Verschlungene Kundenpfade

Wer sein Online-Marketing gezielt optimieren und das Markenerlebnis der Kunden verbessern möchte, sollte sich ein genaues Bild davon verschaffen, wo der Kunde mit einer Marke in Kontakt tritt, wo Kaufentscheidungen gebildet werden und welche Suchbegriffe der potenzielle Kunde bei Google eingibt. Der Schlüssel zur relevanten Werbebotschaft ist die genaue Kenntnis der Customer-Journey.

von Frank Puscher

Auf der schönen Ostseeinsel Fehmarn gibt es ein einziges Vier-Sterne-Hotel. Zur diesjährigen Sommersaison entschied man sich, ein Golf-Paket in den Mittelpunkt zu stellen. Um möglichst viele Nutzer auf die Seite zu locken, buchte man bei Google Adwords-Anzeigen, also die kleinen Textanzeigen, die oberhalb und rechts neben den Suchergebnissen eingeblendet werden. Man wählte zum Beispiel die Suchwortkombination „Golfhotel Fehmarn“, und weil der Wettbewerb nicht allzu scharf war, landete man mit der eigenen Anzeige umgehend an oberster Stelle.

Was den Hotel-Marketers an dieser Stelle entgangen sein könnte, ist der Umstand, dass die Wortkombination „Golfhotel + Fehmarn“ gar nicht auf Google eingegeben und gesucht wird. Wesentlich häufiger suchten die Nutzer nach der Begriffskombination „Golf + Fehmarn“, doch da fehlte die Anzeige des Hotels.

Zu oft auf falsche Suchbegriffe gesetzt

Häufig testen Unternehmen für Kampagnen tausende von Suchbegriffen und Wortkombinationen. Selbstlernende Kampagnen-Software entfernt sukzessive die schlechten Keyword-Anzeigen-Kombinationen und versucht so, das Budget optimal zu verteilen. So fanden die Urlaubsspezialisten von Holiday-Insider 2011 erst durch gezielte Analyse heraus, dass man teilweise auf die falschen Suchbegriffe gesetzt hatte. „In nur zwei Monaten konnten wir unser SEM-Budget um fast 40 Prozent kürzen“, freut sich Geschäftsführer Niels Dörje.

Die Auswahl des richtigen Suchbegriffs hängt sehr stark davon ab, in welcher Phase der Kaufentscheidung sich ein Kunde befindet.
In einer frühen Phase sucht ein Nutzer eher nach grundlegenden Begriffen wie „elektrisches Fahrrad“. Nach der ersten Recherche könnte er sich erneut zu Google begeben, um mehr Details über ein Antriebssystem oder eine Marke zu erhalten. Dann geht es vielleicht um „Pedelec“.
Und in einer dritten Google-Suche geht es dann möglicherweise um ein ganz konkretes Produkt, zum Beispiel das „Haibike eQ Xduro 29“.

Analyse der Customer Journey

Freilich ist Google nur eine einzelne Schnittstelle. Es gibt jede Menge solcher Schnittstellen, im Branchenjargon Touchpoints genannt.
Neben den Online-Marketingmaßnahmen wie Display-Werbung, Affiliate-Partnerschaften, Online-PR oder diversen Kontaktpunkten in den sozialen Netzwerken sind natürlich alle nicht-digitalen Berührungspunkte ebenso zu analysieren. Das gilt für die Printanzeige, das Plakat, den Flyer, den Messeauftritt und natürlich auch den TV-Spot.

Online-Händler Design3000 hat gleich zwei überraschende Beobachtungen bei der Analyse der Customer-Journey gemacht.
Zum einen platzierte Geschäftsführer Frank Levita Gutscheine auf 40 Millionen Packungen mit Frühstücks-Cerealien und stellte fest, dass die Einlösequote im Vergleich zum Kontaktpreis sehr hoch war. Zweitens sorgte die intensive Einbindung des Kundenbindungssystems von Payback für mehr Umsatz im Shop. „Rund ein Drittel der Kunden sammeln beim Kauf Payback-Punkte und ihre Warenkörbe sind größer als der Durchschnitt“, erläuterte Levita im Rahmen der Fachmesse Internet World.

Lange vor der eigentlichen Kaufabsicht tritt der künftige Kunde bereits in eine Wahrnehmungsphase. Hier ist er sehr empfänglich für emotionale, visuelle Reize, übersetzt in Online-Marketing beispielsweise in eine Bannerkampagne, die auf seinem Nachrichtenportal läuft.
Im zweiten Schritt geht es in eine Phase der Bewusstwerdung über. Er hat sein Interesse kognitiv gefasst und möchte es vertiefen. In dieser Frühphase einer Kaufentscheidung sucht der Kunde nach grundlegenden Informationen. Das ist der Punkt, wo viele Marken mit ihren Kampagnen ansetzen. Sie wollen nicht erst dann Gehör finden, wenn der Kunde bereits das Produkt seiner Wahl auserkoren hat, sondern bereits im Vorfeld aktiv an dieser Entscheidungsfindung mitwirken.

Das Tofu-Prinzip

Das Tofu-Prinzip

Hier schwappt mal wieder ein neues Buzzword aus den USA über den Teich: das Tofu-Prinzip. Tofu steht für Top of the funnel und bezeichnet die früheste Phase der Bildung einer Kaufentscheidung, nämlich die, wenn der Einkaufstrichter noch weit geöffnet ist.
Die Kontaktaufnahme zu Interessenten in dieser frühen Phase ist für den Händler sehr attraktiv, und zwar vor allem deshalb, um einem Preisvergleich aus dem Weg zu gehen. Hat sich der Kunde nämlich für ein konkretes Produkt entschieden und fragt dann Google um Rat, so landet er unweigerlich auf einer Website, wo es das gleiche Bike von zehn verschiedenen Händlern gibt. Und dort entscheidet vor allem der Preis.

In dieser Frühphase eines Kaufprozesses suchen die Nutzer sogenannte generische Begriffe bei Google. Sie geben eher selten bereits konkrete Produktbezeichnungen ein, sondern Gattungsbegriffe, Spezialthemen oder Probleme und Fragestellungen.
Genau auf diese generische Suche fokussiert Babyharmonie.de. Die Satelliten-Website der Schwenninger Krankenkasse befasst sich mit den Themen Schwangerschaft, Geburt und frühe Elternzeit. Neben der Gewinnung von Neukunden hat die Website aber auch einen klaren ökonomischen Auftrag. „Wir erfahren zu spät davon, wenn unsere Kundinnen schwanger sind“, erläutert Marketingleiter Daniel Repp. Meistens nehmen die Versicherten erst dann Kontakt zur Kasse auf, wenn sie Leistungen in Anspruch nehmen wollen.

Für Daniel Repp ist das ein Problem, vor allem im Hinblick auf mögliche Frühgeburten. „Jede Frühgeburt kostet die Kasse rund 12 000 Euro“, rechnet der Schwarzwälder vor. Gleichzeitig weiß man, dass eine Reihe von Frühgeburten durch gezielte Prävention und engmaschige Voruntersuchungen vermieden werden kann. Also setzte Repp noch einen weiteren Themenbereich in die Website, nämlich Kinderwunsch und „schwanger werden“, um die Kundinnen noch früher abzuholen.
Die Website selbst präsentiert sich als Zwitter. Im Zentrum stehen ausführliche Texte, Checklisten und Ratgeber zu den verschiedensten Themen. Diese Ratgeber sind neutral verfasst und liefern viele Anhaltspunkte für die Selbsthilfe. Gleichzeitig verweist die Site an vielen Stellen auf das konkrete Produkt- und Beratungsangebot. Sei es direkt mit einem kleinen Werbebanner oder über den Umweg von Zusatzinhalten, etwa dem Eisprungkalender. „Der Eisprungkalender ist das erfolgreichste Einzelelement bei der Leadgenerierung“, meint Repp.

Die Texte selbst kaufte Daniel Repp bei Contilla ein, einem neutralen Anbieter für Content mit Sitz in Köln. Autor kann prinzipiell jeder werden, der durch einen Bewerbungsprozess gelaufen ist. Ein solches Crowdsourcing-Verfahren macht den Einkauf der Contents tendenziell günstiger, allerdings wird die Aufgabe für die Qualitätssicherung gleichzeitig größer.
Auch große Verlage bieten mitunter spannende Inhalte käuflich an. Letztes Jahr veröffentlichte Haarspezialist Schwarzkopf eine Website praktisch ohne Produktwerbung, sondern nur mit inhaltlichen Themen. Artikel zu den Trendfrisuren der Saison oder dem sanfteren Weg zum Haarefärben stehen auch jeder Frauenzeitschrift gut zu Gesicht. Und tatsächlich kommt ein Großteil der Inhalte von Condé Nast, den Produzenten der Zeitschriften Vogue und Glamour.

Mehr Inhouse-Kampagnen für redaktionellen Inhalte

Langfristig will Daniel Repp mehr Inhouse-Kompetenzen für die redaktionellen Inhalte aufbauen. Im Juni rief er deshalb den Babyharmonie-Blog ins Leben. Dort gibt es regelmäßig Tipps für Schwangere und junge Eltern und das Ganze auch noch als Podcast. Und auch für Heiko Eckert vom Designer-Shop mytheresa.com ist klar: „Wir müssen viel magaziniger werden“. Der ehemalige Suchmaschinenexperte weiß genau, warum.
Mit der Erstellung einer interessanten Website ist erst der Beginn einer langfristigen Strategie im Content-Marketing vollzogen. Die nächste Stufe ist die Bewerbung der Website. Hierfür kommt das gesamte Repertoire im Online-Marketing in Betracht. Repp startete die Promotion mit eigens auf Google geschalteten Anzeigen. Dadurch lenkt Repp gezielt Nutzer auf die Seite, die entsprechende Suchbegriffe wie „Geburt eines Kindes“ eingegeben haben. Verweilen diese auf der Site, steigt deren Relevanz aus der Sicht von Google und die Site wird auch im normalen Suchindex früher zu finden sein.

Suche nach geeigneten Link-Partnern

Zweiter Schritt beim Aufbau von Site-Popularität ist die Suche nach geeigneten Link-Partnern. Für Babyharmonie waren das thematische Kooperationspartner wie Babyzauber oder Babycare, aber auch Amazon.de. Die auch langfristig vermutlich spannendste Werbeform ist die Syndizierung der eigenen Inhalte. Kompakte Elemente, wie ein Quiz oder eine Checkliste, eignen sich sehr gut für die Veröffentlichung in anderen Medien. Die größte Aufmerksamkeit erzielte dabei eine Kooperation mit der Website des Kölner Express. Hier wurde ein Schwangerschaftsquiz mit acht Fragen platziert, flankiert von diversen Promotion-Teasern und Bannern. 1 433 Leser spielten das Quiz. 90 Prozent hielten bis zum Ende durch und knapp 400 ließen sich dann auf die Website weiterleiten. Das ergibt eine sehr gute Klickrate von rund 27 Prozent. Derartige Inhalte funktionieren auch gut auf Facebook und anderen Social-Media-Kanälen.

Im Ergebnis erreicht die Schwenninger Krankenkasse nach nur einem halben Jahr bereits rund 20 Prozent ihrer schwangeren Kundinnen auf Babyharmonie. de. Zusätzlich werden permanent neue, qualifizierte Leads generiert. Das funktioniert sogar so gut, dass es keinen Unterschied macht, ob die Telefonnummer als Pflichtfeld abgefragt wird oder nicht. Ein Zeichen für die hohe Bereitschaft der Interessenten, sich aktiv von der Kasse kontaktieren zu lassen.

Neben dem Aufbau von Social Media fahndet Daniel Repp schon nach neuen Potenzialen für Content-Satelliten. Die Grundrichtung steht schon fest: „Die nächste Plattform ist für Männer.“