Roundtable Teil 2: „Je älter die Zielgruppe, desto nischiger müssen Influencer sein“ – über die Relevanz der neuen Werbeform

Influencer-Marketing boomt – und sieht sich zugleich Kritik wie auch Anfeindungen ausgesetzt. Beim Round Table der absatzwirtschaft erklären vier Brancheninsider, warum die neue Werbeform unterschätzt wird und nachhaltiger ist als ihr Ruf – Teil 2.
Dieses Quartett hat über Influencer-Marketing diskutiert

Ist diese Radikalität ausgerichtet auf das Kundenbedürfnis nicht auch ein wesentlicher Erfolgsschlüssel von Start-ups? 

Herschke: Absolut. Aber nicht nur für Start-ups, sondern für jede Organisation ist es entscheidend, schnell zu lernen und zu verstehen, was das Kundenbedürfnis ist und wie es sich verändert und darauf zu reagieren. Dieses Vorgehen hat in unserer Organisation zu deutlich mehr Transparenz geführt. Es ist klarer, welche Ziele das gesamte Unternehmen verfolgt und warum. Und das sowohl für einen unmittelbaren Zeitraum wie die nächste Woche, als auch für das große Bild „Da soll es in fünf Jahren mal hingehen“.
Riedl: Ein Learning war für uns, dass funktional getrennte Teams für den Kunden nicht funktionieren. Entweder du machst so etwas für das gesamte Unternehmen oder du lässt es sein. Für so etwas braucht es ein radikales Vorgehen, einen ganzheitlichen kulturellen Ansatz, was natürlich starken Einfluss auf die Arbeitsweise aller Teammitglieder hat. Durch eine klare Philosophie und vor allem durch Transparenz werden Mitarbeiter motiviert, als Team an den gemeinsamen Zielen zu arbeiten.

Davon profitiert auch der Kunde. Aber kann der bei dem Tempo mitgehen?

Riedl: Unseren Kunden kann es teilweise nicht schnell genug gehen. Das liegt natürlich auch an unserer Kundenklientel: Start-ups und solche, die mal Start-ups waren. Da bekommen wir sehr positive Resonanz. Auch weil jeder, der in unseren kleinen Kundenteams arbeitet, sich mit den Unternehmen identifiziert. Egal, ob das ein Berater oder die Offline-Media-Planerin ist: Diese hohe Identifikation setzt enorm viel Motivation frei, weil du als Dienstleister so eine viel direktere und engere Beziehung zum Kunden aufbaust.

Kann man in so einem Modell auch mit einem Konzern zusammenarbeiten?

Riedl: Natürlich geht das. Wir werden zunehmend auch von größeren Unternehmen angefragt, aber müssen dann im Einzelfall ganz genau prüfen, ob das zusammenpasst. Ein Beispiel ist McFit, die wir quasi über alle Kanäle betreuen. Da waren wir vorher etwas skeptisch, ob das funktionieren kann. Nach unserer Prüfung haben wir aber gemerkt: Wow! Mindset, Organisationsstruktur – das passt überragend. Also haben wir es gemacht. Aber wir haben aus diesem Grund auch schon sehr große Kunden abgelehnt.
Herschke: Die Einschätzung, dass man ein solches Vorgehen für die gesamte Organisation ausrollen muss, teile ich absolut. Wir haben gelernt, dass kein Bereich vollständig unabhängig agiert und immer auf die Unterstützung und die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen ist. Dann kommt immer die Frage: Was ist denn wichtiger, Tagesgeschäft oder Ziele? Ein kontinuierlicher Konflikt, den man letztendlich nur auflöst, wenn man ganzheitlich diesen Weg geht. Das dauert aber. Nicht ein halbes Jahr, sondern eher eineinhalb bis zwei Jahre. Und es erfordert ein hohes Maß an transparenter Kommunikation und Konsequenz. Und natürlich gibt es auch Widerstände. Denn auf einmal ist für alle transparent, was jeder macht. Uns war zudem wichtig, dass die Zusammenarbeit in der Gesamtorganisation gestärkt wird. Das geht besser, wenn man weiß, woran der andere arbeitet. Und es bietet auch die Möglichkeit, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Dabei ist selbstverständlich auch die Messbarkeit entscheidend. Wir tracken an jeder Stelle: Wie zufrieden ist der Kunde? Haben bestimmte Veränderungen im Produkt oder der Kommunikation auch Auswirkungen auf Wiederkauf-Raten? Somit erreichen wir eine fortlaufende Optimierung entlang der Kundenbedürfnisse.
Antrup: Für das manuelle Optimieren gibt es heute Tools. Das Big Picture befähigt uns, aus diesen Funktionen wieder auszubrechen. Wenn man auch die
ganze Plattformisierung sieht, passiert dort das Gleiche. Du befähigst letztlich Partner durch Tuning des Services, gemeinsame Ziele zu verfolgen.

Im Sinne der Steuerung gibt es gleichzeitig auch Vorurteile wie „Bei Influencern wird man über das Ohr gehauen“. Es gebe „schamlose Preise“?

Antrup: Bei jeder neuen Entwicklung gibt es eine Testphase. Deshalb ist es wichtig, erst einmal herauszufiltern, ob da überhaupt ein Interesse am Markt ist. Wenn ein neuer Bereich am Markt kommt, dann gibt es von 100 Playern zehn seriöse und 90, die versuchen, damit Geld zu machen. Das ist eine Sorgfaltsthemati, zu prüfen, wer ein seriöser transparenter Partner ist.
Riedl: Ein neuer Markt ist immer erst einmal intransparent und muss sich erst finden. Oft wissen weder die Unternehmen noch die Influencer selber, was die Leistungen wert sind. Das führt zu einem großen Preisgefälle.
Herschke: Auf einer abstrakten Ebene ist es eigentlich ganz einfach: Die Kanäle, auf denen man viele Zielkunden erreicht, sind dementsprechend teuer. Trotzdem ist es so, dass Influencing als Disziplin ja auch von vielen Leuten als vorübergehende Erscheinung abgetan wird.
Antrup: Ich bin überrascht, dass Influencer so kritisch gesehen werden. Wenn wir nach China schauen, da ist es ein sehr etabliertes Element. Es ist eine Frage der Zeit, bis wir das in Europa auch geknackt haben. Und dementsprechend auch so spielen. Es geht ganz sicher auch um Lobbyismus: So wie es einen Verteilungskampf gibt zwischen Medienformen, etwa Print gegen Fernsehen, so gibt es auch so etwas wie den alten Testimonial gegen den modernen Influencer.
Kastenholz: Es scheint, als stehen einige deutsche Verleger hinter den Abmahnwellen an Influencer. Wir sehen aber in der Praxis, hier werden Wellen geschlagen, ohne dass etwas dahinter ist. Der Konsument wird nicht getäuscht, und Kennzeichnung hat hier keinen negativen Effekt. Die Innovation wird also bottom line nicht verhindert, der Markt setzt sich durch.
Herschke: Das eine ist die regulatorische Fragestellung und das andere die Nachhaltigkeit. Auch hier zählt: Was macht der Kunde? Wie ändert sich das Konsumentenverhalten? Wenn sich die Nutzung dieser Medien weiter verstärken wird, dann müssen Werbetreibende auch versuchen, ihre Kunden da zu erreichen. Diese sollte die Basis für eine neue Bewertung darstellen.
Riedl: Für mich war auch Thomas Gottschalk mit seinen zehn bis fünfzehn Millionen Zuschauern ein Influencer. Jetzt gibt es halt ein paar Hundert, ein paar Tausend Thomas Gottschalks. Der Zuschauer will Identifikation, ob im TV oder auf Instagram ist eigentlich egal. Ich glaube, dass wir in ein paar Jahren nicht mehr in Mustern wie einem Werbeblock denken werden. Für den Konsumenten wird das verschmelzen. Ich habe das vor 15 Jahren in der Musikindustrie selbst miterlebt. Auch dort führte die Liberalisierung der Vertriebsmöglichkeiten dank Youtube und Streamingdiensten zu einer Demokratisierung des Mediums, jeder konnte Produzent und Konsument zugleich sein. Umso mehr geht es wieder darum, Inhalte zu schaffen, die gut sind, die Mehrwert haben. Leider arbeitet sich die Diskussion in Deutschland an den potenziellen Gefahren und nationalen Defiziten ab. „Oh mein Gott, hoffentlich passiert nichts.“ Und :„Warum gibt es kein deutsches Google oder Facebook?“ Das bringt uns nicht weiter. Wir müssen lernen, die Dinge einfach mal laufen zu lassen und uns auf die Möglichkeiten zu konzentrieren.

Wie ist das mit den Influencern und den neuen Plattformen?

Kastenholz: Ich glaube, je jünger die Zielgruppe ist, desto leichter ist Influencer-Marketing. Je älter die Zielgruppe ist, desto nischiger müssen die Influencer sein. Desto entscheidender ist auch der Anteil an der Gesamtstrategie.
Antrup: Ältere Zielgruppen sind denke ich wesentlich berechenbarer in ihrer Plattformauswahl. Die jüngeren Jahrgänge sind auf der Identitätssuche und probieren viel aus. Damit verbunden ist eine deutlich zersplitterte Erreichbarkeitslandschaft. Und von dort kommt es mit Abstand in diese nachgelagerte etablierte Welt rein. Aus diesen Entwicklungen lässt sich der Mediamix für ältere Zielgruppen schon sehr gut abschätzen.

Wie sieht das optimale Zusammenspiel zwischen Offline und Online aus? 

Herschke: Wir haben früh gelernt, dass bei einigen Produkten auch ein direkter Austausch von Kundenseite gewünscht ist. Mein Beispiel ist immer: ein MIG-Flug für mehrere Tausend Euro. So etwas kauft man noch nicht über das Mobiltelefon. Man informiert sich vielleicht online, geht dann aber in den Laden zu einem persönlichen Berater, der das Produkt erklärt und von anderen Kunden berichtet, die es schon einmal erlebt haben. Dadurch entsteht das Vertrauen in den Menschen, der vor einem steht. Und genau bei dem kauft man es dann. Grundsätzlich werden Shops bei uns weiterhin sehr gut angenommen. Der Bedarf wächst.
Riedl: Wenn es darum geht, eine Marke aufzubauen, dann kommst du um Offline nicht herum. Aber du musst es eben messen wie einen digitalen Performance-Kanal. Einer der wichtigsten Wachstumstreiber sind für unsere Kunden momentan Offline-Stores. Sobald Digital-born-Unternehmen eine Anlaufstelle in der physischen Welt schaffen, schlagen nahezu alle Online-Kanäle stark nach oben aus. Das stationäre Geschäft ist für uns momentan einer der größten Hebel.
Antrup: Als Unternehmen mit fundiertem Fachwissen im Online-Bereich werden wir unsere Aktivitäten in diesem Bereich konzentrieren. Wir ergänzen das Erlebnis für unsere Kunden jedoch mit einem speziellen Beauty-Concept-Store, den wir gerade in Berlin eröffnet haben. Wir sehen die Zukunft des Modehandels als intelligentes Netzwerk, das das Beste aus beiden Welten vereint: Shops und Online-Shops. Erste Schritte werden mit unserem Connected-Retail-Programm unternommen, bei dem wir stationäre Geschäfte an unsere Plattform anschließen.