Sie lügen, betrügen und tricksen: Warum Hochstapler mitunter trotzdem Sympathien genießen

Da praktizieren falsche Ärzte, therapieren Hobbypsychologen wehrlose Patienten, verkaufen Schwindler gutgläubigen Opfern miese Geldanlagen – der Hochstapler ist eine Figur, die in jeder Branche immer mal wieder auftaucht. Früher waren es oft falsche Prinzen, oder überlebende Zarentöchter – heute verstecken sich die Betrüger hinter wechselnden Online-Identitäten, montieren Fotos, unterwandern Agenturen.
Hochstapler verursachen häufig immense Schäden, genießen mitunter aber dennoch Sympathien (© Photo by Brooke Cagle on Unsplash)

Von Gebina Doenecke

Fast jeder kennt dieses unangenehme Gefühl: Was, wenn ich meine Position nur durch Zufall erreicht habe? Wenn mein Erfolg nicht auf meine Leistungen zurückzuführen ist, sondern alles nur Glück war? Vielleicht habe ich meine Stellung gar nicht verdient – und irgendwann merken das alle? Laut Umfragen neigen vor allem erfolgreiche Frauen zu solchen Selbstzweifeln – und fühlen sich mehr als Männer von anderen beobachtet.

Diese trüben Gedanken sind bis zu einem gewissen Maß normal. In ganz schlimmen Fällen spricht die Wissenschaft vom Impostor- oder Hochstapler-Phänomen. Und manchmal hilft da tatsächlich nur eine Therapie, um das schlechte Selbstbild zu korrigieren.

Ganz anders liegt da der Fall beim echten Hochstapler: Der gibt sich tatsächlich als andere Person aus, fälscht ohne Skrupel Dokumente, betrügt und trickst. Viele Hochstapler sind Wiederholungstäter, und sie kommen in allen Bereichen vor, allerdings sind prestigeträchtige Berufe besonders anfällig.Erst vor einigen Monaten wurde zum Beispiel in Flensburg ein Notarzt überführt, der offenbar gar kein Examen hatte. In Norddeutschland unterrichtete jahrzehntelang eine Frau an verschiedenen Schulen als Lehrerin – mit gefälschtem Abizeugnis und fingierten Staatsexamina. Und gerade erst ist Wolfgang Seibert, der langjährige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg bei Hamburg, zurückgetreten. Das Magazin „Spiegel“ hatte im Oktober 2018 geschrieben, Seibert, der auch ein bekannter Gast in Deutschlands Talkshows war, habe große Teile seiner Biografie erfunden – und sei gar kein gebürtiger Jude.

Mitgefühl und Schadenfreude

Wir haben ein zwiespältiges Verhältnis zum Hochstapler. Für die Opfer empfinden wir Mitleid, aber manchmal mischt sich darin auch Schadenfreude, dann lachen wir über ihre Leichtgläubigkeit oder wundern uns über die grenzenlose Gier der Geschädigten: Der eine will mit wenig Geld absurd hohe Renditen erzielen und wundert sich dann, dass er einem Betrüger ein obskures Schneeballsystem finanziert hat. Da erwirbt im 19. Jahrhundert ein Schrotthändler den Eiffelturm, ein anderer Mensch bezahlt ein Jahrhundert später einen Mondflug – beides ist so wirklich passiert.

Hochstapler sind gute Schauspieler, die ihr Gegenüber mit Einfühlungsvermögen manipulieren – eine erste Lüge führt zur nächsten. „Das sind oft intelligente Menschen, die mitunter sehr charmant sind und sich gut in andere hineinversetzen können“, erläutert der Berliner Psychologieprofessor Peter Walschburger, der sich intensiv mit der Biografie von Hochstaplern beschäftigt hat.

Die Lügenmärchen der IT-Expertin

Und weil die Täter so geschickt agieren, sind die Opfer mitunter auch gar nicht so naiv, wie man glauben könnte, sondern hatten nur das Pech, am falschen Ort der falschen Person begegnet zu sein. Meist fehlt einfach die Zeit, Angaben genau zu überprüfen. Und manchmal kann man sich einfach gar nicht vorstellen, dass diese nette Person, die einem da gegenübersitzt, längst pleite ist und dicke Lügen erzählt.

So erging es auch der Geschäftsführung einer Agentur für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in München, die etliche Kunden aus dem Mittelstand betreut: Der Gründer und ehemalige Leiter der Agentur hatte zunächst in einer Praxis eine junge, eloquente IT-Expertin kennengelernt – und weil Kunden jetzt alle nach Digitalstrategien verlangten, kam es zum ersten Treffen mit der aktuellen Geschäftsführung.

„Die hatte solche Visionen, die konnte uns mitreißen“, berichtet einer der beiden Vorstandsvorsitzenden. Erst übernahm seine Agentur 51 Prozent an der Digital-Firma, später wurde diese ganz in die Agentur integriert. „Wir hatten sie für Suchmaschinenoptimierung und Suchmaschinenmarketing geholt. Doch nichts, was sie versprochen hatte, wurde eingehalten.“ Aufträge wurden nur schlampig oder zum Teil ausgeführt – später häuften sich die Beschwerden. „Die hat uns viel Reputation bei unseren Kunden gekostet. Wir mussten im Nachgang mühsam alle Scherben auflesen“, so der Agenturleiter.

Die IT-Expertin ließ wohl Scheinrechnungen an die Tochterfirma stellen, entnahm privat immer wieder viel Geld – das Ausmaß entdeckte der Vorstand leider erst viel zu spät. Da meldeten sich plötzlich noch weitere Gläubiger direkt bei der Agentur. Unter anderem hatte die adrette Person wohl öfters ihre Miete nicht bezahlt und war offenbar auch noch als Mietnomadin unterwegs. Doch das war nicht alles: Für die Agentur sollte es noch dicker kommen.

In der Tat suchen sich Blender und Hochstapler oft kleinere und mittlere Firmen – große Unternehmen leisten sich meist im Vorfeld Experten, die Angaben zur Vita nachprüfen. „Je höher die Position ist, desto umfangreicher wird die Recherche vorab“, erklärt zum Beispiel Jeanette Hron, die seit vielen Jahren in globalen Großunternehmen für die Gewinnung von Talenten zuständig ist, unter anderem in leitenden Positionen bei Danone, Sandoz und der Munich Re. „Wenn jemand sagt, er habe in Harvard studiert, wird das natürlich überprüft. Aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie“, so Hrons Fazit.    

In der geschädigten Agentur in München will heute am liebsten niemand mehr an die ehemalige Mitarbeiterin, „an diese Person“, erinnert werden. „Natürlich wäre es wichtig gewesen, wir hätten vorab die Referenzen überprüft und bei ehemaligen Kunden angerufen, aber dafür haben wir uns einfach nicht die Zeit genommen“, räumt der Chef selbstkritisch ein.

Immerhin befinden sich die Münchner in guter Gesellschaft: Hochstapeleien gab es zu allen Zeiten, überall, und immer wieder. Sprichwörtlich geworden sind der berühmte Heiratsschwindler und die raffinierte Trickbetrügerin. Heute wird mit gefälschten Internetidentitäten agiert, fix eine Homepage gebastelt, das Impressum gefälscht, die deutsche Kontoverbindung dazu gemietet oder geklaut. Da versprechen windige Unternehmer den schnellen Bitcoin-Gewinn oder das opulente Zwanziger-Jahre-Kleid, das leider
niemals aus China ankommt. Auch das ist eine Form der Betrügerei, der Hochstapelei.

In der Literatur, im Theater, im Film geht es immer wieder um Hochstapler, oft gibt es dazu eine reale Vorgeschichte. So besetzte Friedrich Wilhelm Voigt 1906 in Hauptmannsuniform das Rathaus der Stadt Cöpenick: Sein Husarenstück ist durch das Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ und Verfilmungen bis heute bekannt. Mehrere Filme gab es über die Frauen, die 1918 angeblich das Massaker an der russischen Zarenfamilie überlebt hatten: Alle wurden als Schwindlerinnen überführt.

Weltberühmt wurden auch Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“: In der erfundenen Lebensbeichte erzählt ein mittlerweile müder Schwindler, wie er, Sohn eines Schaumweinfabrikanten, schon früh die Unterschrift des Vaters fälscht und die Schule schwänzt. Die verlässt er dann ohne Abschluss, später beeindruckt er seine Mitmenschen mit dem Halbwissen des Blenders. Er ist selbstverliebt, will „aus feinerem Holz geschnitzt“ sein, daher gelten für ihn auch keine Verbote. Auch das ist typisch für den Hochstapler: Immer glaubt er, besser als andere zu sein, denkt, er habe diesen Lebenswandel irgendwie verdient.

Echtes Vorbild war der Hoteldieb, Heiratsschwindler und Hochstapler Georges Manolescu, der bis zu seinem Tod 1908 die feine Gesellschaft Europas in Atem hielt. Wie viele Hochstapler hat Manolescu später seine Memoiren geschrieben. Der Verleger des ersten Bandes wollte dann, dass ausgerechnet Karl May den zweiten Teil der Erinnerungen von Manolescu aufschreibt: Auch der bekannte Autor war in seiner Jugendzeit ein notorischer Hochstapler und Betrüger – und saß mehrfach im Zuchthaus.

Der Scheckbetrüger Frank W. Abagnale erschwindelte Millionen US-Dollar. Sein Leben wurde unter dem Titel „Catch Me If You Can“ von Steven Spielberg mit Leonardo DiCaprio verfilmt. Christian Karl Gerhartsreiter aus Bayern verschaffte sich in den neunziger Jahren als Clark Rockefeller in den USA Zugang zu den besseren Kreisen – mittlerweile ist er sogar wegen Mordes verurteilt. Der Industriellensohn Felix Fossen aus Gütersloh betrog bis zum Jahr 2015 auf der ganzen Welt Anleger um Millionen.

Der Schaden ist immens

Die IT-Expertin, die die Münchner Agentur auf vielfältige Weise geschädigt hat, gab dann übrigens auch noch vor, tolle Kontakte zu einer Galerie zu haben: Kurzerhand nahm sie ein wertvolles Gemälde mit – angeblich könne sie es preiswert schätzen lassen. Das Bild kam nie zurück. Irgendwann zog die Agenturführung die Notbremse: „Als eine Bombe nach der anderen platzte, haben wir ihr von einem Tag zum anderen den Zutritt zum Büro verwehrt.“ Aber da war der Schaden schon immens: „All die Stunden mit Rechtsanwälten, all die Telefonate, all die Gespräche – das können wir gar nicht messen“, berichtet der Vorstandsvorsitzende, der heute einfach nur nach vorne schauen will.

Hört man derartige Geschichten und beschäftigt sich mit Hochstaplern, könnte man richtig misstrauisch werden. Wie hat es der überaus strenge Vater einer Mitschülerin immer so schön formuliert, wenn die Freundinnen abends ausgehen wollten? „Vorsicht ist gut, Misstrauen ist besser“. Später stellte sich heraus, dass dieser Familienvater in der Nachbarstadt eine Geliebte unterhielt – und dort jahrzehntelang ein Doppelleben finanziert hat. Nicht jeder ist, was er vorgibt zu sein.