TV-Kabelnetz in Deutschland – quod vadis?

Die Zukunft des TV-Kabelnetzwerkes in Deutschland scheint offener denn je. Aggressive Wettbewerber und substitutive Technologien setzen den Anbietern erheblich zu. Wo liegen die strategischen Optionen?

Von Dr. A. Hecker und Dr. L. Röhrs

Ob der Start des Handy-Fernsehens pünktlich zur Fußball-WM, die Kooperation von T-Online und Premiere zur Etablierung von IPTV, die Ausweitung günstiger Satellitenangebote oder die von der Bundesregierung geförderte D-VBT Technologie – der Kabelbranche bläst der Wind ins Gesicht. Um mit gleichwertigen oder gar überlegenen Nutzungsangeboten gegenhalten zu können, müsste sie das Netz häufig weitreichend technisch verändern (Ausbau der Bidirektionalität). Die damit verbundenen immensen Investitionen stehen im Widerspruch zu der äußerst restringierten finanziellen Lage, in der sich die meisten Spieler der Branche befinden.

Um so dringlicher stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach den strategischen Optionen der Kabelnetzanbieter, dieser Zwickmühle zu entkommen und das Spiel zu ihren Gunsten zu wenden. Der vorliegende Beitrag möchte entsprechende Antworten liefern: Dazu soll zunächst ausgehend von der staatlich angeordneten Innovation der 70er Jahre, über die Wirren der Privatisierung im Telekommunikationssektor bis hin zu aktuellen Geschäftsmodellen der Weg des deutschen Fernsehkabelnetzwerks nachgezeichnet werden, um vor dem Hintergrund dieser Kulisse aktuellen Herausforderungen herauszuarbeiten. Abschließend werden verschiedene Ansätze und Optionen für Kabenetzanbieter diskutiert, diese Herausforderungen zu meistern und damit mögliche Entwicklungslinien der Branche ein Stück weit vorgezeichnet.

Geschichte und Herkunft
Die Idee zum Anschluß von privaten Haushalten an ein Breitbandkabelnetz wird in Deutschland seit dem Jahr 1974 in der Öffentlichkeit diskutiert. Schon früh schließt sich die Bundesregierung den US-amerikanischen und japanschen Vordenkern an, welche die künftige Bedeutung der Breitbandkommunikation prognostizieren. Natürlich sehen das mittelständische Handwerk sowie die relevanten Kommunikations-Großkonzerne das sich abzeichnende Geschäft mit der Regierung und unterstützen entsprechend diesen Entscheidungsprozeß. Als Resultat entsteht neben den bereits vorhandenen Telefoninfrastruktur und den Telephonienetzen der Stromversorger sowie der Bahn, ein neues Breitbandnetz. Zunächst in ein paar Versuchsgebieten, dann auf wachsender Fläche, dient das Netz zur unidirektionalen Übertragung von zunächst wenigen Fernsehkanälen, in inhaltlicher Parallelität zur terrestrischen Übertragung.

Den zweifelhaften Nutzen für den Kunden stellen, im Vergleich zum terrestrischen Übertragungskanal, die wenigen zusätzlichen Kanäle dar. Vor dem Hintergrund des bestehenden staatlichen Telekommunikationsmonopols in Deutschland wird der Netzaufbau koordiniert und das Netz betrieben durch die zuständige staatliche Organisation, die „Deutsche Post“, später durch ihren rechtlichen Nachfolger, die „Deutsche Telekom AG“ (DTAG). Diese ist auch für die Einspeisung der Inhalte in das Kabel verantwortlich als s.g. Netzebene-Drei Betreiber. Unzweifelhafte Nutznießer sind zunächst mittelständische Elektroinstallationsunternehmen und Kabel- sowie Infrastrukturlieferanten.

Zusätzlich wird den mittelständischen Elektroinstallationsunternehmen ein Monopol auf den Aufbau und Betrieb der hausinternen Verkabelung zugesprochen. Sie werden zu s.g. Netzebenevier Betreibern. Die immensen Kosten zum Aufbau dieser Parallelinfrastruktur tragen natürlich die Nutzer – zunächst über eine speziell eingeführte Gebühr, den s.g. „Kabelgroschen“, später über die s.g. Kabelgebühren. Bis 1995 sind bereits 16 Millionen Haushalte angeschlossen, dank des entsprechenden werblichen Auftritts der Deutschen Post, vor allem in Bezug auf kommunale Entscheidungsträger.

Eine Forderung der EU-Monopol-Kommission nach der Trennung von Kabel- und Telekommunikationsnetzwerken führt zum ersten ernsten Beben im Bereich dieses Breitbandkabelnetzwerks, denn der damalige Besitzer, die DTAG , wird zur Veräußerung gezwungen. Um der EU-Vorgabe entsprechen zu können, wird eine Abspaltung von der DTAG und eine spätere Zerlegung des Geschäfts nach dem Regionalprinzip durchgeführt. Als allerdings ausländische Investoren, insb. ausländische Medien- und Kabelunternehmen, um die entstandenen monopolartigen und inselähnlichen Regionalnetze buhlen, führen zunehmende Befürchtungen vor mangelhafter Kontrolle des Mediums und unzureichendem Zugang der Politik zum wichtigen Medium Fernsehen zu einer Blockadehaltung seitens politischer Institutionen und Akteure, an der der Verkauf der meisten Teile des Netzes zunächst scheitert.

Als sich die Lage aufgrund verfehlter Marktvorstellungen der ersten Investoren verschärft, melden die Regionalgesellschaften in Nordrhein-Westfallen und Baden-Württemberg Insolvenz an, nachdem sich dort bereits Investoren mit Milliarden von US-Dollar in bidirektionalen Ausbau der Netze engagiert haben. Leere Kassen und Marktdruck zwingen dennoch die deutsche Politik und die DTAG den Verkauf weiter voranzutreiben. Etwa ein Jahr später besteht im Ergebnis der deutsche Kabelmarkt aus vier Hauptgesellschaften, die den alten ursprünglich privatisierten Aktivitäten der DTAG im Netzebene-Drei (NE-3) Bereich entstammen: KDG, KBW, Iesy und Isch. Alle diese Gesellschaften sind in der Hand von privaten ausländischen Investment-gesellschaften.

Zeitgleich versuchen sich größere Anbieter im NE-4 Bereich von diesen Einspeisern zu lösen und selbst zu faktischen NE-3 Betreibern aufzusteigen. Die NE-3 Betreiber ihrerseits suchen den direkten Zugang zum Endkunden und betreiben faktisch die Aushöhlung der vorgegebenen künstlichen Trennung zwischen NE-3 und NE-4. Dabei wird das angestammte Geschäftsmodell der Kabelnetzbetreiber NE-3 in Deutschland weitgehend übernommen und weitergeführt, mit allen seinen landestypische Besonderheiten, die teilweise in der langen Monopolostellung der DTAG als Kabelnetzanbieter NE-3 begründet liegen: So zahlen die Inhalts- und Programmanbieter den Kabelnetzanbietern Gebühren für die Übertragung ihrer Inhalte und zusätzlich wird der Endkunde für die Bereitstellung dieser Inhalte zur Kasse gebeten.

Erst in jüngster Zeit beginnen die Kabelnetzbetreiber umfassende Inhalts- und Programmangebote zu Paketen zu schnüren und damit dem Kunden einen gewissen Mehrwert zu bieten. Dies geschieht allerdings vor allem aus dem Zwang heraus auf Fremdsprachen- und Special Interest Angebote der SatTV-Anbieter reagieren zu müssen. NE-4 Unternehmen treten ebenfalls zunehmend in die Konkurrenz zu NE-3 Unternehmen, indem sie selbst Programmbündel zusammenstellen. Doch das deutsche Geschäftsmodell beschränkt sich im Wesentlichen auf die Abschöpfung von Durchleitungsentgelten.

Zusätzlicher wesentlicher Einflußfaktor auf die Kabelgesellschaften heute ist das Engagement von ausländischen Investoren. Für branchenerfahrene Investmentgesellschaften gilt Anfang 2001 die Investition in den deutschen Kabelmarkt als lukrativ: Wichtige Infrastruktur ist vorhanden und das regelmäßige Gebührenaufkommen generiert einen stabilen und kalkulierbaren Cash-Flow. Entsprechend groß ist das Interesse dieser Unternehmen an dem deutschen Kabelmarkt als der Verkauf des Geschäfts durch die Telekom angestoßen wird. Die Pleite von Callahan läßt die Branche zwar aufhorchen, die Wogen der Aufregung glätten sich aber schnell und die Vision der Branche lebt weiter.

Aktuelle Herausforderungen
Die aktuellen Herausforderungen, mit denen sich die Kabelbranche konfrontiert sieht, sind teilweise externer, teilweise aber auch interner Natur. Zu den wichtigsten externen Einflussfaktoren der künftigen Entwicklung zählt die technologische Entwicklung. Sie bestimmt neben den rechtlich-regulatorischen Vorgaben den Optionsraum, den es mit geeigneten Strategien zu besetzen und adäquaten Geschäftsmodellen monetär auszuschöpfen gilt. Aus ökonomischer Perspektive kann die Fülle technischer Entwicklungen anhand der beiden Kategorien ‚Substitution’ und ‚Komplementarität’ geordnet und analysiert werden. Technische Entwicklungen mit Substitutionspotenzial stellen zumindest potenziell eine direkte Konkurrenz zu Angeboten der Kabel-Provider dar. Zu nennen sind hier auf der Infrastrukturebene die zunehmende Penetration mit breitbandigen DSL-Anschlüssen (bspw. vDSL der DTAG mit mehr als 32 000 Mbit) sowie eine zunehmende geografische und kapazitative Ausweitung der UMTS- oder WiFi-Abdeckung.

Auf der Diensteebene geht damit einher die rasante Entwicklung von IPTV- bzw. MobileTV-Angeboten, sowie die zunehmende Penetration mit breitbandigen Internetzugängen. Aber auch die Entwicklung digitaler, terrestrischer Free-to-Air-Plattformen, die eine breite Palette an Kanälen kostenfrei anbieten, ist zu den Entwicklungen mit beträchtlichem Substitutionspotenzial zu zählen. So hat etwa die englische Freeview-Plattform mittlerweile eine Penetration von über 25 Prozent aller Haushalte erreicht, wo sie TV-Angebote von Kabelanbietern zu verdrängen droht.

Komplementarität ist dagegen ein wichtiges Thema beim so genannten Konvergenzprozess verschiedener Medien und findet in letzter Zeit vor allem ihren Ausdruck in den viel beschrieenen Quadruple-Play-Angeboten. Wo bei diesen Angeboten die Komplementaritäten, oder auch Synergie-Potenziale, genau liegen, ist zur Zeit noch Gegenstand der Diskussion. Unstreitig ist sicherlich eine Degression von Marketing-, Administrations-, Overheadkosten, die sich je nach Verhandlungssituation anbieterseitig in erhöhten Margen oder verbraucherseitig in günstigeren Bündelangeboten niederschlagen. Anbieterseitig wird zudem mit einer größeren Kundenloyalität argumentiert, da gebündelte Angebote einen Anbieterwechsel erschweren und damit Churn entgegenwirken. Nachfragerseitig werden auch Convenience-Aspekte hervorgehoben, vom One-stop-Shopping über die konsolidierte Abrechnung bis zum Kundenservice aus einer Hand. Wie stark sich diese Vorteile jedoch wirklich in Revenue-Streams übersetzen lassen, scheint derzeit noch offen.

Als interne Herausforderung erweisen sich vor allem die nicht einfache Finanzlage sowie übernommene Altlasten. Schuldenfinanzierte Übernahmen durch Private Equity Gesellschaften schränken die finanziellen Handlungsspielräume stark ein. Auch die permanente Verantwortlichkeit und Berichtpflicht den Investoren gegenüber fördert eher risikoaverses und Status-quo orientiertes Entscheidungsverhalten. Als Altlast kann sich insbesondere eine überkommene Unternehmenskultur entpuppen: Ausgebildet in einer Monopolstellung, mangelt es ihr häufig an Kunden- und Wettbewerbsorientierung, wobei die starke Fixierung auf wenige zentrale Produkte und klassische Geschäftsmodelle zugleich den Übergang zur Mehrproduktunternehmung mit sehr variablen Produkt- und Preisbündeln erschwert. Daß viele Mitarbeiter, teilweise als verbeamtete Ressourcen, übernommen wurden, behindert erforderliche Transformationsprozesse weiterhin.

Perspektiven und Optionen
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen stellt sich die Frage, wie und mit welchem Geschäftsmodell man in diesem Markt erfolgreich bestehen kann. Das heutige Angebot der deutschen Kabelnetzbetreiber besteht im Wesentlichen aus dem klassischen Fernsehangebot, das sich aus freiempfangbaren Fernsehkanälen und s.g. Pay-TV Kanälen zusammensetzt. Diese Kanäle werden unter verschiedenen Überschriften zu Bündeln zusammengestellt und mit Angeboten wie Internetzugang und VoIP-Telefonie ergänzt. Unterschiedliche Produkte wurden oder werden getestet mit sehr wechselndem Erfolg, die s.g. „Killerapplikation“ fehlt hier. Im Endeffekt ist das Produktangebot der maßgeblichen Unternehmen vergleichbar, sowohl hinsichtlich des Umfangs wie der Preisgestaltung.

Ähnlich wie in der deutschen Mobil-funkbranche ist die Suche nach einer echten „Killeerapplikation“ bislang nicht erfolgreich und auch EPC oder Pay-per-View Angebote konnten bislang nicht überzeugen. Das Angebot aller Dienste aus einer Hand inkl. mobiler Telekommunikation, das s.g. „Quadruple Play“, heute bereits bspw. von UPC praktiziert, ist die Losung der Zukunft, glaubt man der Branche. Doch selbst wenn man dies einmal unterstellt, bleibt die entscheidende Frage: Wer wird solche Angebote am schnellsten und effizientesten anbieten? Wer wird der Orchestrator sein, der die Service-Bündel schnürt und die verschiedenen Dienste zu bedarfsorientierten Angeboten konsolidiert? Grundsätzlich sind zwei verschiedene Szenarien denkbar und deuten sich in der Realität bereits an:

  1. Szenario 1: Kabelanbieter, die teilweise bereits Triple Play aus TV, Breitband-Internet und Fixed Line-Telefonie anbieten, akquirieren einen oder kooperieren mit einem Mobilfunkanbieter. Zahlreiche Beispiele lassen sich dafür in letzter Zeit finden: In den USA ist es die Kooperation von Sprint Nextel mit den vier größten Kabelanbietern Comcast, Cox, Time Warner und Advance/Newhouse, in Europa etwa die Zusammenarbeit von Telnet und BASE in Belgien, die Kooperation von Cablecom und Sunrise in der Schweiz oder etwa der Übernahmeversuch von Virgin Mobile durch NTL in Großbritannien.
  2. Szenario 2: Fixed line-Telefonanbieter, die neben DSL-Breiband-Internet-Angeboten häufig auch Mobilfunkangebote im Portfolio haben, erweitern die Kapazitäten ihrer DSL-Angebote um diese IPTV-fähig zu machen, wie es beispielsweise Hong Kong’s PCCW seit 2003 äußerst erfolgreich vormacht und etwa auch von der Deutschen Telekom angestrebt wird, wie es die unlängst abgeschlossene Kooperation mit Premiere deutlich unterstreicht.

Zwischen beiden Szenarien deutet sich ein Wettlauf an, dessen Ausgang derzeit nicht abzusehen ist. Dennoch scheint eine komparative Ex ante-Bewertung leichte Vorteile für das 1. Szenario zu ergeben: Nicht nur hinsichtlich des technischen und ökonomischen Aufwandes könnte es sich gegenüber Szenario 2 als überlegen erweisen. Hinzu kommt, dass Fixed line-Telefonanbietern häufig der Zugang zu attraktivem Content fehlt, dessen Akquisition sich zu einer weiteren Hürde für das 2. Szenario entwickeln könnte.

Unabhängig davon, wie dieser Wettlauf tatsächlich ausgeht, scheinen als strategische Optionen der Branche vollkommen neue Geschäftsmodelle denkbar, die in anderen netzwerkbasierten Industrien schon seit längerem zu beobachten sind. Zwei dieser neuartigen Geschäftsmodelle sollen im Folgenden beschrieben und diskutiert werden: die organisatorische Trennung von Netzvermarktung und -betrieb sowie die Etablierung eines neuen Spielertyps, den wir „Virtual Cable Network Operator (VCNO)“ nennen wollen. Im ersten Falle wäre es denkbar, daß die notwendige Kabelinfrastruktur mit ihren teuren infrastrukturellen Erhaltungsmaßnahmen und notwendigem technischen Wissen zum Betrieb und Ausbau in eigene Gesellschaften ausgegliedert wird, während die vermarktungsorientierten Aktivitäten wiederum in eigenen Unternehmen zusammengefaßt werden. Diese Gesellschaften könnten sich darum bemühen für die angeschlossenen Kabelkunden attraktive Inhalte zu entwickeln oder zu beschaffen und diese zu vermarkten.

Eine analoge Entwicklung beobachten wir bereits heute z.B. in dem kontrovers diskutiertem Fall der Deutschen Bahn, wo die Ausgliederung der Netzinfrastruktur zum Politikum geworden ist. Doch auch eng mit dem Kabelfernsehmarkt verwandte Branchen, wie der mobiler Telekommunikationssektor, befindet sich bereits auf dem besten Werge zu solchen Lösungen: Dort wurde in Zeiten von immensen UMTS-Lizenzkosten in aller Stille der jahrelanger Parallelaufbau von Infrastrukturen teilweise aufgegeben um gemeinsam Synergien in dem Bereich Betrieb der UMTS-Netze zu nutzen.

Die Vorteile für die heute im Markt präsenten Kabelgesellschaften wären offensichtlich: In Zeiten der erschwerten Kapitalbeschaffung auf Grund der spezifischen Finanzsituation der Unternehmen nach dem Einstieg der Investmentgesellschaften, wären die Kapitalbedarfe geringer. Auch könnten eventuelle Beschränkungen von Fusionen umgangen werden, neue Möglichkeiten zu Komposition von Firmennetzwerken würden eröffnet werden. Die Firma Arena (Tochter von Unity Media, dem Besitzer von Tele Columbus, iesy und Ish, Käufer der Pay-TV-Fußballbundesligarechte für die nächsten drei Spielzeiten) könnte der erster Versuch in diese Richtung sein.

Die zweite strategische Option besteht aus einer Form von Networksharing und Multiple-Access-Strategie, die neuen Spielern – eben VCNOs – den Netzzugang ermöglicht. Dabei sind zwei Typen von VCNOs denkbar: Anbieter von Spezialdiensten sowie Reseller, die Kabelangebote unter eigener Brand vermarkten und dabei quasi als virtueller Kabelnetzbetreiber auftreten. Während es sich bei ersteren um Anbieter mit Spezialkompetenzen handelt, die sich auf eine bestimmte Dienstleistung fokussieren – z.B. das Angebot von Online-Games, Musikdiensten etc. – sind erfolgreiche Reseller in der Regel etablierte Spieler mit breiter Kundenbasis, starker Brand und überlegenen Marketingkompetenzen. Zu denken wäre hierbei etwa an große Handelsketten, Content-Provider und vielleicht sogar an Telekommunika-tionsunternehmen.

Eine solche Option könnte den heute im Markt präsenten Kabelgesellschaften vielfältige Vorteile bieten:

  • Der Zugang zu bestehenden Kundenportfolios, zielgruppenspezifischere Ansprache- und Preisdifferenzierungsmöglichkeiten sowie oft überlegene Marketingkompetenzen würden nicht nur in einer höheren Marktpenetration, sondern auch einer verbesserten Ausschöpfung der kundenspezifischen Zahlungsbereitschaft resultieren. Die derart erzielte Vergrößerung des Gesamtmarktes sollte dabei auftretende Kannibalisierungseffekte deutlich überkompensieren.
  • Die verbesserte Netzauslastung führt zu einem kurzfristig steigenden Cash Flow und verkürzten Amortisationszeiten – ein Effekt, der in Zeiten knapper Liquidität nicht zu unterschätzen ist.
  • Gerade die Zusammenarbeit mit spezialisierten Serviceprovidern ermöglicht effiziente Formen des Risk Sharings bei der Einführung neuer Dienste.

Denkbar wären auch Exklusivpartnerschaften als Sonderform der Zusammenarbeit: der Kabelnetzbetreiber kann Partnern den ausschließlichen Zugang zu der Infrastruktur erlauben und bekommt dafür Mittel für technologische Entwicklungen oder Inhalte gestellt. So könnte ein Mobilfunk-Provider auf diesem Wege an eine Festnetzinfrastruktur gelangen für WLAN- und Festnetzproduktangebote, Medienkonzerne sowie politische oder glaubensorientierte Gruppierungen könnten angeschlossenen Kabelkunden mit Exklusivinhalten versorgen – „Wallet Garden“ Communities könnten entstehen nach Vorbild von AOL oder einem erweitertem „Kirchenfernsehen“. Die Zuschauer könnten einwilligen, wenn sie als Ersatz dafür Inhalte kostenfrei bekommen.

Fazit
Die Kabelindustrie steht momentan am Scheidepunkt. Nach einem beschwerlichen Auszug aus dem Paradies staatlicher Protektion und monopolistischer Marktbeherrschung bläst ihr der scharfe Wind des Wettbewerbs ins Gesicht. Dieser Wettbewerb erstreckt sich nicht nur auf Kundenbeziehungen innerhalb der Branche, sondern ebenso auf die Akquisition von Kapital zur Finanzierung erforderlicher Infrastrukturmaßnahmen sowie die drohende Überholung durch substitutive Technologien. Die damit benannten Herausforderungen erfordern schnelles und doch langfristig orientiertes Handeln. Zwar scheinen die aktuellen Handlungsoptionen dabei vorrangig durch die dominante technische Entwicklung determiniert – so erweist sich der Konvergenzprozess als nicht ignorierbarer Imperativ bei der Produktentwicklung – doch kommt es letztlich darauf an, vor dem Hintergrund dieser exogenen Einflussfaktoren eine optimale Strategie aktiv zu gestalten.

Dazu wurden verschiedene Optionen aufgezeigt, die insbesondere deutlich machen, dass traditionelle Geschäftsmodelle, wo nicht ganz über Bord geworfen, da doch zumindest signifikante Modifikation bzw. Ergänzung erfahren müssen. Als eine solche Modifikation wurde dabei die potenzielle Separation von Netzbe- und -vertrieb diskutiert, als eine Ergänzung die Kooperation mit einem neuen Spielertyp, den wir als Virtual Cable Network Operator eingeführt haben. Und doch zeichnen sich weitergehende Transformationsprozesse der gesamten Telekommunikationslandschaft ab. Denn die Konvergenz verschiedener Technologien und Medien – etwa von Kabel-, Festnetz-, Mobilfunk- und IP-Technologie – wird auch eine zunehmende Verzahnung bisher unabhängiger Industrien mit sich bringen. Wie die neue Landschaft genau aussehen wird, ist heute noch nicht absehbar. Doch verschiedene Entwicklungslinien wurden zumindest skizzenhaft aufgezeigt.

Die Autoren

Dr. Achim Hecker ist Assistant Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Freiburg und berät neben seiner wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit verschiedene Unternehmen bei aktuellen strategischen Fragestellungen.

Dr. Lukas Röhrs ist Unternehmensberater & Inhaber der Beratung Roehrs & Partner, Dozent und Autor.

eingestellt am 25. Januar 2007