmale der Untreue nicht vorliegen. Die Anklage gehe daher ins Leere. Die Schuld von Aleksander Ruzicka könne nicht zweifelsfrei bewiesen werden, weshalb er freizusprechen und der Haftbefehl gegen ihn aufzuheben ist.

Aleksander Ruzicka soll nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Wiesbaden in 76 Fällen eine Gesamtsumme von 49 Millionen Euro veruntreut haben. Sein ehemaliger Arbeitgeber Aegis Media behauptet, diesen Schaden durch ihren damaligen CEO Aleksander Ruzicka erlitten zu haben. Staatsanwalt Wolf Jördens hatte wegen schwerer Untreue 13 Jahre und 6 Monate Haft für Ruzicka gefordert. Ruzickas Verteidiger Marcus Traut mahnte zunächst das Gericht, sich nicht von dem geforderten Strafmaß beeinflussen zu lassen. Besonders wenn es abwegig und unrealistisch sei, wie in diesem Fall, so Traut. Das Strafmaß habe nicht zwingend etwas mit der Höhe eines angeblichen Schadens zu tun. So gebe es andere Prozesse mit tatsächlichen Schäden in Milliardenhöhe, in denen Angeklagte zu acht Jahren Haft verurteilt wurden. In einem weiteren Prozess sei ein Schaden von 90 Millionen Euro verhandelt worden. Es wurde eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten Haft verhängt, argumentierte Traut.

Traut sagte, dass die Tatmerkmale der Untreue nicht erfüllt seien. Diese setzen nicht nur eine pflichtwidrige Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht voraus. Wesentlich sei ein konkret entstandener Schaden. In diesem Fall, so Traut, habe keine Veränderung des Vermögens von Aegis Media stattgefunden. Daher könne auch kein Vermögensnachteil vorliegen. Dass Rechnungen ohne erbrachte Leistungen bezahlt wurden, sei noch keine Untreue. So schlicht sei das nicht, argumentierte Traut. Für jede einzelne Zahlung an Emerson FF habe es schriftliche Anweisungen der Kunden gegeben. Wie der Zeuge und heutige CEO von Aegis Media, Andreas Bölte, ausgesagt habe, lägen diese Aufträge über Sonder-Deals für den Einsatz von Freispots vor, so Traut. Diese hätten keine andere Entscheidung über die Verwendung der Gelder zugelassen. Was auch erklären würde, warum bei Aegis Media auch nach der als anonym getarnten Anzeige vom 5. Juli 2005 weitere 20 Millionen Euro zu Emerson FF gezahlt wurden. Zudem habe Aegis Media aus den Freispot-Deals über Emerson FF Mehreinnahmen durch Honorare im Gesamtwert von 1,2 Millionen Euro erzielt. Es könne demnach weder eine Rede von einem Schaden noch von entgangenen Gewinnmöglichkeiten sein, argumentierte Traut.

Marcus Traut ging auch auf die skurrilen Umstände der Anzeige ein, die zu diesem Prozess geführt hat. Der Urheber dieser Anzeige sei erst kurz vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt geworden, obwohl die Staatsanwälte wussten, wer sich als Anonymus getarnt hatte. Die als anonym getarnte Strafanzeige sei von demjenigen verfasst worden, der heute auf dem Stuhl von Aleksander Ruzicka sitzt, so Traut. Der damalige Finanzchef und heutige CEO von Aegis Media, Andreas Bölte, hätte kein ernsthaftes Interesse daran gehabt, einen vermeintlichen Schaden von Aegis Media abzuwenden. Es sei ihm zuerst um seinen persönlichen Vorteil gegangen, weshalb er als Finanzchef von Aegis Media nach der Anzeige eineinhalb Jahre lang die angeblich das Unternehmen schädigenden Zahlungen an Emerson FF nicht wenigstens ausgesetzt habe, so Traut. Die Mehrzahl der angeklagten Geldflüsse zu Emerson FF fand nach der als anonym getarnten Strafanzeige vom 5. Juli 2005 statt.

Traut ging ebenfalls auf die so genannte Kronzeugin der Anklage, Manuela Rasmussen, ein. Es sei einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte, dass einem Beschuldigten in einem Strafverfahren der Entwurf eines Strafbefehls vorgelegt werde, bevor dieser durch ein Amtsgericht erlassen wird. Erst danach habe Rasmussen im März 2008 eine willfährige Aussage inhaltlich vollständig im Sinne der Staatsanwaltschaft Wiesbaden getätigt. Rasmussen war im Februar 2008 zunächst nicht bei Gericht erschienen. Sie behauptete Schweigegeld für ihre Kenntnis der Vorgänge um Emerson FF erhalten zu haben. Laut der Aussagen anderer Mitarbeiter aus der Buchhaltung von Aegis Media sollen diese Vorgänge Flurgespräch gewesen sein. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Emerson FF hatte zudem als Zeuge ausgesagt, dass Manuela Rasmussen die Nachfolgerin von Claudia Jackson werden sollte, nachdem diese bereits vor den Hausdurchsuchungen nach Argentinien übersiedelt war. Nach Rasmussens Aussage wurde der Strafbefehl rechtskräftig. Für den Erhalt von 427 000 Euro wurde Rasmussen rechtskräftig wegen Beihilfe zu schwerer Untreue zu einem Jahr Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 10 000 Euro verurteilt. Der Gewinn von 417 000 Euro wurde nicht abgeschöpft. Auch Aegis Media sehe sich im Gegensatz zum Vorgehen gegen andere ehemalige Mitarbeiter nicht veranlasst, von Rasmussen Schadenersatz zu fordern.

Im Plädoyer von Ruzickas Verteidiger fand auch das am 30. März 2009 ergangene erst Teilurteil im Rechtsstreit zwischen Danone und der Aegis Media-Tochter Carat Berücksichtigung. Darin hatte das Landgericht München II zunächst nicht rechtskräftig geurteilt, dass Carat sämtliche außertariflichen Rabatte erzielen, und diese vollständig an den Kunden weiterleiten muss. Traut zitierte das Urteil, wonach kundenbezogene und agenturbezogene Rabatte untrennbar sseien. Die Wiesbadener Staatsanwälte fordern in der Anklage, dass die abgeflossenen Gelder bei Aegis Media hätten verbleiben, und die Mediaagentur mit diesen Freispots 100 Prozent Gewinn hätte machen müssen. Traut argumentierte, dass das Landgericht München das Gegenteil geurteilt hat. Carat hätte gemäß der Kundenverträge weder Erlöse aus Freispots machen, noch behalten dürfen. Traut beantragte das Urteil als auch die Prozessakten des Rechtsstreits zwischen Danone und Carat beizuziehen. Er will damit beweisen, dass Carat keinen Anspruch auf das Einbehalten von Erlösen aus Naturalrabatten hat, und dass diese gemäß den Standardverträgen vollständig an die Kunden weiterzuleiten sind. Auch deshalb sei die Annahme eines Schadens bei Aegis Media nicht aufrechtzuerhalten.

Dies treffe auch auf den Umgang mit der Werbeagentur ZHP zu. Auch mit diesem Kunden hat es einen ähnlichen Standardvertrag gegeben. Zeugen haben bestätigt, dass dieser existent war und gelebt wurde. Auch hier sei klar geregelt gewesen, dass Mediaeinkaufs-Vorteile und Gutschriften aus außertariflichen Vorteilen den Kunden zustünden. Auch hier hätte das Geld nicht einbehalten werden dürfen. Der Vertrag zwischen Carat und der Werbeagentur ZHP habe dies nicht zugelassen, so Traut. Auch bei den insgesamt neun Millionen Euro, die von Carat zu ZHP geflossen sind, konnte daher keine Untreue vorliegen. Auch hier sei vertragskonform gearbeitet worden, so Traut.

Das Geschäftsmodell von Aleksander Ruzicka sei zwar originell und kreativ gewesen, so Traut, aber es erfüllt nicht den Straftatbestand der Untreue. Ruzicka habe im Gegensatz zu anderen Beschuldigten keinen einzigen Euro persönlich erhalten. Sein Lebenswandel sei mit einem Gesamtgehalt, bestehend aus Fixum und Aktienoptionen, in Höhe von 1,5 Millionen Euro pro Jahr finanzierbar gewesen. Erfolgsboni seien dabei noch gar nicht berücksichtigt. Damit kann man auch eine Villa in Wiesbaden bezahlen, so Traut. Jedoch könne Aegis Media nicht erwarten, dass Aleksander Ruzicka in seiner Freizeit Kunden und Geschäftspartner aufwändig einlädt oder bewirtet, und die Kosten dafür vollständig aus der eigenen Tasche bezahlt. Vor allem dann nicht, wenn durch das Geschäftsmodell von Ruzicka nachweislich zusätzliche Honorareinnahmen für Aegis Media erzielt wurden – und resultierend aus diesem Geschäftsmodell die Freispotvolumina um 35 Prozent gesteigert wurden, obwohl die Kundenetats in demselben Zeitraum um sieben Prozent zurückgegangen seien.

Aleksander Ruzicka hat sich an dem orientiert, was ihm von seinem Vorgänger und Gründer von HMS/Carat, Kai Hiemstra, beigebracht wurde. Ruzickas Geschäftsmodell orientierte sich an Hiemstras Treuhandfirma PLV, so Traut. Auch PLV würde sich nicht in den Bilanzen der Mediaagentur finden. Zum Beweis, dass dies auch Zweck dessen war, stellte Traut den Beweisantrag, die Bilanzen von HMS/Carat von 1998 bis 2003 beizuziehen. Erst im Jahr 2003 wurde die Mediaagenturen zu Aegis Media zusammengefasst. Während Hiemstra behauptet hatte, dass die Konzernleitung des damaligen Gesellschafters Aegis plc. in die Vorgänge PLV eingebunden war, würde sich aus den Bilanzen von HMS/Carat das Gegenteil ergeben. Wären die Gesellschafter nicht in die Vorgänge um PLV eingebunden gewesen, hätte man sich sehr schnell dem Vorwurf der Untreue ausgesetzt, hatte Kai Hiemstra im Dezember 2008 als Zeuge ausgesagt. Ruzicka führt PLV als Vorbild für sein Firmengeflecht mit Firmen wie Camaco und Watson an. Mit diesen Firmen seien ausschließlich aus Loyalität zu Aegis Media und zum Vorteil der Mediaagentur Leistungen erbracht und bezahlt worden. Für diese Firmen wurden keinerlei Verschleierungsmaßnahmen gesetzt. Sie wurden nicht gegründet, um Aegis Media zu schaden. Diese Firmen wurden gegründet, um Aegis Media und deren Kunden Vorteile durch die Bündelung von Naturalrabatten und zu verschaffen, argumentierte Traut.

Ruzickas Verteidiger wiesen den Vorwurf zurück, sie hätten das Verfahren in die Länge gezogen. Die Verteidigung hat lediglich versucht, die Versäumnisse der Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen aufzuarbeiten. Diese hätte zunächst gar nicht, und später nur belastende Inhalte ermittelt. Jedoch seien beispielsweise die Kundenverträge, erstmals während der Hauptverhandlung eingesehen worden. Vor der Erstellung der hier verhandelten Anklage hätten die Ermittler diese gar nicht einsehen können, weil sie von Aegis Media nicht beigezogen, oder bei den Hausdurchsuchungen am 12. September 2006 sichergestellt worden seien, so Traut.

Am Ende des knapp zweistündigen Plädoyers beantragten die Verteidiger von Aleksander Ruzicka für ihren Mandanten Freispruch. Die als anonym getarnte Strafanzeige vom maximalen Vorteilsnehmer der Affäre, Ruzickas Nachfolger Andreas Bölte, und die Aussage einer beeinflussten Kronzeugin der Anklage reichten nicht für eine Verurteilung aus, so Traut. Bevor die 6. Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden unter Vorsitz von Richter Jürgen Bonk am 7. Mai das Urteil verkünden will, wurde ein weiterer Termin am kommenden Montag angesetzt. Die Kammer wird erneut in die Beweisaufnahme eintreten um die beiden neuen Beweisanträge zu entscheiden. Prozessbeobachter gehen jedoch davon aus, dass dies kaum einen Einfluss auf den Inhalt des Urteils haben wird. mz