Rügenwalder Würstchen – Abschied vom Wurstwasser

Die Rügenwalder Mühle platziert Ihre „Mühlen Würstchen“ als herzhaften Snack in Bechern – und eroberte mit der Marken-Dehnung die Spitzenposition im Würstchen-Segment. Ausgezeichnet wurde das Unternehmen dafür mit dem Marken-Award 2013.

Von Michael Milewski

Seit Jahrzehnten sind Verbraucher gewohnt, in der Flüssigkeit von Gläsern und Dosen nach Würsten zu angeln. Für eine Produktinnovation waren die Fleischwaren-Spezialisten der Rügenwalder Mühle bereit, mit der langen Tradition im deutschen Wurstmarkt zu brechen – zum einen viral im Netz, zum anderen klassisch im Fernsehen.

Der Onlineabschied vom Wurstwasser führte himmelwärts, um die unpraktische Handhabung zu verdeutlichen. „Bei Facebook hatten wir einen Aufruf gestartet, sich als Wursttester im Kunstflieger zu bewerben“, erzählt Thomas Ludwig, Produktmanager der Rügenwalder Mühle. Erdacht hatte das bizarre Experiment die Agentur Elbkind, die Inszenierung übernahmen die Werbefilmer von Mypony. Die feucht-fröhlichen Szenen fasst ein Clip mit dem treffenden Titel „Wurstwahnsinn“ zusammen. Denn natürlich folgt das Wasser in den Wurstgläsern der Wettbewerber, aus denen sich die Teilnehmer bedienen, den Gesetzen der Schwerkraft – zulasten der Probanden.

Den Soundtrack steuerten Lars Niedereichholz und Ande Werner bei, besser bekannt als das Frankfurter Comedy-Duo „Mundstuhl“. „Kein Mensch braucht Wurstwasser“, resümieren sie die Botschaft des Clips und bringen den eigentlichen Anlass der Aktion auf den Punkt: „Rügenwalder hat’s geschafft: Würstchen gibt’s jetzt ohne Saft!“ In der Schlusssequenz sind die beiden Komiker dabei zu beobachten, wie sie sich auf dem Flugplatz an den neuen „Mühlen Würstchen“ stärken – und mit trockenem Humor die wurstwasserlose Ära einläuten.

Im TV-Spot setze Rügenwalder auf Markenbotschafter Jörg Pilawa in einer idyllischen Naturkulisse. Im Spot verteilt Pilawa, der seit Jahren exklusiv für die Rügenwalder Mühle wirbt, die „Mühlen Würstchen“ an den Nachwuchs, die Kinder greifen und beißen begeistert zu. Denn ohne Wurstwasser ist offenbar alles perfekt und einfach, nichts stört den Genuss. Dazu trägt vor allem das Behältnis bei, das die Würstchen schützt: „Einfach Deckel auf und wieder drauf – so bleiben sie frisch und knackig“, sagt Pilawa, während er die neu entwickelte Verpackung reicht: einen stabilen und per Stülpdeckel wiederverschließbaren, halbrunden Kunststoffbecher.

Vom Brot auf die Hand

„Mit Rügenwalder Teewurst, Pommersche Gutsleberwurst, Schinken Spicker, Mühlen Schinken und Mühlen Mett waren wir im Bereich Streichwurst und Aufschnitt sehr gut positioniert“, erinnert Produktmanager Ludwig an die Ausgangslage vor Markteinführung der „Mühlen Würstchen“ im Oktober 2010. „Mit allen fünf Marken hatten wir die Marktführerschaft im jeweiligen Segment erreicht. Die Dachmarke Rügenwalder Mühle war etabliert und stand für traditionelle deutsche Wurst, die man mit gutem Gewissen essen kann, sowie für zeitgemäße Rezeptur und Verpackung.“ Im nächsten Schritt sollte die Kompetenz der Marke auf herzhafte Snacks gedehnt werden, um einen neuen Verwendungsbereich zu erschließen: für zwischendurch und unterwegs.

Das war eine ambitionierte Absicht. Im stark fragmentierten Würstchenmarkt machen No-Name-Produkte fast die Hälfte des Marktes aus und sorgen für einen massiven Preisdruck. Die Anteile der Herstellermarken fielen hingegen gering aus, selbst der langjährige Marktführer Meica brachte es mit „Deutschländer“ nur auf 1,2 Prozent (IRI Infoscan, Umsatz 2010). An weiteren gut positionierten Wettbewerbern mangelte es indes nicht, darunter Herta mit „Knacki“, Gutfried mit „Geflügel Wiener“ und Wiesenhof mit „Geflügel Wienerwürstchen“.

„In diesem engen Marktumfeld wollten wir für Aufsehen sorgen, allerdings mit einem sehr effizienten Mediabudget-Einsatz, denn die Taschen sind bei uns nicht so tief wie bei anderen“, sagt Ludwig über das Familienunternehmen, das seit 1945 im niedersächsischen Bad Zwischenahn beheimatet ist und mittlerweile in sechster Generation von Christian Rauffus geführt wird.

Um sich von der Konkurrenz abzuheben, nahmen die Strategen das Wurstwasser ins Visier und ließen den innovativen Becher anfertigen. Zeitgleich zur Online- und TV-Kampagne starteten im November 2010 die Kommunikationsmaßnahmen auch im Printbereich in Form von Anzeigen, die den Becher unter Überschriften wie „Iss praktischer!“ oder „Ideal für zwischendurch!“ präsentierten. Ergänzendes Element der Einführungskampagne war auch der virale Wurstwasser-Clip – mit beachtlicher Resonanz: „Social Media erwies sich als erfolgreicher Weg, um eine jüngere Zielgruppe anzusprechen“, resümiert Produktmanager Ludwig.

Etwa 6 500 neue Fans lockte die Wurstwasser- Flugaktion auf die gerade gestartete Facebook-Seite der Rügenwalder Mühle, 1 500 Bewerber wollten ins Flugzeug. Mehr als 2 500 Verweise ermittelte das Unternehmen in den sozialen Netzwerken. Binnen sechs Wochen erreichte der Clip 260 000 Abrufe, die Netto- Kontakte aller Social-Media-Aktivitäten lagen bei gut zwei Millionen. Als TV-Kampagne auf Sky war der Wurstflug im Umfeld der Bundesligaspiele ebenfalls auf dem Schirm, um gezielt Männer zu erreichen.

Spezielle Strategie für den Handel

„Den Handel überzeugten wir mit einem speziellen Vorstellungspaket“, erzählt Werber Brawand. Dazu gehörten neben individuellen Videos, in denen Jörg Pilawa das jeweilige Unternehmen direkt anspricht, auch Pop-up-Folder mit Produktproben sowie ein Verkostungsset inklusive Dampfgarer und Zange. Erstmals kamen Tankstellen mit in die Distribution. „Dort laden die ,Mühlen Würstchen’ neben den gekühlten Snacks zum spontanen Verzehr unmittelbar nach dem Kauf ein, während sie im Kühlregal des Einzelhandels bei den Wurstwaren für den geplanten Verzehr daheim oder unterwegs bereitliegen“, erläutert Brawand.

Zusätzlich fielen die Würstchen am PoS dank spezieller Sonderaktionen auf – darunter mobile Kühlregale in Gestalt eines überdimensionierten Bechers der „Mühlen Würstchen“. Von allen Werbemaßnahmen profitierte die Markenbekanntheit: Im Jahresvergleich 2010/11 stieg sie gestützt von 25 auf 44 Prozent (ICON Added Value). Die gestützte Werbeerinnerung kletterte von fünf auf 17 Prozent. Das Budget blieb wie geplant geschont: Verglichen mit relevanten Neueinführungen anderer Markenhersteller im selben Zeitraum kamen die „Mühlen Würstchen“ mit rund 80 Prozent weniger Mediaspendings pro abverkaufter Packung aus. Von den Ergebnissen angespornt brachte die Rügenwalder Mühle im Oktober 2012 „Mühlen Frikadellen“ als siebte Produktmarke in den Handel, wiederum im bewährten Becher.

Wie auch immer die Erfolgsstory weitergeht: Das Familienunternehmen darf sich rühmen, dass es die Wurst wirksam mobilgemacht hat und mit seiner neuen Marke Mitbewerbern zügig das Wasser abgraben konnte.