User-generated Content: Authentisch auf Bestellung

Der Bedarf an Social-Media-Inhalten hat ein neues Geschäftsmodell hervorgebracht: die professionelle Vermittlung von User-generated Content. Wo es den Creator Content gibt und was er (nicht) kann.
User-generated Content
Mit dem User-generated Content der Kölner Agentur Speekly arbeiten unter anderem Asam Beauty und Wolt. (© Speekly)

Ungepflegte Fingernägel waren tabu, und bitte kein allzu dickes Make-up. Doch wie sie das Produkt – einen Vitamin- und Geschmackszusatz für Trinkwasser – in Szene setzen wollten, blieb den Darsteller*innen weitgehend selbst überlassen: Eine junge Frau nahm die Getränkewürfel mit an den Strand. Eine andere filmte im Auto, wie sie einen in ihre Trinkflasche mixt. 

Das war im Herbst 2021 und für den Auftraggeber, das Wiener Start-up Waterdrop, ein Experiment: Erstmals hatte es im Rahmen seiner „Drink more water“-Kampagne über eine Plattform User-generated Content (UGC) bestellt. Von dem Ergebnis war Cosima Ferrari, Team Lead Paid Social bei Waterdrop, begeistert: „Es entstand ganz unterschiedlicher Content, der auf Social Media sehr gut funktionierte.“ Seither hat Waterdrop über 150 Videos erstellen lassen und auf Instagram, Facebook oder TikTok eingesetzt.

Es ist eine neue Spielart des Social-Media-Marketings: Marken lassen Fotos und Videos produzieren, die so wirken sollen, als seien sie eben gerade nicht auf Bestellung angefertigt – sondern vom Arbeitskollegen oder der Freundin. Creator Content nennt sich das und verspricht die Professionalisierung des Authentischen: Material, das glaubwürdig und ungekünstelt ist – zugleich aber technisch hochwertig und markenkompatibel. So widersprüchlich das klingt, so gut scheint es in die Zeit zu passen. Dafür jedenfalls spricht der Erfolg derer, die Creator Content vermitteln.

Finnisches Start-up Boksi kommt nach Deutschland

Waterdrop bezieht seine Videos über die Plattform Boksi, ein finnisches Start-up, das jetzt nach Deutschland expandiert. „Der Markt ist riesengroß und steht noch ganz am Anfang“, sagt Boksi-CEO Lasse Laaksonen. Auf der einen Seite habe der Content-Bedarf von Marken stark zugenommen, auf der anderen Seite seien längst nicht mehr nur Profis in der Lage, passable Fotos und Videos zu produzieren. „Wie sieht ein tolles Foto aus? Jeder 18-Jährige hat da heute Erfahrung.“ Und ein Smartphone mit guter Kamera.

Dienstleister, die UGC bereitstellen, gibt es noch nicht lange. Boksi etwa begann 2018 mit der Vermittlung von Influencer*innen. „Nach knapp einem Jahr sagte ein Kunde, er hätte am liebsten nur den Content“, erinnert sich Gründer Laaksonen. Das war die Geburtsstunde der Creator-Vermittlung. Inzwischen hat Boksi rund 17.000 Gestalter*innen in der Datenbank, machte im vergangenen Jahr 2,9 Millionen Euro Umsatz und expandiert derzeit nach Deutschland. Zu den Kunden zählen zum Beispiel der Bobby-Car-Hersteller Simba Dickie oder die Secondhand-Plattform Momox.

Speekly, ein 2022 gegründetes Kölner Start-up, wirbt mit 6000 Creatorn und Referenzkunden wie Asam Beauty oder Wolt. Die österreichische Gründung Nano, seit 2020 am Start, verfügt nach eigenen Angaben über rund 3000 Gestalter*innen. Neben Plattformen gibt es auch Agenturen, die sich auf UGC spezialisiert haben, Vyral mit Sitz im rheinischen Langenfeld zum Beispiel oder Social Heaven aus Berlin. Sie vermitteln nicht nur, sondern bieten Full Service, unter anderem mit Skript, Schnitt und Ad-Finalisierung. „Wir stellen innerhalb unseres eigenen Kundenstamms auch sicher, dass unsere Creator nicht für Wettbewerber eines Auftraggebers tätig werden“, sagt Social-Heaven-Geschäftsführerin Jo-Maren Witte.

Creator verdienen nicht viel – und sind trotzdem zufrieden

Der Ablauf ist überall ähnlich: Nachdem eine Marke ihre Anforderungen formuliert hat, können sich Gestalter*innen bewerben; meist treffen Plattform oder Agentur eine Vorauswahl. Mit den Ergebnissen kann die Marke nach Belieben arbeiten, die Nutzungsrechte sind in der Regel unbeschränkt. Die Preise sind im Vergleich zu Profi-Produktionen niedrig: Bei Speekly ist ein 15-Sekunden-Video schon ab 79 Euro erhältlich. Boksi beginnt mit 250 Euro, außerdem gibt es Mengenrabatt. Die Agentur Social Heaven verkauft ihre Leistungen im Paket; Version „Growth“ (zwei Creator, 20 plattformgerechte Ads) etwa für 2999 Euro.

Interessant ist Creator Content für Unternehmen, die Zielgruppen über Social Media erreichen wollen, ohne viel Zeit und Geld zu investieren. Ein Briefing ist zwar erwünscht, penible Vorgaben oder elaborierte Storyboards jedoch können kontraproduktiv sein – die Ergebnisse werden dann schnell verkrampft, wie Auftraggeber berichten. Der Preis der Authentizität ist also ein gewisser Kontrollverlust. Vor allem für etablierte Unternehmen mit sehr ausgefeilten Ansprüchen an Markenführung kann das eine Hürde sein.


Wir stellen innerhalb unseres eigenen Kundenstamms sicher, dass unsere Creator nicht für Wettbewerber eines Auftraggebers tätig werden.

Jo-Maren Witte, Geschäftsführerin von Social Heaven

Wer aber sind die Creator überhaupt? Jedenfalls keine Influencer-Promis. „Die Mamis und Papis dieser Welt“, sagt Social-Heaven-Managerin Witte. Student*innen seien darunter, Schauspieler*innen oder Synchronsprecher*innen. Boksi weiß über seine Gestalter*innen, dass sie überwiegend zwischen 24 und 34 Jahren alt sind und sich meist als Hobbyisten verstehen. Dazu passt, dass sie, obwohl sie die Rechte an ihren Werken abgeben, nur ein Taschengeld verdienen. Juristisch sei das nicht zu beanstanden, sagt Sebastian Deubelli, Anwalt für Urheber- und Medienrecht. „Es gibt in diesem Bereich keine verbindlichen Standards. Die Preise bestimmt der Markt.“ Die Entwicklung ist ähnlich wie in der freien Fotografie, wo Amateur*innen ihre Bilder bei Plattformen wie Unsplash oder Pexels sogar gratis zum Download bereitstellen – aus Stolz aufs eigene Werk oder weil sie es als Baustein einer Karriere sehen.

Keine Kennzeichnungspflich durch „offensichtlichen Werbecharakter“

„Für einen aufstrebenden Influencer kann es attraktiv sein, als Creator zu beginnen“, findet Jeanette Okwu, Vorstandsmitglied im Bundesverband Influencer Marketing (BVIM). Für sie ist die zunehmende Beliebtheit von Creator Content keine Überraschung. Schon aus Kostengründen könnten viele Unternehmen ihre Social-Media-Präsenz nur mithilfe von Nutzer*innen steigern; überdies sei UGC vom Stil her für soziale Netzwerke optimiert. Okwu: „Ich applaudiere jeder Marke, die erkennt, wie wertvoll authentischer Content ist.“

Wobei das mit der Authentizität so eine Sache ist. Bei A/B-Tests scheint Creator Content in sozialen Medien zwar häufig besser abzuschneiden als konventioneller Content. Zugleich ist er eine Antwort auf die Schwächen von Influencer-Marketing: Produktempfehlungen von Profi-Accounts werden zunehmend als unglaubwürdig wahrgenommen, zumal sie in vielen Fällen als Werbung gekennzeichnet sein müssen. Bei UGC hingegen, den Unternehmen auf eigenen Kanälen posten, entfällt die Kennzeichnungspflicht – weil, wie Jurist Deubelli erklärt, „der Werbecharakter offensichtlich ist“. Eben.

Mit echtem Fan-Content, den viele Unternehmen entsprechend markieren, kann Creator Content in puncto Authentizität kaum gleichziehen. Dafür gilt Fan-Content auf Dauer als professionell schwer handhabbar. „Es beginnt nett und unverbindlich, aber gerade die Beliebigkeit wird für eine Marke schnell zum Problem“, so der Anwalt. „Kommt das Unternehmen dann mit einem Vertrag, reagieren viele Fans verärgert“ – sie möchten die Liebes- nicht durch eine Geschäftsbeziehung ersetzen. Auch die Qualität des Materials stimme oft nicht, sagt Waterdrop-Team-Lead Paid Social Ferrari: „Creator hingegen haben ein Gespür dafür, wie sie ein Produkt in Szene setzen.“ Vorausgesetzt, der Mensch passt zur Marke.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.