Start-ups in der Corona-Krise: Das Kinoerlebnis am Leben halten

Corona unterzieht auch die deutsche Gründeszene einem Stresstest. Wir stellen drei junge Firmen vor, die ihren speziellen Weg gefunden haben, um sich durch die Krise zu manövrieren. Heute Folge 1: Das Start-up Junique Productions und seinen Gründer Simon Perron, der unverhofft vom Serien-Produzenten zum Autokino-Betreiber wurde.
Das Autokino in München entstand auf dem Parkplatz des Zenith, der zweitgrößten Konzerthalle in der Landeshauptstadt. (© Marc Seibold)

Corona hat Simon Pirron zum Kinobetreiber gemacht. Seinen Alltag beschreibt der Jungunternehmer so: „Ich gehe morgens um 9 ins Büro, komme um 16 Uhr nach Hause, gehe um 19 Uhr zum Autokino und bin nachts um 2 im Bett. Und wenn mal etwas liegengeblieben ist, muss ich mir den Wecker auf 4 Uhr morgens stellen.“ Trotz seiner Leidenschaft zum Film hätte der 30-jährige Gründer noch zu Jahresbeginn nicht zu denken gewagt, einmal ein eigenes Kino zu führen. Schließlich entwickeln er und seine Mitgründerin Jette Volland normalerweise Serienformate für Streamingdienste, TV und Social-Media-Kanäle. Das Autoren-Produzenten-Duo hat zusammen der Filmhochschule in München studiert und im Jahr 2018 die junge Produktionsfirma Junique Productions gegründet.

Dem „Produzenten-Start-up“, wie Pirron seine Firma nennt, habe es auch während der Corona-Krise nicht an Aufträgen gemangelt. Dennoch kamen er und eine weitere frühere Kommilitonin, Veronika Faistbauer, Ende März auf die Idee, in München ein Popup-Autokino zu eröffnen. „Der Lockdown hatte sich gerade angekündigt, das schien uns die einzige Möglichkeit zu sein, wie man Kino auf der großen Leinwand weiterhin anbieten kann.“ Die bürokratische Vorarbeit sei sehr komplex gewesen. Der Versuch eines Wettbewerbers, ein Autokino auf der Theresienwiese zu eröffnen, scheiterte letztlich an städtischen Auflagen – was sicher von Vorteil Pirrons Initiative war. Inhaltlich kam ihm und seiner Mitinitiatorin natürlich ihre Nähe zum Film und ihre Kontakte in die Branche zugute.

Mehr als 7000 Besucher seit Ende Mai

„Wir haben es schließlich geschafft, am 20. Mai mit dem Spielbetrieb zu starten.“ Seitdem laufen in Schwabing-Freimann täglich Filme auf dem Parkplatz direkt neben dem Zenith, der zweitgrößten Konzerthalle der bayerischen Landeshauptstadt. Mittlerweile haben mehr als 7000 Gäste das einzige Autokino im Münchener Stadtgebiet besucht (Stand Juli 2020). Davor hatte es mehrere Jahrzehnte keine oder nur die Alternative in Aschheim im nordöstlichen Münchener Umland gegeben, wo die bundesweite Kette Drive-In ein Autokino betreibt.

Simon Pirron, Jahrgang 1989, ist Co-Gründer und Produzent von Junique Productions, einer Produktionsfirma mit Sitz in München und Berlin. Der zweifache Familienvater greift auf jahrelange Erfahrung als Freelance Producer in der Werbung zurück. In seinen Projekten stehen Storytelling, Zielgruppe, Marketing und Auswertung eng beisammen. © wunderland media

Die Technik, darunter ein hochwertiger Barco-Digitalprojektor, haben die Gründer gemietet, nur das Leinwandtuch mussten sie kaufen. Die Startkosten für alles beziffert Pirron auf knapp über 90.000 Euro. „Weil bundesweit Autokinos neu eröffnet wurden und wir vergleichsweise spät an den Start gegangen sind, hatten wir das Problem, dass die Technik teilweise schon abgewandert war.“ Für die 16 mal 8 Meter große Leinwand bauten sie schließlich auf ein Baugerüst – was wiederum erst genehmigt und vom Bauamt angenommen werden musste.

Damit die Chance besteht, die Startkosten wieder einzuspielen, wichen die Gründer schnell von ihrem eigentlichen Plan ab, das Popup-Kino nur für sechs Wochen zu betreiben: „Wir haben uns entschlossen, bis zum 31. August zu verlängern.“ Dahinter steckt auch das öffentliche Verbot von Großveranstaltungen, die in Bayern zunächst bis zum selben Datum untersagt wurden.

Kino wird zur Bühne für „Filmfest Popup“

Neben dem normalen Abendprogramm hat das Autokino eine Kooperation mit Filmfest München geschlossen: Für das Format „Filmfest Popup“ ist das Kino der Hauptaustragungsort mit insgesamt sieben Weltpremieren zwischen Mitte Juli und Ende August, zu denen auch Darsteller, Produzenten und Regisseure vor Ort sind. „Es ist eine einmalige Kooperation, die zeigt, dass die Filmwirtschaft zusammenhält und der Krise mit Engagement und Kreativität begegnet“, sagt Pirron. Weitere (Medien)Partner sind der Telekommunikationsanbieter M-Net, Fritz Kola, Ströer, Ego.FM, Geheimtipp München und der Systemgastronom Sausalitos.

Autokino und Filmfest-Location, auch dabei wollten es Pirron und seine Mitstreiter, insgesamt gehören mittlerweile rund ein Dutzend Personen zum Team, nicht belassen: Seit Anfang Juli können Besucher auch ohne Auto Tickets lösen und auf 100 Liegestühlen im vorderen Bereich des Kinos Platz nehmen. Zudem wird die Location auch für Firmen-Events genutzt. „Wir haben die schönsten Sonnenuntergänge Münchens zu bieten“, sagt der Gründer, der sich – Corona hin oder her – auch ein Comeback des hybriden Open-Air- und Autokinos 2021 vorstellen kann. Eine weitere Entwicklung, die er Anfang dieses Jahres nicht auf dem Plan hatte, aber die er erklären kann: „Wenn du immer nur das macht, von dem du vorher weißt, dass es sich lohnt, dann entstehen solche Projekte nicht. Du musst auch mutig sein und deinem Bauchgefühl vertrauen.“

Einen Schwerpunkt zum Thema Start-ups in der Corona-Krise finden Sie in unserer aktuellen Print-Ausgabe 09-2020 der absatzwirtschaft. Diese und weitere Ausgaben können Sie hier bestellen.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.