Seidensticker: Nachhaltigkeit gibt es nicht zum Nulltarif

Nico Kemmler, Leiter Corporate Responsibility, spricht im Interview über das ehrgeizige Projekt "Together Responsible" von Seidensticker und wie das Thema Nachhaltigkeit auf Verbraucherseite ankommt.
Seidensticker-Mitarbeiterinnen in Indonesien: Faire Arbeitsbedingungen gehören zum Kern der Strategie. (© Seidensticker)

Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung spielen für Seidensticker schon seit Jahrzehnten eine große Rolle. Wie kam es dazu?

NICO KEMMLER: Seidensticker hatte als Hersteller hochwertiger Bekleidung immer ein Interesse daran, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der Grund: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Qualität der Produkte. Hier in der Region Bielefeld gab es schon immer viele Textilunternehmen und damit auch einen Wettbewerb um die Arbeitskräfte. Wer am meisten zahlte und die besten Arbeitsbedingungen bot, hatte in der Regel auch die besten Näherinnen und Näher. Mitte der 60er-Jahre haben wir dann begonnen, die Produktion ins Ausland zu verlagern – auch hier mit dem Grundsatz attraktiver Arbeitsbedingungen.

Es hat aber lange gedauert, bis daraus eine umfassende Strategie wurde, die Sie auch kommunizieren. Warum?

Weil es lange Zeit einfach kein großes Thema war. Das änderte sich erst, als es 2013 zu dem katastrophalen Einsturz eines ­Gebäudes in Bangladesch kam, in dem mehrere Textilfirmen untergebracht waren. Es folgten weitere Unfälle, innerhalb von 18 Monaten starben insgesamt über 2 000 Menschen. ­Seitdem sind die Arbeitsbedingungen in unserer Branche, die ja nun wirklich nicht immer gut sind, ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Daher haben wir unsere Bemühungen intensiviert und sind 2015 dem Textilbündnis beigetreten. Gleichzeitig haben wir alle Nachhaltigkeits-Aktivitäten in einem CSR-Stab gebündelt. Seit diesem Jahr beinhaltet die Strategie auch ein eigenes „Together Responsible“-Siegel für nachhaltig produzierte Kleidung. 50 bis 60 Prozent unserer Artikel entsprechen den Kriterien, bis 2025 sollen es alle sein.

Nico Kemmler: „Ehrlich gesagt ist das Interesse der Endverbraucher noch begrenzt.“ (Foto : Seidensticker)

Wer soll vor allem von Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie erfahren? Der Handel oder der Endkunde?

Ehrlich gesagt ist das Interesse der Endverbraucher noch begrenzt. Bis vor Kurzem bemängelten die Kunden aber durchaus häufiger die Verpackungsmenge, die beim Onlineversand anfiel. Hierauf haben wir reagiert, verzichten mittlerweile weitgehend auf Plastik und haben hierfür viel positive Resonanz erhalten. Für unsere Handelspartner dagegen ist Nachhaltigkeit sehr relevant, aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich werden regelmäßig hinterfragt. Der Handel ist bei diesem Thema ganz klar der Treiber, nicht nur für uns.

Setzen Sie für die „Together Responsible“-Produkte höhere Preise an?

Nein. Wenn ein Hemd plötzlich zehn Euro mehr kostet, bekommt das Thema Nachhaltigkeit nie eine faire Chance. Daher haben wir teilweise mehr Kosten, die wir aber nicht über die Endverbraucherpreise kompensieren. Wir beziehen beispielsweise nachhaltig produzierte Baumwolle über die „Better Cotton Initiative“. Dafür zahlen wir Beiträge, die in die Schulung der Baumwoll-Bauern fließen. Die Baumwolle ist im Rahmen der Initiative nicht teurer, aber es fallen eben die Beiträge an, die über unseren CSR-Etat abgerechnet werden. Um das klar zu sagen: Nachhaltigkeit gibt es nicht zum Nulltarif. Auch die Löhne in unseren eigenen Betriebsstätten in Asien sind höher als die ortsüblichen Löhne.

Ist eine solche Nachhaltigkeitsstrategie in einem Familienunternehmen leichter umzusetzen?

Selbstverständlich. Gerd Oliver und Frank Seidensticker ist das Thema persönlich wichtig und sie wollen das Unternehmen in einer guten wirtschaftlichen und nachhaltigen Verfassung an die vierte Generation weitergeben.

Seidensticker wurde beim Marken-Award 2021 in der Kategorie Beste Nachhaltigkeitsstrategie“ ausgezeichnet.

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.