„Unternehmen improvisieren immer noch im Umgang mit Foren“

Nutzen Unternehmen das Potenzial, das ihnen Internet-Foren bieten? Eine Studie am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik der WU Wien untersucht, wie Herstellermarken auf virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda reagieren, und inwieweit sie dieses Potential für sich verwenden. absatzwirtschaft sprach mit Studienleiterin Antje Sester.

absatzwirtschaft: Das Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik der WU untersuchte in einem Projekt „Die Rolle virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda bei der Führung von Herstellermarken“. Welche Meinungsäußerungen haben sie genauer betrachtet?

Zunächst wollten wir uns einen Überblick verschaffen, in welcher Form Unternehmen von Mund-zu-Mund-Propaganda im Internet betroffen sind. Hierfür haben wir analysiert, welche Internet-Auftritte Konsumenten Raum geben, ihre Meinung zu Produkten zu äußern. Wir konnten acht verschiedene Arten von Online-Auftritten identifizieren. Die Bandbreite und Vielfalt ist erstaunlich groß. Sie reicht von herstellergetriebenen Präsenzen, die eine Art Kundendienst-Funktion haben, über typische Markengemeinschaften, in denen glühende Verehrer von Produkten ihre Begeisterung für ein bestimmtes Produkt miteinander teilen, bis hin zu betont unabhängigen Websites, in denen mitunter sehr kritisch über Produkte diskutiert wird.

Bei dieser Untersuchung ist uns aufgefallen, dass besonders häufig Unterhaltungselektronik-Produkte im Internet diskutiert werden. Die Gründe liegen auf der Hand: Einerseits lassen sich „konkurrierende“ Produkte gut anhand ihrer technischen Eigenschaften untereinander vergleichen. Anderseits stellt die Anschaffung etwa eines Fernsehers oder einer Digitalkamera für Konsumenten eine gewisse Investition da. Aus diesem Grund ist die Bereitschaft, sich vor dem Kauf intensiv mit den Produkt-Alternativen auseinanderzusetzen, besonders groß.

absatzwirtschaft: Was sind die wesentlichen Erkenntnisse aus diesem Projekt?

Nachdem wir entdeckt haben, dass Unterhaltungselektronik-Produkte besonders stark von virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda betroffen sind, haben wir zwei Untersuchungen speziell zu dieser Branche durchgeführt.

In der ersten Studie wurden Interviews mit Markenverantwortlichen von Unterhaltungselektronikherstellern geführt. Wir wollten ausloten, wie Hersteller damit umgehen, dass im Internet über ihre Produkte diskutiert wird. Das Ergebnis hat uns verblüfft: Bei den interviewten Unternehmen wirkte der Umgang mit virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda weitgehend „improvisiert“. Die Verantwortlichen sind sich zumeist darüber im Klaren, dass Internet-Foren, in denen über ihre Produkte diskutiert wird, existieren und können auch einzelne davon benennen.

Im Regelfall ist allerdings keine klare Strategie für den Umgang mit virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda zu erkennen. Vereinzelt werden die Mitarbeiter des Kundendienstes oder der Marketing-Abteilung gebeten ein Auge hierauf zu werfen. Nicht selten passiert dies auf freiwilliger Basis während der Freizeit der Mitarbeiter. Dabei bietet eine Reihe von Dienstleistungs-Unternehmen professionelles Monitoring virtueller Mund-zu-Mund-Propaganda an. Diese Dienstleistung wurde jedoch von keinem der interviewten Unternehmen in Anspruch genommen.

In einer zweiten Studie wurde der Inhalt von virtuellen Produkt-Diskussionen analysiert und den Instrumenten der Produktpolitik gegenübergestellt. Hier konnten wir aufzeigen, dass in der Bereitschaft von Konsumenten, sich zu Produkten im Internet auszutauschen, ein großes unausgeschöpftes Potential für die Produktpolitik liegt.

absatzwirtschaft: Durch welche geeigneten Methoden können Unternehmen dieses Potenzial im Rahmen ihrer Produktentwicklung nutzen?

Im Grunde genommen können, nein, sollten virtuelle Gemeinschaften in allen Phasen des Produkt-Lebenszyklus genutzt werden. Konsumenten, die sich im Internet zu Produkten äußern, zeigen in vielen Fällen ein hohes innovatives Potential. Bereits vor der Entwicklung von neuen Produkten können die einschlägigen Internet-Foren aufzeigen, was der Kunde eigentlich möchte. Dieses Potential kann auch während der Produktentwicklung „angezapft“ werden, beispielsweise indem man Forums-Mitglieder bittet Produkt-Varianten zu testen oder mit ihnen Design-Alternativen diskutiert.

Nach der Markteinführung kann Internet-Propaganda den Erfolg bzw. Misserfolg von Produkten beeinflussen. Es sollte daher unbedingt auf Kritik in einer angemessenen Form reagiert werden. Darüber hinaus haben wir Support-Foren gefunden, die Kunden nach dem Kauf betreuen. Auf diese Weise können Hersteller ebenso wie Händler eine nachhaltige Zufriedenheit mit dem Produkt bzw. dem Geschäft erzeugen und eine langfristige Bindung zu Kund/inn/en aufbauen.

absatzwirtschaft: Welche Bedeutung haben virtuelle Gemeinschaften, wie etwa Foren für den Kundendienst von Händlern und Herstellern?

Im Bereich des Kundendienstes erwarten wir gerade bei technischen Produkten eine wesentliche Veränderung. Jeder Nutzer, der schon einmal die Erfahrung gemacht hat, dass der technische Kundendienst selbst namenhafter Hersteller ihn nicht weitergebracht hat, wird über ein gut besuchtes und gut funktionierendes Forum dankbar sein. Gerade bei sehr spezifischen Fragen, in denen beispielsweise auch Geräte von Drittanbietern eine Rolle spielen, ist die Wahrscheinlichkeit, hier eine Antwort auf eine konkrete Frage zu erhalten höher, als bei den entsprechenden Kund/inn/endienst-Hotlines. Positive Beispiele wie das Support-Forum der Firma Apple zeigen, dass es auch aus Sicht eines Unternehmens sinnvoll ist, ein eigenes Support-Forum anzubieten. Es stellt nicht nur eine Entlastung des klassischen Kundendienstes, sondern auch einen echten Mehrwert im Vergleich zu den Mitbewerbern dar. Es wäre bedauerlich, wenn sich Unternehmen diese Chance entgehen lassen würden.

Antje Sester ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Ihre Forschungsschwerpunkte sind virtuelle Gemeinschaften und deren Auswirkungen auf die Markenführung von Herstellermarken. Im Rahmen ihrer Tätigkeit betreut sie eine Reihe von Studien, die sich mit dem Einfluss von virtuellen Gemeinschaften auf die Markenwahl auseinandersetzen.