Roundtable Teil 1: „Gutes Marketing braucht keinen Vertrieb“ – über Glaubenssätze, Influencer-Marketing und den Facebook-Abgesang

Influencer-Marketing boomt – und sieht sich zugleich Kritik wie auch Anfeindungen ausgesetzt. Beim Round Table der absatzwirtschaft erklären vier Brancheninsider, warum die neue Werbeform unterschätzt wird und nachhaltiger ist als ihr Ruf.
Dieses Quartett hat über Influencer-Marketing diskutiert

Die Nachfrage nach Influencern ist groß. Andererseits müssen sich Influencer immer wieder rechtfertigen, weil sie in die Nähe von Schleichwerbung gebracht werden.

Kastenholz: Die traditionelle Werbeindustrie durchlebt aktuell eine schwere Phase, da gibt es viele Neider für ein aufstrebendes neues Werbeprodukt. Das Konzept von Testimonials gibt es allerdings auch schon lange, das hat keiner neu erfunden. Nun kommt eben auch noch die Komponente Glaubwürdigkeit dazu und dass die Konsumenten sich für die Inhalte bewusst entscheiden. Eben nicht wie bei klassischer Werbung, wo man in der Regel den Film oder die Musik, die jemand eigentlich hören will, unterbricht, und ihn zwingt, seine Werbung zu schauen. Wenn man es richtig aufsetzt, funktioniert Influencer-Marketing heute sehr gut. Wir haben das selbst ganz praktisch gelernt. Meine Mitgründerin und ich hatten früher ein Modelabel und haben Strandkleider verkauft. Wir haben selbst gelernt, wie man die richtigen Influencer auswählt, auch über alle Social-Media-Kanäle hinweg. Makro- und Mikro-Influencer sind beide relevant. Beispielsweise hat Kendall Jenner mit 100 Millionen Followern eine wahnsinnige Zugkraft, Trends zu setzen, auch wenn sie dabei ein global verteiltes, also wenig spitzes Following hat, was vielleicht für eine Marke wie Adidas mit vielen Märkten total spannend ist. Aber wenn ich in München ein Restaurant habe, dann ist das viel zu viel Media, die für mich gar nicht direkt relevant und zu steuern ist.

Hier würde ich also eher auf einen lokalen Influencer mit spitzem Following setzen. Die Glaubwürdigkeit hat aber auch Grenzen.

Kastenholz: Das ist ganz spannend, wenn wir als Newcomer in die Werbewelt von früher schauen. Für eine große Frauenzeitschrift ist Zadig & Voltaire beispielsweise einer der aktuell großen Werbekunden. Zufällig trägt das Covergirl Stefanie Giesinger nun auch – „redaktionell unabhängig“ entschieden – Zadig & Voltaire, und sechsmal im Magazin wird Zadig & Voltaire „redaktionell unabhängig“ entschieden gefeatured. Die Redaktion hat also Zadig & Voltaire angeblich zufällig für diese redaktionellen Features ausgewählt. Auf Rückfragen zu dieser Ausgabe hieß es dann, es sei eine rein redaktionelle Entscheidung und gänzlich unabhängig von der großen Werbebuchung dieses Kunden. Unter uns, ich glaube, die lachen selber, wenn sie das sagen. Allerdings ist das traurigerweise die gelebte Praxis. Das ist der Usus in der traditionellen Werbe- und Medienwelt, während parallel aus dieser Richtung die Anweisung ans Influencer-Marketing kommt: „Mensch, ihr müsst kennzeichnen.“ Hier sind wir sogar offen und fördern Kennzeichnung. Solange ein Influencer sagt, ich stehe zu der Marke, und solange seine Follower sagen „Das kann ich nachvollziehen, und ich habe das Produkt vielleicht schon mal bei dir gesehen“, ist das ehrlich. Wir kennzeichnen deswegen alle Posts. Es braucht aber Fairness und Gleichheit für alle im Markt. Die fehlt heute.

Begriffe wie „Presented by“ oder „Powered by“ sind bei Medien seit Langem gängig. Dagegen wird bei Influencern ganz genau hingeschaut. Woran liegt das?

Kastenholz: Die Spitze des Ganzen war, dass die Medienanstalten einen falschen Leitfaden zur Kennzeichnung im Influencer-Marketing herausgegeben hatten. Es ging darum, dem 15-jährigen Blogger einen verbindlichen Rat zu geben, wie er rechtssicher kennzeichnet. Die Empfehlung in diesem Leitfaden war aber dann die Kennzeichnung von Inhalten als „sponsored“. Es hat sich bekanntlich herausgestellt, dass das rechtlich falsch war und nicht ausreichend. Am Ende geht es also darum, dass die Player der Werbung, die es aktuell schwer haben, versuchen, eine innovative Werbeform künstlich kleinzuhalten. Das halte ich mittelfristig für einen Schritt nach hinten und gegen Innovation, also gegen Fortschritt in Deutschland.
Antrup: Ich glaube, auch der 15-Jährige versteht, was die Leute da machen. Diese Generation hat sehr wohl die Fähigkeit zu sortieren, wo bestimmte Inhalte herkommen.

Moderator und Herausgeber der absatzwirtschaft Georg Altrogge (links) spricht mit Christoph Kastenholz

Welche Kanäle sind wirklich relevant im Moment? Instagram nennt jeder. Aber das ist doch nicht alles. Was wird aus Facebook?

Antrup: Facebook ist schwieriger. Jedenfalls ist die organische Reichweite sehr gering. Wenn ich da als Marke was poste, dann sieht es nur ein geringer Teil. Ich höre immer wieder, dass Performance-Marketing funktionieren kann. Je jünger die Leute sind, desto weniger sind sie auf Facebook. Wenn ich auf meine Wall gehe, was sehe ich da? Werbung und ganz wild gefilterte Sachen, aber nicht unbedingt nur nach den Leuten, denen ich dann wirklich folge. Instagram ist definitiv relevant, weil sich die Plattform in der Content-Form immer weiter entwickelt. Ich glaube, Instagram sieht sich dieses Jahr auch als Video-first-Plattform.
Riedl: Wir sehen auch, dass wir gerade einen großen Plattform-Shift miterleben. Oder eher die Zeit der fortlaufenden Plattform-Shifts.
Antrup: Instagram ist ja auch durch Werbung finanziert. Daneben gibt es Kanäle wie Twitch, Snapchat, Tik Tok. Twitch zum Beispiel hat 200 Millionen User, ist größer als Snapchat. Hier sieht man live Menschen beim Gaming zu. Das finanziert sich nicht nur über Werbung, sondern vielmehr über Subscription. Das heißt, man zahlt eine entsprechende Gebühr, um Spielern zu folgen; diese partizipieren wiederum davon. So wie bei Youtube der User oder der Creator auch durch die Reichweite verdient, die er schafft. Man wird eher animiert, weiterzumachen.

Teil II des Roundtables folgt am Dienstag.