Sigmar Gabriel Favorit als Cheflobbyist der Autoindustrie

Der VDA ist einer der einflussreichsten Industrieverbände – und derzeit auf der Suche nach einem stimmgewaltigen Cheflobbyisten. Mit Sigmar Gabriel könnte er gefunden sein. Auf ihn käme angesichts von "Dieselgate" und Klimadebatte eine schwierige Aufgabe zu.
Vom Spitzenpolitiker zum Cheflobbyisten der deutschen Autoindustrie? Sigmar Gabriel gilt als heißer Kandidat. (© Imago)

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist Medienberichten zufolge Favorit für den Chefposten beim Verband der Automobilindustrie. „Gabriel ist zu 99 Prozent sicher“, zitierte die „Bild am Sonntag“ einen nicht genannten Manager der Branche. Der ehemalige Vize-Kanzler sei der Wunschkandidat der Autokonzerne und der Zulieferer.

Neben Gabriel soll die frühere CDU-Politikerin Hildegard Müller im Rennen sein, wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ am Wochenende berichtete. Ihr werden laut „BamS“ aber nur Außenseiterchancen eingeräumt. „Die Reihenfolge steht fest“, zitiert das Blatt informierte Kreise. Details sollen dem Bericht zufolge in der kommenden Woche mit Gabriel geklärt werden. „Sollten keine unüberbrückbaren Differenzen mit Gabriel auftreten, wird er der neue Präsident.“ Zuvor hatten unter anderem der „Tagesspiegel“ und das „Handelsblatt“ über Gabriels Aussichten für die VDA-Spitze berichtet.

Der Posten des Spitzenlobbyisten der Autoindustrie muss neu besetzt werden, nachdem Bernhard Mattes im September während der IAA in Frankfurt überraschend seinen Rückzug zum Jahresende 2019 angekündigt hatte. Der frühere Ford-Manager ist erst seit März 2018 VDA-Präsident, seine Amtszeit lief eigentlich bis Ende 2020.

Lobbyverband mit 800.000 Beschäftigten

Der VDA ist einer der einflussreichsten Lobbyverbände in Deutschland, die Autobranche mit mehr als 800.000 direkt Beschäftigten eine Schlüsselindustrie. Der Verband gilt als schwer zu führen, weil er die verschiedenen Interessen der Hersteller sowie der Zulieferer unter einen Hut bringen muss. Ihm wird zudem eine große Nähe zur Politik nachgesagt. Die Autoindustrie war aber wegen des Dieselskandals schwer unter Druck geraten. Ein weiteres großes Thema ist die Klimadebatte und der angepeilte Umbau des Autoverkehrs in Richtung E-Mobilität.

Laut „Bams“ erhofft sich die Branche von Gabriel angesichts dieser Problemlagen „wieder mehr politisches und gesellschaftliches Gehör“. Gabriel war zuletzt bis März 2018 Außenminister, davor Chef des Wirtschaftsressorts in Berlin – und hatte als Ministerpräsident des Autolandes Niedersachsen auch einen Sitz im Aufsichtsrat bei Volkswagen.

Gabriel ist derzeit noch Abgeordneter des Bundestages für den Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel, wird sein Bundestagsmandat aber zum 1. November abgeben, wie er Ende September angekündigt hatte. In einem Schreiben an Freunde und Weggefährten hatte er diesen Schritt mit „sehr persönlichen Gründen“ erklärt.

Andere Töne nach der Zeit als Minister

Mit rechtlichen Problemen muss Gabriel bei einem Wechsel in die Wirtschaft nicht rechnen: Das Bundesministergesetz sieht lediglich vor, dass Mitglieder der Bundesregierung „innerhalb der ersten 18 Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt eine Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes“ anzeigen müssen. Allerdings hatte der SPD-Politiker sich selbst kurz nach dem Ausscheiden aus dem Ministeramt distanziert zu einer Tätigkeit als Lobbyist geäußert: „Man soll nicht an Türen klopfen, hinter denen man selbst mal gesessen hat“, sagte er damals der „Bild“-Zeitung.

In der SPD stießen die Berichte am Montag auf ein geteiltes Echo: Der frühere SPD-Chef Gabriel bringt aus Sicht von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil Voraussetzungen mit, den Wandel der Autobranche voranzubringen. „Er ist jemand, der als Wirtschaftsminister, als Umweltminister profiliert ist in so einem Bereich“, sagte Klingbeil. Derweil sieht Norbert Walter-Borjans den möglichen Wechsel von Gabriel zum VDA kritisch: Der Kandidat für den SPD-Vorsitz rechnet in diesem Falle mit viel innerparteilicher Kritik. „Ja, das wird Menschen stören. Da bin ich sicher“, sagte Walter-Borjans der „Bild“. Der mögliche Spitzenposten für den früheren SPD-Parteichef beim Verband der Automobilindustrie werde bei den Sozialdemokraten zu „Konfrontationen“ führen. „Jeder, der einmal eine herausgehobene Funktion hatte, muss auch für die Zeit danach abwägen, inwiefern er der Familie, aus der er stammt, einen Gefallen tut oder nicht“, gab Walter-Borjans zu bedenken.Kritische Stimmen kamen von den Linken im Bundestag: „Wenn ein Ex-Wirtschaftsminister 2,5 Jahre später Chef-Autolobbyist werden soll, hat das einen üblen Beigeschmack“, schrieb Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch im Kurznachrichtendienst Twitter. „Ich finde das unanständig. Wegschauen beim Dieselskandal und Ausbremsen der E-Mobilität erscheinen nunmehr in einem anderen Licht.“

Wenn Spitzenpolitiker zu Lobbyisten werden

Gabriel wäre nicht der erste hochrangige Ex-Politiker, der nach seiner politischen Tätigkeit in die Wirtschaft wechselt. So übernahm sein Parteigenosse Gerhard Schröder kurz nach seinem Abschied aus dem Kanzleramt 2005 den Aufsichtsrats-Vorsitz bei der vom russischen Konzern Gazprom dominierten Ostsee-Pipeline Nord Stream. Schröder hatte sich als Regierungschef für das Projekt eingesetzt.

Hildegard Müller (CDU), die als Konkurrentin Gabriels um den VDA-Posten im Gespräch ist, war früher Kanzleramtsministerin sowie Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel und wechselte im Oktober 2008 als Hauptgeschäftsführerin zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Und auch der frühere VDA-Präsident Matthias Wissmann (CDU) war vor seiner Arbeit als Lobbyist politisch aktiv, zuletzt als Bundesverkehrsminister. Aber auch frühere Spitzenpolitiker von Grünen und FDP sind in die Wirtschaft und zu Lobbyistenvertretungen gewechselt.

dpa/tht

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