Start-ups in der Corona-Krise: „Wir sind nicht in Panik verfallen“

Corona unterzieht auch die deutsche Gründeszene einem Stresstest. Wir stellen drei junge Firmen vor, die ihren speziellen Weg gefunden haben, um sich durch die Krise zu manövrieren. Heute Folge 2: Das Start-up LoyJoy unterstützt seine Kunden dabei, per Chatbot mit ihren Kunden in Verbindung zu treten.
Ulf Loetschert ist einer von zwei Gründern des Conversational-Marketing-Spezialisten LoyJoy. (© LoyJoy)

„Es war ungewohnt, aber schön, mal wieder rauszukommen und beim Kunden vor Ort zu sein“, sagt Ulf Loetschert über seine erste Dienstreise seit Februar. Er ist guter Dinge, dies bald wieder öfter zu tun, wenn auch nicht mehr so oft wie vor Corona: „Wir haben wohl alle gelernt, dass sich vieles auch per Web-Konferenz machen lässt. Doch für das erste Kennenlernen ist der persönliche Kontakt immer noch am besten.“

Loetschert ist Co-Gründer und Geschäftsführer von LoyJoy, einem Start-up aus Münster, dessen Geschäftsmodell auf der Digitalisierung, genauer gesagt auf Conversational Marketing beruht. „Wir bringen Unternehmen in einen automatisierten Dialog mit ihren Kunden“, erklärt der Gründer. Dafür entwickelt LoyJoy seit 2018 Chatbots: „Unser Ansatz ist, die Customer Journey in einen Chat-Dialog zu wandeln.“ Zu den Kunden des Software-Entwicklers zählen der Konsumgüterkonzern Beiersdorf mit seiner Kosmetikmarke Nivea, der Müsli-Hersteller Kölln und der französische Käsehersteller Savencia (Saint Albray, Géramont).

90 Prozent der Gründungen schaffen keine drei Jahre

Als Erfolgsrezept in der aktuellen Krise hat sich Loetschert zufolge die vorsichtige Aufbauphase in der Vor-Corona-Zeit erwiesen. Auch er habe die Zahl im Hinterkopf gehabt, dass 90 Prozent der Neugründungen die ersten drei Jahre am Markt nicht überstehen. Daher sei Beständigkeit das erste Ziel gewesen. „Wir sind komplett eigenfinanziert und haben unser Team zunächst bewusst schlank gehalten“, erklärt der Gründer. Derzeit besteht das Team aus fünf Mitarbeitern, doch in der Corona-Zeit – auch das ein Ausdruck von Optimismus – kamen zwei neue Mitarbeiter hinzu.

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Loetschert spricht von einer „westfälischen“ Start-up Mentalität: „Wir versuchen, sehr gute Kundenbeziehungen aufzubauen, dann beim Kunden zu liefern und uns komplett über die Umsätze zu refinanzieren.“ Operativ geschehe dabei viel über Automatisierung. Die Chat-Plattform sei „Self-Service“-fähig, das heißt, die Kunden können nach einer Einweisung vieles selber machen oder wiederum von anderen Dienstleistern erledigen lassen.

Rückgriff auf finanzielles Polster nicht nötig

„Wir wussten, dass wir auch ohne neue Umsätze etwa ein Jahr finanziell überstehen könnten. Dadurch sind wir in der Krise nicht in Panik verfallen“, erinnert sich Geschäftsführer Loetschert. Dadurch, dass es die Gründer von Beginn an eher klein gehalten haben, sei es ihnen möglich gewesen, früh ein finanzielles Polster zu bilden, auf das sie zurückgreifen hätten können – mussten sie dann allerdings gar nicht. LoyJoy hat die Krise bislang ohne das Antasten der eigenen Rücklagen und auch ohne Kurzarbeit oder andere staatliche Hilfen bewältigt: „Wir hatten nie zu wenig zu tun, sondern eher zu viel. Deswegen verteilen wir die Aufgaben jetzt auf weitere Köpfe“, sagt der Chef.

Ulf Loetschert (40) ist Initiator und Co-Founder von LoyJoy. Er ist Marketer, IT-Experte und Speaker auf zahlreichen Events. Er bringt langjährige Expertise als Management- und IT-Berater mit. Er ist Diplom-Kaufmann und Absolvent der Universität Münster. © LoyJoy

Auch das Timing habe eine wichtige Rolle gespielt: „Ich habe frühzeitig proaktiv die Kunden angesprochen, mit denen Verträge ausgelaufen wären, und ein Vorziehen der Verlängerungen vorgeschlagen.“ Für die meisten Kunden sei das in Ordnung gewesen. Vereinzelt seien später die Rückmeldungen von Kunden gekommen, dass die Budgets eingefroren wurden – Loeschert konnte sich bestätigt fühlen, früh gehandelt zu haben. Seine Auftraggeber haben das Thema Corona auch in ihrer Kommunikation aktiv aufgegriffen. Der Gründer nennt das Beispiel Beiersdorf: Der Konsumgüterhersteller habe seinen Kunden in verschiedenen Ländern mithilfe der Software des Start-ups Beschäftigungstipps für die Zeit des Lockdowns gegeben.

Investitionen zahlen sich nach der Krise aus

Auch wenn einige Interessenten zwischenzeitlich abgesprungen sind, seine Bestandskunden konnte LoyJoy halten. Eine kleine Umsatzdelle sei mittlerweile überstanden. Sein Geschäftsmodell sieht Gründer Ulf Loetschert in der Krise gestärkt: „Das Thema Digitalisierung und die Frage, wie kann ich meine Marke in die digitale Welt bringen und eine Reichweite aufbauen, wird jetzt noch wichtiger.“ So glaubt er auch daran, dass potenzielle Kunden die Chance ergreifen: „Auch wer in der Finanzkrise in seine Brand investiert hat, der hatte sicherlich mehr von den zehn Jahren Aufschwung danach.“

Chatbots aus dem Hause LoyJoy für die Telekom und Nivea

Inzwischen ist LoyJoy mit seinen Software-Lösungen für Kunden in 40 Ländern aktiv – ein großer Rollout für eine kleine Firma, die das Wachstum aus eigener Kraft stemmt. Loetschert ist mittlerweile nicht mehr abgeneigt, auch mithilfe von Investorenkapital stärker zu wachsen und zu expandieren: „Wir schließen das nicht aus, aber es muss zueinander passen.“ Venture Kapital werde auch ‚Rocket Fuel‘ genannt. „Das brauche ich dann, wenn ich die Rakete fertig hab. An diesem Punkt sind wir nun.“

Einen Schwerpunkt zum Thema Start-ups in der Corona-Krise finden Sie in unserer aktuellen Print-Ausgabe 09-2020 der absatzwirtschaft. Diese und weitere Ausgaben können Sie hier bestellen.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.