Schnelligkeit zählt im digitalen Marketing

Earned Media und Earned Traffic verändern das Mediageschäft sowie die Marketingkommunikation. Das Zusammenwachsen von Marketing und IT - bestmöglich in Echtzeit - ist noch ein Wunsch.

Von Sandra Fösken

Das Internet revolutioniert die bisherigen Prozesse entlang der Wertschöpfungskette.
Mit digitaler Werbung, Videowerbung, Display-Werbung, Suchmaschinenwerbung, Suchmaschinenoptimierung, Social Media oder „Cross“-Commerce gibt es viele verschiedene Disziplinen, die jeweils spezielle technische Anforderungen haben.
Big Data, Real-Time-Bidding, Content-Marketing sind weitere Themen, die auf der Agenda der Marketer stehen.
Alle Maßnahmen dienen einem Ziel: Digitalwerbung effizienter zu machen.

Dabei zeichnet sich ein Trend ab: Die Kommunikation mit der Zielgruppe derart zu gestalten, dass das positive Grundrauschen für die Marke, wenn es erst einmal besteht, auch anhält.
Dies gelingt in erster Linie mit Inhalten, die auf verschiedenen Medienseiten platziert werden, auf eigenen Seiten (Schlagwort: Owned Media), mit bezahlter Werbung auf Fremdseiten (Paid Media) und mit Inhalten, die den Dialog mit den Zielgruppen anregen.
Hierbei handelt es sich um Content, der in sozialen Netzwerken, in Communitys, gestreut, einen Schneeballeffekt auslöst und im Ergebnis sich der Steuerung des Unternehmens entzieht (Earned Media).
Konsumenten vertrauen der Urteilskraft von Verbrauchern oft vorbehaltlos.
„Wir bewegen uns weg von einem Modell, bei dem jeder Kontakt bezahlt ist“, sagt Michael Willeke, Director Marketing Communications bei Coca-Cola.

Laut einer Untersuchung von McKinsey und der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) sind 85 Prozent der Media- und Kommunikations-Entscheider nach eigenen Angaben überfragt, was den Leistungsbeitrag digitaler Kanäle betrifft.
Standards fehlen.

Die Mitglieder in der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V.
(AGMA) feilen noch an der passenden Methodik zur Ausweisung einer Crossmedia-Währung.
Hans Georg Stolz, Vorsitzender der AGMA, rechnet mit der ersten Ausweisung aufgrund der Komplexität und des qualitativen Anspruchs nicht vor 2014.
René Körting, Geschäftsführer der Agentur Exelution, ist überzeugt, dass die digitalen Medien das Fernsehen übertreffen werden.
„Das analytisch stärkere Medium Internet muss das schwächere, aber größere Medium Offline diesbezüglich dann mitziehen“, konstatiert Körting.

Eine Erfahrungsbaustelle ist das Social Web.
Einer aktuellen Bitkom-Studie zufolge nutzt fast die Hälfte der deutschen Unternehmen das Social Web, um via Facebook-Seite, Twitter-Account oder Youtube über Produktneuheiten zu berichten.
„Aber die Kundenmeinungen fernab von den eigenen Facebook-Seiten kennen die meisten Unternehmen nicht“, meint Mani Pirouz, Sales Director EMEA Central bei Salesforce.com, einem Anbieter von Cloud-Lösungen für CRM-Anwendungen.

Einig sind sich Marketingmanager und Dienstleister, dass zukünftiges Marketing noch intensiver auf Daten basieren muss.
„Werbetreibende brauchen größtmögliche Sicherheit bei ihren Mediainvestitionen, dafür ist eine deutlich bessere Datengrundlage zu zahlreichen Faktoren notwendig“, erläutert Susanne Kunz, Director Media and Consumer Communications DACH bei Procter & Gamble.

Die Konsumgüterhersteller speisen ihre Erkenntnisse aus verschiedenen Datenerhebungen.
Der Marketing-Mix-Evaluator von der GfK ist ein beliebtes Werkzeug.
Ein wichtiges Anliegen der Markenartikler ist auch, innovative Studien mitzugestalten, wie beispielsweise die Online Visions 2010 und 2012, die Procter & Gamble lanciert hat.
Nestlé hat ein Pilotprojekt mit Facebook durchgeführt.
„Wir haben für unsere Marke Maggi untersucht, ob Mediaschaltungen bei Facebook zusätzlich den Kauf stimulieren können“, berichtet Tina Beuchler, Mediachefin bei Nestlé.
Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Projekt ist, dass „der Facebook-Media-RoI (Return on Investment) höher war als der von TV“.
Zudem konnte eine Synergiewirkung zwischen TV und Facebook nicht nachgewiesen werden.

Pilotprojekte dieser Art ergänzen den Wissensstand in den Marketingabteilungen, werfen allerdings auch wieder neue Fragen auf.
Zum Beispiel, ob sie generalisierbar sind und für andere Brands genutzt werden können.
Manchmal sind Ergebnisse auch diametral: „Unser aktuelles portfolioübergreifendes Modeling, das circa 50 Prozent der deutschen Nestlé-Mediaspendings von 2007 bis 2012 analysiert, zeigt für Onlinewerbung einen niedrigeren RoI als in den klassischen Medien“, nennt Beuchler als Beispiel.
Die Königsdisziplin ist die Datenanalyse in Echtzeit, die noch mehr Wunschdenken als Realität ist.
„Zudem müssen die entsprechenden Schlussfolgerungen und Optimierungspotenziale zeitnah umgesetzt werden“, ergänzt Nelly Kennedy, Vice President Digital & Relationship Marketing bei Adidas.
Auch Agenturhonorare seien davon betroffen, die in Zukunft sehr stark erfolgsabhängig sein werden, gesteuert von digitaler Transparenz über erzielte Erfolge oder Misserfolge, ist Kennedy sich sicher.

Damit ein Misserfolg erst gar nicht aufkommt, nehmen im Briefing neben den gewohnten Informationen zu Marketing- und Kommunikationszielen Technologiefragen und neue Key-Performance-Indicators (KPIs) immer mehr Raum ein.
„Die Grundvoraussetzungen müssen dann genauestens geprüft und abgestimmt werden.
Im Idealfall geht das bis zur Abdeckung des gesamten Kaufentscheidungsprozesses“, erklärt Armin Schroeder, Geschäftsführer der Agentur Crossmedia Digital, und betont, dass, je mehr Daten und Informationen auf Kundenseite vorhanden seien, desto besser ließen sich Kampagnenleistungen beurteilen und prognostizieren.
Gleichwohl mahnt Schroeder vor übertriebener Datenfokussierung: „Rein datengetriebene Planung ist nicht die richtige Antwort auf die kommunikativen Probleme unserer Kunden.“

An anderer Stelle sieht Dr.
Christian Bachem, Geschäftsführer der Strategieberatung Companion, Probleme: „Wirbt ein Unternehmen im Internet, gibt es Profildaten seiner Kunden preis.
Im einfachsten Fall dadurch, dass ein Vermarkter oder eine Mediaagentur Einblick in die soziodemografische Struktur der Zielgruppe des Werbungtreibenden erhält, um sie besser adressieren zu können.“
Wertvolles Wissen, das dem nächsten Werbekunden gewinnbringend angeboten werden kann.
„Nicht selten einem Wettbewerber des Auftraggebers“, kommentiert Bachem.
Viele Werbungtreibende seien sich der Tragweite dieser Zusammenarbeit nicht bewusst.
Er rät, das Verwertungsinteresse als K.-o.-Kriterium bei der Agenturauswahl zu verstehen, notfalls den Datenzugriff zu beschränken.

Kritik äußert auch Crossmedia-Geschäftsführer Schroeder, gleichwohl hält er den Datenzugriff für elementar.
„Während früher eine Mediaagentur nur in Ausnahmefällen Einblick in Customer-Relationship-Systeme (CRM) eines Kunden erhielt, ist dies zum Teil heute Voraussetzung für eine intelligente Kampagnenmechanik.“

Schroeder mahnt seine Kollegen aus der Branche jedoch vor unzureichender Transparenz im Umgang mit Kunden: „Eine technologische Trading-Black-Box, welche durch Targetinginventar vermeintlich veredelt wurde, birgt die Gefahr, das Vertrauen zwischen Kunde und Agentur aufs Spiel zu setzen.“
Zu Recht beschreibt Exelution-Manager Körting die Kundenarbeit als Vertrauensarbeit und erwähnt nebenbei, dass Ernsting’s Family ein solcher Kunde für ihn war, der mit einer „selbstverständlichen Offenheit“ agierte, die selten in dieser Form zu finden sei.
Unbestritten wachsen die Anforderungen an die Partner auf Agenturseite nahezu in der Geschwindigkeit wie das digitale Marketing.
Die Manager erwarten von ihren Partnern, dass sie das ganze Spektrum digitaler wie analoger Möglichkeiten beherrschen und in der Lage sind, aus einzelnen Maßnahmen einen sinnvollen Gesamtauftritt zu entwickeln.
Es sei aber nicht einfach, die geeigneten Agenturen zu finden, proklamieren einige Markenartikler.
So kommt es vor, dass Adidas die Partner schulen muss, das Gesamtbild der Marke zu verstehen.

„Durch die zentrale Rolle, die die Technik heute bereits in der Marketingkommunikation einnimmt, sind völlig andere Skillsets gefragt als im klassischen Marketing.
Hinzu kommen Initiativen wie CRM und One-to-One-Marketing, die wiederum in alle Marketingaktivitäten integriert sein müssen“, formuliert die Adidas-Managerin die Anforderungen.

Sowohl auf Kunden- als auch auf Agenturseite kommt es auf die richtige Mischung aus Spezialisten und Generalisten an.
„Wir haben in den letzten Jahren eine stärkere Aufteilung der Aufgaben bei trennbaren Themen wie Suchmaschinenmarketing, Business-Analytics oder Social Media in einzelne vertikale Units vollzogen“, berichtet Schroeder.
Einzelne Kanäle wie Videowerbung oder Mobile werden über horizontale Teams aus den Beratungseinheiten gespeist.
Dies sei notwendig, um das Know-how in alle Teams zu tragen, erläutert Schroeder.

Andere Agenturen verfahren ähnlich.
Übergreifend hat die Agentur Pilot die Grenzen zwischen klassischer und digitaler Mediaberatung aufgelöst.
„Integrierte Teams können so frei von jedem Profitcenter-Denken die Lösungen entwickeln, die für den Kunden optimal sind“, erläutert Uli Kramer, Geschäftsführer der Agentur Pilot.

Die Agenturmanager sind überzeugt, dass sie den werbungtreibenden Unternehmen fast alles abnehmen und erfolgreich umsetzen können.
Während die Agenturen sich eifrig auf neue Felder im Digitalmarketing stürzen (Pilot hat 2012 einen Spezialdienstleister für Digital Screens von Smart-TV bis Digital-outof-Home gegründet), hinken manche Agenturen bei traditionellen Disziplinen hinterher.
„Wir bilden daher häufig in der Konzeptionsphase Teams aus unterschiedlichen Agenturtypen.
Das hat sich bewährt“, resümiert Beuchler.

Beitrag zuerst erschienen in absatzwirtschaft 04/2013