„Servicedesign muss Konsistenz und Schönheit erreichen“

In naher Zukunft wird der Chief Design Officer (CDO) die Rolle des Chief Marketing Officer (CMO) in den Vorständen kundenorientierter Unternehmen ablösen, prophezeit Mark Curtis. Für absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing stellte Thorsten Garber fünf Fragen an den Chef der internationalen Servicedesign-Beratung Fjord aus London.
Fjord Staff. By James Clarke. www.jamesclarke.biz, james@jamesclarke.biz, 07941 676821.

Herr Curtis, wer Marketing ganzheitlich betrachtet, wird Ihrer These widersprechen, dass der CDO im Vorstand wichtiger wird als der CMO. Wieso sollte das Design in der Unternehmensführung künftig so hoch angesiedelt sein?

MARK CURTIS: Chief Design Officer ist eine Rolle, die enorm an Wichtigkeit und Sichtbarkeit gewinnt, weil es das herausragende Design ist, das Vertrauen und Dialog schafft. In unserer digitalisierten Welt nimmt die Komplexität unaufhörlich zu, da es immer mehr Plattformen und Schnittstellen gibt. Die Herausforderung ist, Konsistenz und Schönheit zu erreichen. Die Weiterentwicklung des „Internet der Dinge“, das schon bald unser Leben dominiert, treibt diese Entwicklung.

Smartphones zwingen Unternehmen, Services anhand der Kundenbedürfnisse zu designen. Smartphone-Screens sind einfach zu klein, um ganze Unternehmensstrukturen darauf abzubilden, wie das in der Vergangenheit auf Webseiten gemacht wurde. Um diesen kundenorientierteren Ansatz zu erreichen, müssen Unternehmen über den Tellerrand hinweg denken und handeln. Das alles ist nicht einfach und wird auch einige der traditionellen Positionen innerhalb von Unternehmen gefährden.

Nicht jedes Unternehmen tickt wie Apple. Viele Firmen sind doch eher technikgetrieben. Gehen Sie nicht zu weit mit der Behauptung, neben dem CMO werde bald auch der Chief Technology Officer an den CDO berichten?

CURTIS: Design und Marketing sind nicht nur ebenso wichtig wie die technische Entwicklung, heutzutage sind sie sogar wichtiger. Das ist einer der Gründe, warum es so scheint, dass die Unternehmenssprache das Wort „Design“ komplett für sich eingenommen hat. Jeder „designt“ jetzt etwas, egal ob es eine Präsentation für den Chef ist, ein Business Case, oder ein Werbedeal.

Die Rolle des Chief Technology Officer ist sehr wichtig. Wenn es sich um ein sehr konsumorientiertes Unternehmen handelt, werden neue Produkte aber vom Produktteam entwickelt und sicherlich nicht von der Technik. Wenn das Herstellen eines Produkts (CTO) und das Marketing (CMO) für das Produkt verschmelzen oder schwieriger zu trennen sind, wird es deutlich, dass beide Aufgabengebiete an den CDO berichten. Marketing wird immer mehr zum Teil des Markenerlebnisses. Nehmen wir zum Beispiel Facebook oder Twitter: Wo hört das Marketing auf und wo fängt der Service an?

Eine IBM-Umfrage mit 1 700 CMOs fand heraus, dass zwei Topthemen Kundenloyalität und das Nutzererlebnis für Tablets und Smartphones sind. Das sind doch genau die Aufgaben, die ein CDO priorisieren sollte, oder? Darüber hinaus sollte der Chief Innovation Officer an den Bereich Design berichten und nicht anders herum.

Egal, ob eine Chefetage Expertise im Bereich „Design“ hat oder nicht, es wurde in letzter Zeit zum absoluten „Buzzwort“. Vor fünf Jahren war es Customer Experience Management, davor Customer Relationship Management und davor gehörte Branding zu den absolut einschlägigen Begriffen. Dass Facebook für sich in Anspruch nimmt, Design eine besonders wichtige Rolle zu geben, wurde – zumindest auf dem Papier – in der S-1 IPO Einreichung hervorgehoben.

Diese Entwicklung kennen wir schon. In den 1970er Jahren gab es kein Aufgabengebiet, das wichtiger war als das Marketing, bis Marketing-Direktoren sich dafür einsetzten, eine wichtige Stimme im Vorstand zu werden. Ein ähnlicher Wandel kann sich genau jetzt vollziehen, da eine Generation, die sich immer um einflussreiches Marketing gekümmert hat, sich nun mehr Social Media zuwendet.

Dass der neue „Master and Commander“ als CDO alle Produkte und Services nach Nutzerfreundlichkeit und Kundenbindung definiert, müssten Sie bitte mal an einem Beispiel erklären.

CURTIS: Ein Beispiel ist die weltweit erfolgreiche Marke Pepsi mit Mauro Porcini, der kürzlich zum CDO ernannt wurde. Der hohe Stellenwert von Design im FMCG Geschäft zeigt, dass sich das Shoppingverhalten verändert und dass Marken über alle Kanäle hinweg präsentiert werden können. Wenn ich Mauro Porcini wäre, würde ich mich fragen, wie die Marke Pepsi am profitabelsten expandiert werden könnte, etwa im Service-Bereich. Für die nächsten zehn bis 15 Jahre werden die FMCG-Produkte immer austauschbarer und an Wert verlieren. Services, die ein gutes Nutzererlebnis bieten, werden dagegen wertvoller werden.

Ein gutes Beispiel dafür ist Nike+. Mit Nike+ führt Nike das Unternehmen immer näher an den Kunden heran und schafft Erfahrungen rund um die Marke. Das Ganze geht über Schuhe hinaus, bleibt aber nah am Unternehmensmotto „Just do it“. Das ist etwas, worüber ein Unternehmen wie Pepsi definitiv nachdenken sollte.

Welche Markenunternehmen haben denn im Vorstand einen CDO schon mit so viel Macht ausgestattet?

CURTIS: Es gibt viele Beispiele, die hier genannt werden können. Dazu gehören EVP of Design bei Nokia, Marko Ahtissari, der an den CEO Stephen Elop berichtet. Auch Samsung betonte die Unternehmensausrichtung auf Design als wichtiges Unterscheidungsmerkmal, indem der ehemalige Kreativchef Choi Gee Sung letztes Jahr zum CEO ernannt wurde. Der CDO Peter Schrayer vom Autohersteller Kia, vorher bei VW tätig, verursachte großen Aufruhr, als er sagte: „In der Vergangenheit, wurde Design als innovatives Werkzeug genutzt, um bestehende Produkte zu aktualisieren und zu verbessern. Wir sehen die Rolle von Design weitaus expansiver und haben Designinnovationen in unsere Corporate-Kultur fest integriert.“

Sie haben mit Fjord als Kunden unter anderem die BBC, Flickr, MSN oder auch die Citibank betreut. Wie designt man denn eine Finanzdienstleistung?

CURTIS: In vieler Hinsicht wird derselbe Ansatz verwendet wie für jedes andere Service Design: Der Nutzer wird in den Vordergrund gestellt. Nutzer denken nicht über Finanzdienste nach, sie denken an ihr Geld und an ihre Beziehung dazu. Hier muss angesetzt und bis zu einem gewissen Punkt vergessen werden, dass zum Beispiel eine mobile Bank designt wird. Was designt wird, ist ein Weg für Menschen, Geld per Smartphone auszugeben, zu sparen oder zu leihen. Die Umstellung kann für Kunden die Herausforderung sein, speziell wenn jedes Produkt auf der Homepage oder in der Navigationsstruktur erwähnt werden soll. Die größte Herausforderung im Bereich Service Design für Banken ist es, es zu vereinfachen und schön zu gestalten. Eine zweite Herausforderung besteht darin, dieses an übergreifende multiple Berührungspunkte zu bringen, etwa an einen Desktop, ein mobiles Tablet, einen SmartTV und InStore.