Ruzicka öffnet die Schatzkiste der Mediaagenturen

Auf den Tag genau zwei Jahre nach seiner Verhaftung sagte Aleksander Ruzicka am Freitag erstmals vor Gericht aus. Er legte dabei kein Geständnis ab. Ruzicka blieb bei dem was er der Staatsanwaltschaft im März 2007 und zuletzt im Interview mit absatzwirtschaft gesagt hatte.

Nur legte er diesmal mögliches Beweismaterial in Form von 15 Beweisanträgen für mögliche Zeugen und Dokumente vor, die den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen belegen sollen. Die besondere Brisanz seiner Aussage wurde durch eine Reihe von Rechtsanwälten im Zuschauerraum deutlich, die intensiv Notizen anfertigten. Offenbar wurden diese von Werbekunden und anderen Mediaagenturen beauftragt, um den ersten öffentlichen Einblick in die „Schatzkiste der Mediaagenturen“ zu dokumentieren.

Ruzicka schilderte seine Sicht der Dinge und erklärte detailliert die Arbeit von Mediaagenturen und von Aegis Media. Aegis behauptet einen Schaden von 51,2 Millionen Euro durch Ruzicka erlitten zu haben. Diese Gelder seien bei Aegis Media veruntreut worden. Seit Januar wird über die Anklage gegen Ruzicka vor dem Landgericht Wiesbaden verhandelt.

Aegis Media habe als Grundkonzept die Generierung von Neukundengeschäft und die Steigerung der Gewinne. In der Commercial Policy von Aegis Media aus dem Jahr 2001 sei darunter auch die Kostenreduzierung durch Auslagerung an Drittfirmen vorgesehen. So habe Aegis Media in den Jahren 2001 bis 2005 bei sinkenden Umsätzen dennoch die Volumen aus Naturalrabatten und damit die Gewinne steigern können. So sei es Unternehmensstrategie keine Freizeiten zu verkaufen, alle Rabatte den Kunden zugute kommen zu lassen, aber stattdessen Vergütungen für die Beschaffung von zusätzlichem Freespace zu bekommen.

Ruzicka relativierte das Billingvolumen an Kundengeldern von Aegis Media am Beispieljahr 2005. Dieses lag laut den Analysten von Recma bei 3,8 Milliarden Euro. Bei einem tatsächlichen Nettovolumen von 1,5 Milliarden Euro und einem Honorarsatz von durchschnittlich 6,2 Prozent habe das Income von Aegis Media in Deutschland damals 93 Millionen Euro betragen. Diese Summe setze sich aus unterschiedlichen Honorarformen zusammen: einem durchschnittlichen Basishonorar von 1,8 Prozent und einem leistungsorientierten Honorar von 2,1 Prozent.

Hinzu kamen 0,8 Prozent aus Spezialdisziplinen wie Online, Sponsoring oder Content und weitere 1,8 Prozent als „non sustainable income“, kurz NSI. Eine Art Abgeltung für die Leistungen des Backoffice zum Beispiel für den Buchungsaufwand. Nach Abzug aller Kosten seien bei Aegis Media in Deutschland rund 40 Millionen Euro als Gewinn verblieben. Der von Ruzicka im Jahr 2005 verantwortete Bereich Zentraleuropa habe 37,5 Prozent des weltweiten Gewinns von Aegis Media erwirtschaftet. Bis zum Jahr 2008 sei dieser auf rund 10 Prozent gesunken, schätzt Ruzicka.

Aleksander Ruzicka schilderte dem Gericht den Buchungsablauf bei Aegis Media. Nach diesem werden zu Beginn jedes Monats die zu erwartenden Kosten mit einer ersten Schätzung auf Basis der Listenpreise und Rabatte als auch der außertariflichen Vorteile bei den Kunden abgerufen. Diese Guthaben würden im Einkaufsvorteilskonto, kurz EKV, jedes Kunden verbucht. Aegis Media trenne dabei strikt zwischen Agenturgeld und Kundengeld, weshalb im EKV-Konto jedes Kunden nur Kundengeld stehen könne. Einzig der Kunde entscheidet darüber was wann mit seinem Geld geschieht. In diesem EKV-Konto seien auch die Rechnungen von Emerson FF gebucht worden. Wäre dies nicht geschehen, wäre das dafür nötige Geld nie von den Kunden abgerufen worden, und Aegis Media hätte damit gar nicht arbeiten können, so Ruzicka.

So sei einerseits nie Agenturgeld betroffen gewesen, noch wäre additives Kundengeld angefordert worden, wenn Emerson FF nicht zum Einsatz gekommen wäre. Ob die angeblichen Scheinrechnungen von Emerson FF tatsächlich aus den EKV-Konten bezahlt wurden, wollte das Gericht durch Sicherstellung der EKV-Listen mit den Buchungsvorgängen bei Aegis Media nachvollziehen. Trotz eines Gerichtsbeschlusses vom Januar 2008 sind diese bis heute nicht zur Verfügung gestellt oder von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden sichergestellt worden. Kunden von Aegis Media hatten ausgesagt, dass sie vertragskonform betreut wurden und alle vertraglich vereinbarten Mediaeinkaufsvorteile erhalten haben.

Am Beispiel des ehemaligen Aegis Media-Kunde Danone erklärte Ruzicka die Relation der Gewinnmargen. Danone war unmittelbar nach den Hausdurchsuchungen im Jahr 2006 zu Konkurrent Mediacom gewechselt. Bei einem Nettowerbevolumen von 100 Millionen Euro pro Jahr habe Danone weitere 50 Millionen Euro an Freespace erwartet und auch bekommen. Am Jahresende sei ein Reinerlös von 500 000 Euro mit diesem Kunden generiert worden. Bei der Werbeagentur ZHP, und deren Werbekunden, wurde überproportional viel Freespace eingesetzt, da Aegis/Carat damit dreimal soviel Gewinn gemacht habe wie mit dem vermeintlichen Großkunden Danone, nämlich 1,5 Millionen Euro pro Jahr.

Die Rückzahlung von Guthaben mittels Schecks sei absolut üblich gewesen. Aufgrund der geringen Größe von ZHP habe man sich auf eine sofortige Rückzahlung der Guthaben verständigt. So habe Aegis Media Schecks prinzipiell freitags nach 16 Uhr verschickt, damit die Belastung erst am darauffolgenden Dienstag erfolgen konnte und man bis dahin noch Zinsvorteile in Anspruch nehmen kann. Allein daduch seien monatliche Mehreinnahmen von 120 000 Euro erzielt worden, so Ruzicka.

Ruzicka schilderte weiter, dass die Share Deal Commitments mit den TV-Vermarktern IP und SevenOne auf Basis jeder einzelnen Buchung berechnet werden. Diesen liegen Prozentsätze zugrunde, die sich am Jahresende am Share of Advertising orientieren: je höher der Anteil eines Mediums am Mediaplan ist, umso größer wird der Rabatt. Die Share-Deals würden aus zwei Teilen bestehen: Cash- und Naturalrabatte die die Kunden erhalten, sowie ein Sideletter gemäß dem die Mediaagentur beispielsweise für Onlinebuchungen vergütet wird. Der Zugang zu diesen Deals sei intern transparent gewesen. Selbstverständlich waren sämtliche Daten bei den Finanzchefs Andreas Bölte und Hans-Henning Ihlefeld vorhanden, so Ruzicka.

Ein Geschäftsprinzip von Aegis Media sei es, an 70 Prozent aller nationalen Pitches teilzunehmen. Eine Vorgabe der Konzernzentrale sei der Gewinn von 30 Prozent aller Pitches, an denen die Mediaagentur teilnehme. Dies sei in den Personal Objectives der Guideline von Aegis Media namens Principles & Policies fixiert. Da viele Kunden jedoch gar nicht die Absicht hatten, ihre Mediaetats auszuschreiben, habe Aegis Media eine Strategie entwickelt, Pitches zu provozieren und dadurch das Neukundengeschäft zu forcieren.

Die Idee des Pitches sollte beim Kunden entstehen und nicht durch Aegis Media herangetragen werden. Man habe ein professionelles Beziehungsmanagement entwickelt, mit dem Personenprofile von Marketingentscheidern und Meinungsmultiplikatoren erstellt wurden, so Ruzicka. So sei im Businessplan von Aegis Media festgehalten, welche leitenden Aegis-Mitarbeiter nach einem genauen Eventplan potentiellen Kunden zugewiesen werden und diese am besten spiegeln könnten. Kunden sollten sich in einem privaten Umfeld wohl fühlen und dabei gewinnen. Hätte man als Aegis Media einen Marketingleiter angeschrieben und ihm gesagt, man könne etwas besser als seine jetzige Mediaagentur, hätte das seine Entscheidung für den Wettbewerber infrage gestellt, so Ruzicka.

Deshalb habe man psychologische Präferenzen und Vorlieben sowie Entscheidungsgrundlagen der Meinungsführer identifiziert. Zu diesem Zweck soll Aegis Media auch heute noch weltweite Repräsentanzen, Gästehäuser, Segelschiffe, Flugzeuge, Helikopter, Fischfangplätze oder einen Golfplatz in Marokko unterhalten. Es habe Einladungen zu den Salzburger Festspielen, nach Bayreuth, zum Jagen nach Ungarn und Südafrika oder bereits bei HMS/Carat-Gründer Kai Hiemstra zu Golfturnieren gegeben. Diese Einladungen seien bewusst in privater Ansprache formuliert gewesen. Dies sei auch bei Banken, anderen Mediaagenturen und Medienanbietern üblich. So würde Aegis-Konkurrent WPP/GroupM ein eigenes Poloteam zum Zweck der Kontaktpflege und des Lobbyings unterhalten, so Ruzicka.

Diese Maßnahmen hätten die Kontaktqualität als auch die Kontakt- und Informationsdichte deutlich gesteigert. Er habe die Bedürfnisse von potentiellen Kunden kennengelernt und die Beratung darauf ausgerichtet. Das Prinzip der Kostenauslagerung sei auf Basis der Kundenverträge über Emerson FF erfolgt. Dies sei in Punkt 3.3 der Kundenverträge unter der Überschrift Informationsbeschaffung geregelt. Dazu würden nicht frei verfügbare Informationen ebenso gehören wie Daten von Nielsen S&P. Dieses Vorgehen habe sich am identischen Prinzip der PLV, Programm- und Lizenzvermarktungs GmbH, orientiert – eine Treuhandfirma, die sich im Besitz von Ruzickas Vorgänger Kai Hiemstra befunden hat.

Das Prinzip PLV als auch Emerson Communications seien bereits bei Aegis Media bekannt und genehmigt gewesen, weshalb Ruzicka dieses System genutzt und weiterentwickelt haben will. Emerson FF sei den Kunden von Aegis Media als externe CRM-Agentur präsentiert worden. Im Ergebnis sei trotz eines Rückgangs der TV-Budgets um 25 Prozent der Anteil an Freespace von 8,6 Prozent auf 11,3 Prozent erhöht worden. In den Jahren 2003 bis 2006 handelte es sich dabei um zusätzliche Freispots in einem Gesamtwert von 300 Millionen Euro. Im Ergebnis des Beziehungsmanagement sollen im gleichen Zeitraum Neukundengeschäfte im Ausmaß von 375 Millionen Euro hinzugekommen sein. Dies bedeutete in Summe einen zusätzlichen Gewinn von 34 Millionen Euro für Aegis Media, schilderte Ruzicka.

Zum Schluß beteuerte Aleksander Ruzicka erneut, dass er zu keinem Zeitpunkt Ausschüttungen seiner Firmen Camaco oder Watson erhalten habe. Er habe seine persönlichen Finanzen strikt von beruflichen Ausgaben getrennt. Sein Lebensstil sei mit seinem Gesamtgehalt bestehend aus Grundgehalt, Erfolgsboni und Share Options von 1,5 Millionen Euro pro Jahr zu finanzieren gewesen. Das Prinzip der Nebentätigkeiten werde bei Aegis Media bis heute so praktiziert und diene dem Halten und Motivieren fähiger Mitarbeiter. Weshalb die Personalfluktuation bei Aegis Media unterdurchschnittlich und die Verweildauer der Mitarbeiter bei etwa 10 Jahren lag. Ruzicka hielt erneut fest, dass er nie einen südafrikanischen Pass besessen hat.

Sein Lebensmittelpunkt sei Wiesbaden und werde es auch bleiben. Sein Privatleben habe er bewusst für Firmenzwecke eingesetzt. Ruzicka fügte hinzu, dass er nie mit Bedenken seitens Aegis Media, Wirtschaftsprüfern oder Ratingagenturen konfrontiert worden sei. Seine Vorgehensweise sei jederzeit korrekt gewesen und entspreche den Vorgaben der Principles & Policies von Aegis Media. Das heutige Verhalten als auch die Aussagen seiner ehemaligen Mitarbeiter erstaune ihn. Hörbar bewegt fügte Ruzicka hinzu, dass er 22 Jahre lang für Aegis Media gearbeitet hat, und auch heute noch der festen Überzeugung sei, jederzeit im Interesse und zum Vorteil der Mediaagentur gehandelt zu haben.

Hiernach übergab Aleksander Ruzicka dem Gericht einen Aktenordner mit den von ihm zitierten Unterlagen und Dokumenten. Diese sollen sich auf einer Festplatte befunden haben, die bei den Hausdurchsuchungen im September 2006 sichergestellt wurde, von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden aber offenbar bis heute nicht als relevant erachtet wurde. Ruzickas Anwalt Marcus Traut fügte hinzu, dass sich sein Mandant allen Fragen der Großen Strafkammer und der Staatsanwaltschaft stellen wird.

Zum Abschluß des Verhandlungstages wurden durch Ruzickas Verteidigung 15 Beweisanträge verlesen. Diese machen deutlich, dass kaum mit einem schnellen Prozessende zu rechnen ist. So soll beispielsweise Kai Hiemstra über Zustandekommen und Arbeit seiner damaligen Treuhandfirma PLV ausagen. Matthias Dang von IP Deutschland soll dem Gericht den Umgang mit Freispots auf Prozentbasis orientiert am Share of Advertising erläutern. Teile der Principles & Policies sollen ins Deutsche übersetzt werden um zu belegen, dass die Vernichtung von Daten über das Zustandekommen von Verträgen aller 60 oder 90 Tage fixiert ist.

Ein Businessplan von Aegis Media soll belegen, dass der Einsatz von Emerson FF zur Generierung von Freespace eingeplant war. Ein Beitrag zum Kontaktmanagement am Beispiel Carat Wiesbaden, verfasst von Aleksander Ruzicka und Andreas Bölte, soll verlesen werden. Eine Pressemitteilung von Aegis Media soll verlesen werden, wonach die Konzernzentrale von Beginn an in die Aufklärung der Affäre involviert gewesen sei. Der Geschäftsführer von Control Risks Deutschland soll bestätigen, dass die Rechnung für das Auskundschaften von Ruzickas Privatleben als Basis für die Anzeige gegen ihn im Jahr 2005, von der Konzernzentrale Aegis plc. bezahlt wurde – die jedoch erst im Jahr 2007 über die Vorgänge informiert worden sein soll.

Mittels Kreditkartenabrechnungen soll belegt werden, dass Andreas Bölte mit seiner heutigen Ehefrau auf einem Aegis-Event in Südafrika war und dies mit seinem Wissen von der angeblichen Scheinfirma Watson bezahlt wurde. Linde CEO Reizle soll als Zeuge bestätigen, dass er nicht mit Ruzicka befreundet sei und es sich bei den Sonnwendfesten in Wiesbaden, an denen er teilnahm, um Businessevents gehandelt hat. Aegis Media hält an der Auffassung fest, dass Ruzickas Angaben irreführend seien und in keinem Zusammenhang mit den Vorwürfen stehen.

Ob Ruzicka mit der ausführlichen Schilderung seiner Sicht der Dinge und dem Unterbreiten von Beweisangeboten vom Kern der Sache ablenken will, möglichst viele Unbeteiligte mit in die Affäre hineinziehen und Aegis Media damit schaden will, wird sich für das Gericht verdeutlichen. Dieses setzt den Prozess in der kommenden Woche mit den Zeugenvernehmungen von fünf weiteren Mitarbeitern von Aegis Media fort. Darunter Gruppenleiter aus dem Mediaeinkauf elektronische Medien und Mediaeinkäufer im Bereich Fernsehwerbung. Das Gericht stellte eine Befragung Aleksander Ruzickas durch Richter Jürgen Bonk und Staatsanwalt Wolf Jördens für Anfang November in Aussicht.
mz