Reformationstag: Gruner + Jahr denkt künftig „radikal in Inhalten“

Vom Zeitschriften- zum Inhaltehaus: Das Hamburger Medienunternehmen Gruner + Jahr denkt seit heute „radikal in Inhalten“ und kündigt eine "strategische Transformation" an. Künftig bilden acht sogenannte Communities of Interest die thematischen Leitplanken und sollen Print- und Digitalgeschäft eng verzahnen. Auch im E-Commerce, bislang halbherzig bis gar nicht betrieben, geht die Bertelsmann-Tochter in die Offensive.

Von Roland Karle

Das Hamburger Medienhaus Gruner + Jahr stellt sich neu auf und wandelt sich vom „Zeitschriften- zum Inhaltehaus“. Die künftige Struktur basiert auf acht sogenannten Communities of Interest (CoI): Food, Living, Family, Women, People, News, Wissen, Wirtschaft, Special Interest – und löst die bisherige Aufteilung in Verlagsgruppen ab. „Das Verständnis unserer Nutzer und Kunden – unserer Communities of Interest – ist die Kernkompetenz des Inhaltehauses G+J“, betont Vorstandsvorsitzende Julia Jäkel.

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In allen CoIs verfüge der Verlag über eine gute Ausgangsbasis, denn G+J kenne seine Nutzer in den einzelnen Bereichen besser als viele andere, sei dort marktführend oder in einer starken Position. Während die Bertelsmann-Tochter bislang vor allem über journalistische Kanäle und Produkte sein Geschäft auszubauen versuchte, geht sie nun einen Schritt weiter. Man müsse davon wegkommen, in „Print“ oder „Digital“ zu denken, als Inhaltehaus orientiere sich G+J kompromisslos an den Interessen und Bedürfnissen der CoIs. Folglich werde das konkrete Medium zweitrangig. „Wir agieren plattformneutral“, heißt es.

Investitionen in Commerce und Paid Services

Gruner + Jahr will in Zukunft seine Kundenkenntnis nutzen, „um auch Geschäfte im Kontext seiner Inhalte zu betreiben. Deshalb wird G+J auch seine Lizenzgeschäfte deutlich ausbauen und in Commerce und Paid Services investieren“, gibt der Verlag bekannt. Jäkel erläutert: „Als Haus der Inhalte sind wir Experten für die Interessen unserer Leser und Nutzer und für die Themen, die sie bewegen. Daher können wir ihnen die besten Angebote machen.“

Durch die vorhandenen Inhalte und die starke Position in den Communities of Interest verfüge der Verlag über eine relevante Reichweite. Sie soll helfen, zusätzlichen Umsatz und Gewinn über das herkömmliche Medienkerngeschäft hinaus zu erzielen. Lizenzen, Commerce und Paid Services gehören nun zu den klar definierten Aktivitäten von G+J. Beteiligungen an Tausendkind, einem Onlineshop für Kinder-Bekleidung, und am Online-Lebensmittelhändler Delinero sowie der Aufbau des Community-Portals Roomido.de (Wohnen und Einrichten) sind Beispiele, wie der künftige Weg aussehen wird. Jäkel stellt aber auch klar: „Wir werden keine Diversifikation in Geschäfte betreiben, die losgelöst sind von unseren Communities. All unsere Akquisitionen und Investitionen stehen im Zusammenhang mit unseren Inhalten.“

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Der frühere G+J-Chef Bernd Buchholz hatte vor zwei Jahren noch erklärt: „Wir haben uns dagegen entschieden, in größerem Stile digitale Firmen aufzukaufen.“ Eigentümer Bertelsmann war dieser Kurs zu defensiv, dessen Vorstandschef Thomas Rabe drängt auf Wachstum. Nicht zuletzt deshalb musste Buchholz vor einem Jahr gehen.

Im E-Commerce in die Offensive gehen

Nun spielt Gruner + Jahr also nicht mehr auf Unentschieden, lavierend zwischen journalistischer Tradition und digitalem Aufbruch, sondern will auch im E-Commerce, bislang halbherzig bis gar nicht betrieben, in die Offensive gehen. An den nötigen Mitteln wird es nicht fehlen. In den nächsten Jahren wollen die Gesellschafter mehrere hundert Millionen Euro in die „strategische Transformation“ des Verlags investieren. „Bertelsmann und die Familie Jahr haben der neuen Vorstandsgeneration viel Vertrauen geschenkt – das prägt unser Miteinander“, sagt Jäkel, die im April dieses Jahres zur Vorstandsvorsitzenden berufen wurde.

Wie lange es braucht, bis die neue Saat Früchte trägt, lässt sich schwer prognostizieren. Offenbar sind sich Eigentümer und Management darin einig, dass man Geduld aufbringen muss, bis wirtschaftliche Ergebnisse zu feiern sind. Die Transformation von G+J sei als langfristiger Prozess angelegt. „Das Ziel ist nicht eine kurzfristige Gewinnmaximierung, sondern eine nachhaltige Wertsteigerung des Unternehmens“, heißt es am G+J-Reformationstag. Die kommenden drei bis fünf Jahre betrachtet man als Investitionsjahre, was sich auch im Ergebnis entsprechend niederschlagen werde.

Das operative Geschäft soll gleichwohl schnell Tempo aufnehmen. Schließlich gehen die Verantwortlichen davon aus, dass G+J durch die neue Struktur an Geschwindigkeit gewinnt, wenn es um die Umsetzung neuer Produkte sowohl in Print als auch in Digital geht. Die Abläufe im Haus und Entwicklungen werden deutlich effizienter, so die Erwartung. Die angekündigte Schließung der Münchner G+J-Niederlassung („Eltern“, „P.M.“, „Wunderwelt Wissen“, „Neon“, „Nido“) mit derzeit 120 Mitarbeitern ist eine Folge des Unternehmensumbaus. Die angestrebte enge Markenführung auf Basis des CoI-Konzepts könne nur durch eine enge, auch räumlich nahe, Führung und eine direkte Zusammenarbeit mit dem Vorstand gewährleistet werden.

Die Zeitschriften, bisher Gruner + Jahrs Prunkstück, bleiben auch künftig Kern des Geschäfts. Der Vorstand gehe von drei Prämissen aus. „Erstens: Es wird auch und gerade in Zukunft einen Markt für hochwertige, relevante Inhalte geben. Zweitens: Das Digital-Geschäft gewinnt rasant an wirtschaftlicher Bedeutung. Wie G+J mit den großen Chancen umgeht, wird für den Erfolg entscheidend sein. Drittens: G+J betreibt ein hochprofitables und sehr erfolgreiches Zeitschriftengeschäft. Gut gemachte Magazine haben eine große Zukunft – denn Print ist nicht gleich Print.“

Mit der Entwicklung des laufenden Geschäftsjahres zeigt sich Vorstandschefin Jäkel zufrieden: „Viele Magazine laufen hervorragend, unser Anzeigengeschäft liegt in Deutschland über Vorjahr. Die Auflagen in vielen Segmenten entwickeln sich gut. Neue Magazine haben ihren Platz im Markt gefunden, unsere Flaggschiffe Stern, Brigitte, Gala und Capital sind nach redaktionellem Handanlegen auf gutem Weg.“