Regionales Marketing: Wenn der Flughafen zum Themenpark wird

Das Kerngeschäft von Flughäfen ist nicht mehr der Flugverkehr selbst. 60 Prozent, heißt es, beziehen große Flughäfen im Schnitt aus anderen Quellen. Shopping zum Beispiel. Die Abflughallen werden zunehmend zu einer komplexen Marketingaufgabe.

Heute beziehen große Flughäfen im Durchschnitt 60 Prozent ihrer Einnahmen aus anderen Quellen als dem Flugverkehr, sagt Experte Griffin. Zu diesen sogenannten Non-Aviation-Umsätzen zählen neben Parkgebühren vor allem Gastronomie und Einzelhandel. In ihrem Bemühen, diese Einnahmen zu maximieren, setzten die Airports auf Konzepte, die man auch aus Shopping-Malls kennt: bekannte Marken hereinholen, ein internationales Angebot schaffen. Neben Luxuslabels schafften es zunehmend Marken der mittleren Kategorie in die Terminals, etwa Zara und Mango, Esprit und H&M. Regionale Anbieter flogen nicht selten zugunsten von Filialisten raus. Doch das immer gleiche Angebot beginnt die Verbraucher zu langweilen. Einkaufsstraßen wie die New Yorker 5th Avenue oder die Kärntner Straße in Wien funktionieren ja gerade deshalb so gut, weil es neben Allerweltsmarken ein als einzigartig wahrgenommenes Angebot gibt, ob es Tiffany heißt oder Confiserie Sacher. Diese Erkenntnis reift jetzt offenbar auch in der Flughafenwelt.

Mit Yoga-Räumen zur positiven Passagier-Flughafen-Beziehung

In dieser Hinsicht genießt München den Vorteil, dass sein blau-weißes Bundesland selbst eine globale Marke ist und viele Ausländer Bayern mit Deutschland gleichsetzen. Der größte deutsche Flughafen, Frankfurt mit über 60 Millionen Passagieren, hat es da schwerer. „Hessens Tor zur Welt“ heißt es auf seiner Website. Aber welcher Amerikaner weiß schon, wo Hessen liegt?

Dabei ist auch Frankfurt kräftig dabei, sein Profil zu stärken. Es wurmt die Hessen, dass sie trotz ihrer höheren Passagierkapazität bei internationalen Rankings meist schlechter abschneiden als die bayerische Konkurrenz: München erhielt im vergangenen Jahr als erster europäischer Flughafen das Prädikat „5-Star Airport“ des Londoner Instituts Skytrax und kam bei den diesjährigen World Airport Awards auf Platz drei – Frankfurt lediglich auf Rang zwölf.

Deshalb startete Fraport vor einigen Jahren eine Service-Initiative, „Great to have you here“. Im Konzept heißt es: „Der Flughafen setzt nun noch mehr auf den Aufbau einer positiven Passagier-Flughafen-Beziehung.“ Eingeführt wurden unter anderem mehrsprachige Einkaufsbegleiter, eine Hundepension, Arbeitsstationen für Geschäftsreisende und Yoga-Räume für Entspannungsbedürftige. Wer in die Sonne reist, kann für 50 Cent am Tag seinen Wintermantel verwahren lassen. „Solche Dienstleistungen sind extrem wichtig, um den Flughafen attraktiv zu machen“, sagt Thomas Kirner, Leiter Servicequalität bei Fraport. Neuester Clou ist eine App samt Loyalitätsprogramm, über die Reisende Waren in Flughafen-Shops ansehen und reservieren können.

„Nischen aufspüren und die Kosten im Griff haben“

Während die Großen der Branche in immer neue Dimensionen vordringen, kämpfen die Regionalflughäfen ums Überleben. Beispiel: der Bodensee-Airport in Friedrichshafen. Strategisch günstige Lage im Vierländereck, eine zahlungskräftige Industrie ist auch vor Ort. Bei der Promotion sind die Friedrichshafener nicht untätig, es gibt ein Museum zur Luft- und Raumfahrt, Familienfeste, Reisemärkte und zweimal im Jahr eine „Shopping-Nacht“ mit Einkauf im Duty-free-Shop für alle. Und trotzdem sagt Pressesprecher Andreas Humer-Hager: „Das ist alles schön, aber nicht das, was zählt.“ Was zählt, sind die Passagiere, und von denen kommen nur knapp 600 000 jährlich. Der Bodensee-Airport versucht jetzt verstärkt, touristische Strecken zu bedienen, bietet neuerdings tägliche Flüge nach Mallorca an. „Nischen aufspüren und die Kosten im Griff haben“ ist für Humer-Hager das Überlebensrezept.

Alles nicht verkehrt – doch vielleicht nicht genug. In Istanbul entsteht derzeit ein neuer Großflughafen mit sechs Startbahnen, einer Kapazität von 150 Millionen Passagieren und einer Einzelhandelsfläche von 53 000 Quadratmetern – einfach gigantisch. Auch dort ist, wie in München, regionales Profil angesagt: Beim Design werden wiederkehrende Gestaltungselemente eingesetzt wie die Ottomanentulpe, der Bosporus und die sieben Hügel von Istanbul. Und neben den üblichen Luxusboutiquen wird es einen türkischen Basar geben und orientalische Wasserspiele. Von „völlig neuen Dimensionen“ spricht jedenfalls Claus Heinemann. Dessen Hamburger Familienbetrieb
Gebr. Heinemann gewann gemeinsam mit dem türkischen Duty-free-Spezialisten Unifree die Ausschreibung für das Retailkonzept.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Print-Ausgabe der absatzwirtschaft 05/2016.