Teil 2: Reinvent or Die! So stellen CEOs den Status quo infrage und wecken ihren Erfindergeist

In seinem ersten Gastbeitrag setzte sich Karl Krainer mit der grundsätzlichen Notwendigkeit des Neuerfindes auseinander. Doch wie soll Reinvention dem C-Level in der Praxis gelingen? Genau das beantwortet Krainer in seiner Fortsetzung.
Wer den Status quo immer wieder aufs Neue herausfordert, landet schneller auf der Überholspur

Von Gastautor Karl Krainer, CEO der Marken- und Innovationsberatung Gedankenfabrik

Den eigenen Weg für eine kontinuierliche Reinvention zu finden, ist die Schlüsselherausforderung für jedes Unternehmen. Denn nur wer sich stetig neu erfindet, wird langfristig bestehen. Das haben viele Unternehmen inzwischen verstanden und fangen an, mehr auf ihre eigenen Fähigkeiten zu achten und nicht blind neuen Impulsen zu folgen. Vor Beginn einer erfolgreichen Reinvention müssen Unternehmen allerdings ihre Hausaufgaben machen. Karl Krainer erläutert, worauf es dabei ankommt und wie die Basis für eine erfolgreiche Reinvention aussieht. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet dabei oftmals die Offenheit und Ehrlichkeit des Managements. 

Fünf Reinvention-Fragen für das C-Level

Für einen erfolgreichen Reinvention-Ansatz ist die Beantwortung von fünf Kernfragen unabdingbar. Klingt einfach, aber die Erfahrung zeigt, dass viele Unternehmen schon bei den ersten zwei Fragen ihre Mühe haben. Folgende Fragen sollten sich Entscheider stellen, wenn sie herausfinden wollen, inwieweit ihr Unternehmen reinventionfähig ist:

1. Welche Ansprüche und Bedürfnisse hat mein Kunde?

Wann habe ich zum besseren Verständnis der Kundenanforderungen eigentlich zum letzten Mal mit einem Kunden gesprochen, mein eigenes Produkt selbst genutzt und mich wirklich in die Lage des Nutzers versetzt? Ist mir klar, wie sich der Nutzer in der digitalen Revolution insgesamt weiterentwickelt und welche neuen Ansprüche entstehen? Entspricht mein Businessmodell oder Produkt diesen neuen Anforderungen?

2. Wofür steht meine Marke aus Kundensicht?

Welcher klare Kerngedanke steht hinter der Marke? Welche konkreten Benefits bietet sie dem Kunden und wie differenziert man sich in Bezug auf den Wettbewerb? Was sind die Kernstärken und -kompetenzen? Ist ein Markenkonstrukt oder -modell vorhanden, das allen Orientierung gibt?

3. Was ist meine Vision für das Kundenerlebnis?

Hier geht es darum, nicht nur das nächste Geschäftsjahr im Blick zu haben, sondern eine klare nutzerorientierte und langfristige Ausrichtung, die ich missionarisch mit allen im Unternehmen teile. Das kann auch ein gut formulierter „Purpose“ sein.

4. Welche Innovationen unterstützen dauerhaft und glaubwürdig die Kundenanforderungen, die Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb und die eigene Vision?

Habe ich eine klare Innovations-Roadmap bei der alle Innovationsbereiche abgedeckt sind? Dazu müssen sowohl Optimierungs- und Wachstums-Innovationen, als auch disruptive Bereiche gehören. Und ist Innovation mit der vorher definierten Marke verknüpft? Werden tatsächlich Mehrwerte für den Kunden kreiert? Entsprechen sie den Erwartungen des Konsumenten?

5. Inwieweit wird der Reinvention-Gedanke dauerhaft in der Organisation gelebt und als permanenter Prozess verankert?

Sind die Voraussetzungen für eine gelebte Innovationskultur geschaffen? Einerseits innerhalb eines übergreifenden Eco-Systems mit externen Partnern als erweiterte Organisation. Andererseits – und das wird immer wichtiger – mit dem eigenen starken Rollenverständnis als Manager, der sein Team motiviert und dazu empowert, die Herausforderungen zu bewältigen.

Die Beantwortung der ersten vier Fragen ist die Basis für erfolgreiche Reinvention. Die letzte Frage ist verbunden mit der jeweiligen Corporate Culture und oft die größte Herausforderung für das Gelingen. Wenn es Schwierigkeiten beim Beantworten der Fragen gibt, dann gilt es, konkret daran zu arbeiten und zu hinterfragen, warum es Probleme dabei gibt.

Good News

Es gibt verschiedenste Wege das Thema Innovation anzugehen. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, wie Innovation permanent vorangetrieben und gelebt werden kann.

1. Adobe verfolgt eine holistische Vorgehensweise als Company-Innovation-Ansatz

Ein spannendes Beispiel hierfür ist die Adobe Kickbox mit dem Grundgedanken „Build innovators, not just innovations“. Adobe hat allen Mitarbeiter mit der Kickbox ein physisches Toolkit ausgehändigt und so jeden Einzelnen befähigt, selbst einen Innovationsprozess zu starten. Neben dem Innovations-Prozess und vielen Tools (u.a. das Bad Idea Book), Schokolade und Koffein enthält die Kickbox auch eine Kreditkarte mit einem 1.000 US-Dollar Guthaben, um die Idee zu entwickeln. Adobe schafft es so, aktiv den Innovations-Mindset bei allen Mitarbeitern zu verändern. Innovation wird zum gelebten Teil der Unternehmenskultur. Und es passt perfekt zu Adobes Ansatz und der Markenaussage „Make it an Experience“.

2. „Think big“ Ansatz mit Allianz X

Der Versicherer Allianz hat sich mit seiner Renewal Agenda viel vorgenommen. Ein zentrales Ziel ist die durchgängige Digitalisierung („digital by default“) des Unternehmens. Eine tragende Säule ist unter anderem der Company Builder Allianz X, der mit fast 500 Millionen Euro ausgestattet wurde, um zielgerichtet Innovationen im Bereich InsurTech zu generieren und global zu skalieren.

3. Innovation delivered von Deutsche Post DHL

Das hätte man von der Deutschen Post DHL wohl nicht erwartet: Den Lauch des neuen Deutsche Post „e-Scooter“, dem eigens konzipierten vollelektrischen Lieferfahrzeug. Basierend auf der Mission „Excellence. Simply Delivered“ hat man im Bereich Logistik mit dem Thema Klimaschutz und Effizienz den Pioniergeist geweckt und mit ausreichend Reichweite für einen Tag Paketzustellung sowie hoher Effizienz dank Wartungsarmut etwas Einzigartiges geschaffen. Das macht selbst Unternehmen wie VW neidisch. Mittelfristig soll die gesamte Zustellflotte durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Hier zeigt sich der Mut, Barrieren – auch intern – zu überwinden. Risiken einzugehen und dabei seinem Kern treu zu bleiben.

Fazit

Bei allen genannten Beispielen ist der Denkansatz der tatsächlichen Wertgenerierung vorhanden. Der gemeinsame Faktor lautet: Managed Reinvention. Sei es bei Adobe mit dem unternehmensweiten Tinkering, bei dem Dinge einfach ausprobiert werden können. Oder bei der Allianz, die mit völlig neuen digitalen Services langfristig beim Kunden scoren wollen oder bei Deutsche Post DHL, die sprichwörtlich etwas völlig Neues auf die Straße bringt. Die einfache Erfolgsformel lautet: Reinvention = Gelebte Marke + kontinuierliche Innovation. Das dauert allerdings seine Zeit. Organisation und Menschen müssen mitgenommen werden. Ein schönes Beispiel für den intensiven Reinvention-Prozess ist die Scout24-Gruppe, die gerade organisatorisch mitten in diesem steckt. So hat man bei Scout24 gerade das Start-up-Accelerator-Programm „YouIsNow“ abgeschaltet und setzt nun voll auf digitale Transformation von innen.

Es fängt immer mit dem ersten Schritt an. Und bei Reinvention ist der erste Schritt die Beantwortung von den fünf oben erläuterten Fragen. Reinvent or die ist nicht die Frage des Ob. Auch nicht die Frage des Wann. Sondern des Wie. Nämlich den individuell richtigen Ansatz zu finden. Full Speed. Und mit Mut und Ausdauer dabei zu bleiben.

Dieser Gastbeitrag ist die Fortsetzung des Artikels „Reinvent or die“, der sich mit der grundsätzlichen Notwendigkeit der Reinvention auseindersetzt.