Richtige Preise müssen kein Zufallstreffer sein

Firmen, die eine Vielzahl von ähnlichen Produkten herstellen oder vermarkten, haben häufig Schwierigkeiten, Produktpreise differenziert und zielführend zu steuern. In der Regel reicht es dafür nicht, einen Verkaufspreis in einem vereinfachten „Cost Plus“-Verfahren zu ermitteln und eine pauschale Inflationsanpassung vorzunehmen. Wie können Preise also optimiert werden, ohne jeden Artikel einzeln in die Hand zu nehmen?

von Vera Magin, Rainer Meckes, Hanna Jesse

In Unternehmen, die 1000, 10 000 oder mehrere 100 000 Einzelprodukte anbieten und zu bepreisen haben, stellt sich die Frage, wie mit professioneller Preisgestaltung Mehrerlöse erzielt werden können. Typische Vertreter sogenannter Vielproduktunternehmen sind Anbieter aus der Food- und Konsumgüterindustrie sowie aus dem Groß- und Einzelhandel. Darüber hinaus sind dazu aber auch Anbieter von IT-Lösungen, Reiseveranstalter und Medienunternehmen zu zählen sowie viele produzierende Unternehmen, die mit Ersatzteilen handeln oder ein tiefes oder breites Produktsortiment haben.

Zwar ist es bei mehreren tausend Artikeln nicht mehr möglich, jeden Artikel einzeln zu betrachten und den optimalen Preis dafür zu ermitteln, doch es ist auch kein Hexenwerk, Preise systematisch und professionell zu gestalten. Solides Pricing-Handwerk beruht auf dem Wissen über ökonomische Zusammenhänge und auf viel Erfahrung. Preiselastizität, Profitabilität und Preisfokus stellen dabei drei Aspekte dar, auf die Vielproduktunternehmen bei der Preisoptimierung besonders achten sollten.

Die Preiselastizität beschreibt die Reaktionsempfindlichkeit der Kunden beziehungsweise des Marktes auf Preisänderungen. Während ein elastischer Markt selbst auf minimal geänderte Preise mit großen Veränderungen in der Nachfrage reagiert, werden Preisänderungen in unelastischen Märkten kaum von Kunden bemerkt, so dass große Mengenreaktionen dort ausbleiben.

Eine niedrige Preiselastizität kann unterschiedliche Gründe haben. Dazu gehören beispielsweise fehlende Ausweichmöglichkeiten, hohe Kundenloyalität (etwa durch eine starke Marke), hohe Wechselkosten, geringes Preisinteresse und vieles mehr. Abgesehen von wenigen Ausnahmen führt jede Preiserhöhung zu einem Absatzrückgang, wobei das Ausmaß variieren kann. Die Preiselastizität gibt Auskunft darüber, ob Mehrerlöse durch höhere Preise den damit verbundenen Mengenverlust kompensieren oder nicht. Daher muss die Kenntnis oder zumindest eine grobe Vorstellung der Preiselastizität die Grundlage für jede Entscheidung über Preise bilden. Bei Vielproduktunternehmen ist es allerdings weder notwendig noch sinnvoll, individuelle Preiselastizitäten für alle Artikel zu ermitteln.

Zudem ist Preiselastizität nicht gleich Preiselastizität, wie es etwa die gesamte VW-Golf-Baureihe gegenüber der des Golf GTI zeigt. Auch die Preiselastizität der Duftserie eines Parfumherstellers ist anders als die Preiselastizität des Eau-de-Toilettes im 75ml-Flakon aus dieser Serie. Letztlich unterscheidet sich selbst die Preiselastizität der Flugstrecke Düsseldorf – New York von der Elastizität der Strecken des gesamten Zielgebiets amerikanische Ostküste. Unabhängig von der ausgewählten Methode, mit der die Preiselastizität ermittelt werden soll, werden Unternehmen feststellen, dass die Preiselastizität verschiedene Niveaus annimmt. Welche, hängt davon ab, auf welcher Aggregationsebene sie gemessen wird.

Es macht einen deutlichen Unterschied, ob Elastizitäten auf Basis einer gesamten Produktgruppe beziehungsweise eines Sortiments beobachtet oder ob sie auf Einzelproduktebene bestimmt werden. Bei einem Produkt wird bei einer Preiserhöhung von fünf Prozent möglicherweise einkalkuliert, dass sich der Absatz um fünf Prozent verringert. Auf Sortimentsebene wird demgegenüber lediglich eine Reduktion von drei Prozent erwartet.

Ein Grund dafür liegt im Austauschverhalten der Kunden. Diese weichen bei allgemeinen Preiserhöhungen in einem Sortiment beispielsweise gerne auf die relativ günstigeren Produkte im Sortiment aus, bleiben Unternehmen aber als Kunden erhalten. Dies kann dazu führen, dass teurere Produkte bei allgemeinen Preiserhöhungen stärkere Absatzrückgänge verzeichnen und sich bei den relativ günstigeren Produkten kaum etwas tut. Erhöht etwa ein Parfum-Hersteller wie Gucci, Jil Sander oder Prada die Preise für die gesamte Duftserie, so wechseln wahrscheinlich einige Kunden vom Parfum zum vergleichsweise günstigeren Eau de Toilette. Vergleichbar wäre auch der Fall, wenn ein Hersteller von Fertiggerichten wie Knorr, Frosta, Bofrost oder Apetito alle Preise seiner Produktpalette erhöht und eine Steigerung des Absatzes bei den relativ günstigeren Gerichten feststellt, während die teureren Produkte seltener gekauft werden.

Dass viele Kunden zwar das Produkt wechseln, aber dem Hersteller beziehungsweise Händler die Treue halten, passiert vor allem dort, wo ein primäres Kundenbedürfnis nach Abwechslung besteht und die Ähnlichkeit oder Austauschbarkeit zwischen Produkten des Unternehmens hoch ist. Beispiele finden sich bei Herstellern von Lebensmitteln (wie beispielweise Nestlé oder Kraft), Körperpflegeprodukten (wie etwa Nivea oder L’Oréal), Unterhaltungselektronik (wie beispielsweise Sony oder Phillips) sowie im Einzelhandel (wie etwa Rewe oder Saturn). Springt ein hoher Anteil von Kunden nur zwischen Produkten in einem Sortiment, ist es wichtig, innerhalb dieses Sortiments verschiedene Angebote in unterschiedlichen Preislagen zu haben, um die Abwanderung der Kunden zu verhindern.

Ein guter Pricing-Manager sollte die Faktoren kennen, die die Preissensitivität treiben. Die Idee dahinter ist, dass ähnliche Produkte ähnliche Preiselastizitäten haben. Doch was bedeutet ähnlich? Die Ergebnisse können je nach Unternehmen und Branche sehr unterschiedlich ausfallen. Ähnlichkeit kann über generische Produkteigenschaften definiert werden und sich auf Produktkategorien wie Autoreifen, Funktastaturen oder Flugstrecken beziehen. Auch innerhalb einer Preislage kann man häufig ähnlich preissensitives Verhalten beobachten. Die Preislage kann außerdem genutzt werden, um Produktkategorien weiter zu differenzieren.

Weitere typische Determinanten der Preiselastizität sind die Wettbewerbsintensität und das Marktsegment. So liegt die Preisbereitschaft für Druckerzeugnisse etwa höher, wenn der Druckauftrag technisch anspruchsvoll ist und nur von speziell dafür ausgestatteten Druckereien durchgeführt werden kann. Bei Ersatzteilen in der Automobilindustrie beeinflussen zudem das Alter des Fahrzeugs, für das Ersatzteile benötigt werden, sowie der Anteil des Ersatzteilpreises an der Gesamtreparaturrechnung die Preisbereitschaft. Bei Flugreisen hängt sie wiederum von der Flugdauer, der Wetterlage zum Reisezeitpunkt und dem Exotenfaktor ab. Um Preise festzulegen, sollten Preistreiber ermittelt werden. Darüber hinaus lohnt es sich, den Kaufentscheidungsprozess der Kunden losgelöst von den eigentlichen Produkten zu analysieren.

Erste Anhaltspunkte zur Segmentierung nach Preiselastizität liefert eine Analyse des bisherigen Kundenverhaltens. Die größte Herausforderung für Vielproduktunternehmen stellt sicherlich die Identifikation geeigneter Elastizitätssegmente dar, für die sich dann eine bestimmte Gruppenelastizität hinterlegen lässt. Wichtige Vorraussetzungen dafür sind sowohl erhebliches analytisches Know-how als auch Erfahrung mit dem Thema Preiselastizität sowie genaue Kenntnisse des Kundenverhaltens.

In einem nächsten Schritt sind anhand von Referenzprodukten Preiselastizitäten pro Segment zu hinterlegen. Für die Ermittlung der Preiselastizität gibt es unterschiedliche Verfahren, die in der Regel auf intensiver Analyse von Marktdaten oder auf Befragungstechniken von Marktexperten oder Kunden beruhen. Eine schnelle und relativ kostengünstige Methode ist die Durchführung einer Expertenschätzung, die in der Praxis zudem gute Ergebnisse erzielt.

Neben der Preiselastizität ist die aktuelle Marge eines Produkts ausschlaggebend für die Frage, ob es sich lohnt, die Preise zu erhöhen. Für margenschwache Produkte ist der Nettoeffekt einer Preiserhöhung selbst dann positiv, wenn größere Mengenverluste zu erwarten sind. Produkte, die bereits gute Margen erzielen, können bei einer elastischen Nachfrage hingegen nicht derart bedenkenlos im Preis erhöht werden. Bei Pricing-Entscheidungen sind die Artikel daher nach aktuellen Margen beziehungsweise Stück-Deckungsbeiträgen zu differenzieren. Stück-Deckungsbeiträge sind in der Regel unabhängig von der Produktvielfalt leicht abrufbar. Die Artikel in Gruppen von hohen, mittleren und niedrigen Margen einzuteilen, bietet eine Möglichkeit, die erforderliche Differenzierung anhand der Produktprofitabilität zu berücksichtigen, ohne in eine langwierige Steuerung auf Einzelproduktebene einzusteigen.

Ein weiterer Aspekt der Preisentscheidung sollte das Preisimage des Unternehmens sein. Das Preisimage in Vielproduktunternehmen wird nicht durch das Gesamtsortiment geformt, sondern durch sogenannte Eckartikel, die im Preisfokus stehen. Als Eckartikel werden Produkte bezeichnet, denen Kunden besondere Aufmerksamkeit schenken, bei denen die Konsumerfahrung hoch ist und deren Preise von Kunden folglich besonders intensiv wahrgenommen werden. Während im Lebensmitteleinzelhandel etwa Kaffee, Tee oder Milch zu typischen Eckartikeln gehören, sind es bei Autoteilen Bremsbeläge, Auspuffanlagen, Scheibenreiniger oder gängige Reifen.

Demgegenüber gibt es Rand- und Verbundartikel, denen geringere Aufmerksamkeit geschenkt wird. In der Regel beträgt der Anteil an Eckartikeln deutlich weniger als fünfzehn bis zwanzig Prozent des Gesamtsortiments. Eckartikel sollten aufgrund ihrer imagebildenden Wirkung vorsichtiger bepreist werden als Randprodukte. Dies liegt nicht daran, dass Kunden bei Eckprodukten preisempfindlicher sind als bei Randprodukten, da sogar das Gegenteil der Fall sein kann. Vielmehr entscheiden Preise von Eckprodukten darüber, wie teuer der Kunde das Unternehmen wahrnimmt. Bei Randprodukten hingegen können Preise „leichter“ erhöht werden.

Die Einordnung eines Artikels bezüglich Treibern der Preiselastizität und der aktuellen Profitabilität reichen mit der hinterlegten Referenz-Preiselastizität für das jeweilige Segment als Informationen aus, um die Konsequenzen unterschiedlicher Preise auf Absatz und Umsatz zu simulieren. Das Hinzufügen von Kosteninformationen ermöglicht zudem eine Simulation von profitrelevanten Größen wie Roherträgen oder Deckungsbeiträgen. Daraufhin kann eine Preisoptimierung aus rein ökonomischen Gesichtspunkten erfolgen. Der Preisfokus als dritte Säule hilft beim strategischen „Finetuning“ der Endpreise. Auch kann ein Unternehmen einzelne Eckprodukte sogar günstiger anbieten und Kunden in der Kommunikation besonders darauf aufmerksam machen.

Der Vorteil des hier beschriebenen Vorgehens besteht sowohl in der Reduktion der Komplexität durch die Bildung von relevanten Gruppen für die Preissetzung, als auch in der Flexibilität, die es ermöglicht, für einzelne Artikel oder Gruppen manuelle Eingriffe beim Pricing vorzunehmen. Ein solches Vorgehen führt zu differenzierten, wertorientierten Preisen und schöpft die Zahlungsbereitschaft der Kunden besser aus als der beliebte, aber rein kostenorientierte Gewinnaufschlag-Ansatz. Im Pricing-Dschungel besteht die größte Herausforderung also darin, die Einflussfaktoren der Preiselastizität zu identifizieren und Referenzpreiselastizitäten für einzelne Produktsegmente zu ermitteln. Die Kenntnis der Auswirkungen von veränderten Preisen sollte die zentrale Basis für eine fundierte Preisentscheidung bilden, damit der optimale Preis auch für Vielproduktunternehmen kein Zufallstreffer mehr sein muss. Eine solche Professionalisierung des Pricings bringt für Unternehmen nicht selten hohe Renditesteigerungen von mehreren Prozentpunkten.

Was ist zu beachten, um das Pricing nicht dem Zufall zu überlassen?

  1. In Vielproduktunternehmen führt kein Weg daran vorbei, die Faktoren, die die Preiselastizität beeinflussen, zu ermitteln. Diese Aufgabe ist kein Standard-Algorithmus, der für alle Unternehmen nach gleichem Schema abgespult werden kann, sondern erfordert eine tiefe Kenntnis der Produkte, der Entscheidungsstrukturen im Markt sowie Pricing-Erfahrung.
  2. Eine für das Pricing sinnvolle Segmentierung der Produkte ist der kritische Erfolgsfaktor zur Ermittlung der richtigen Elastizitäten. Die Ergebnisse verschiedener Berechnungsmethoden können voneinander abweichen, daher ist es stets empfehlenswert, unterschiedliche Quellen zur Ermittlung heranzuziehen. In der Praxis hat sich eine Kombination aus empirischen Verfahren sowie internen und externen Expertenschätzungen bewährt. Bei der Aggregation der Quellen sind Pricing-Expertise und Erfahrungswerte unerlässlich, um Ergebnisse zu ankern. Auch die Frage, ob die Elastizität auf der Ebene der Produktsortimente oder Einzelproduktebene berechnet werden soll, kann nicht pauschal beantwortet werden. Hier spielt das Wanderungsverhalten der Kunden zwischen Produkten eine entscheidende Rolle.
  3. Bei der Einschätzung des Preisfokus von Produkten durch unternehmensinterne Vertriebs- oder Marketingexperten findet man häufig die Tendenz, den Anteil der Eckprodukte zu überschätzen. Oft kennen die Kunden die Produkte schlechter und haben eine geringere Preiskenntnis als intern vermutet.

Glossar:

Cost Plus-Verfahren: Vorgehensweise, mit der der Verkaufspreis ermittelt wird, indem man auf die Stückkosten einen festen Prozentsatz als Marge aufschlägt. Nachteile der Methode bestehen in der mangelnden Berücksichtigung der Preisbereitschaft der Nachfrager und der Reaktionen des Wettbewerbs.

Preiselastizität: Kennzahl, mit der sich die Sensitivität der Nachfrager hinsichtlich Preisänderungen beurteilen lässt. Die Preiselastizität ist definiert als das Verhältnis der relativen Veränderung der Nachfrage zur relativen Änderung des Preises.

Produktprofitabilität / Gewinnmarge: Bezeichnung für die Differenz zwischen Erlösen, das heißt dem Preis eines Produkts und den variablen Kosten je Produkteinheit. Häufig wird auch der Begriff Stück-Deckungsbeitrag gebraucht. Profitabilität und Marge können absolut oder prozentual angegeben werden.

Deckungsbeitrag: Betrag, der sich nach Abzug der variablen Kosten von den Verkaufsnettoerlösen ergibt. Dieser dient zur Deckung der Fixkosten, wobei der über die Fixkostendeckung hinausgehende Teil den Gewinn ausmacht.

Preisfokus: Begriff, der beschreibt, wie intensiv Produktpreise von Kunden wahrgenommen werden. Eckprodukten, die im Preisfokus der Kunden stehen, wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Im Gegensatz dazu werden Rand- oder Verbundprodukte weniger intensiv wahrgenommen. Das Preisimage eines Unternehmens wird vor allem durch die Wahrnehmung der Eckprodukte geformt.

Über die Autoren:

Dr. Vera Magin arbeitet als Director bei der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants in Köln. Sie berät Unternehmen aus dem B-to-B- und B-to-C-Geschäft in Strategie-, Pricing- und Marketingfragen.

Dr. Rainer Meckes ist als Partner bei Simon-Kucher & Partners tätig.

Hanna Jesse wirkt als Consultant bei Simon-Kucher & Partners.

Mehr Informationen gibt es unter:
www.simon-kucher.com