Reden wir über Tech-Trends im Marketing

Die Marketingwelt adaptiert Trends und Hypes so schnell wie kaum eine andere Branche. In seiner aktuellen Kolumne stellt GWA-Vorstand Tobias Spörer einige der neuesten Entwicklungen vor und verrät auch, was die Toilette damit zu tun hat.
KI am Schachbrett: Dem Algorithmus genügt das Wissen um die Spielregeln, die Strategien zum Sieg bringt er sich selbst bei. (© Imago)

In der Marketing- und Technikfachpresse lässt sich gefühlt kein Begriff so häufig finden wie: Trend. Vermutlich teilt der Trend sich das Treppchen mit den Anwärtern Hype und Content. Und während manch ein Trend zum Hype mutiert, landen viele Hypes schnell wieder in der Versenkung – oder erinnern Sie sich noch an Clubhouse? Es existieren aber auch Trends, die sich unter dem Radar ausbreiten. Trends, auf deren Zug noch niemand wirklich aufgesprungen ist und deren Hype erst noch bevorsteht. Ein paar davon möchte ich hier vorstellen und erklären, was das ausgerechnet mit Toiletten zu tun hat.

Deep Reinforcement Learning

Ja, es gibt sie: Tech-Trends im Marketing, die keine Social-Plattform aus Asien oder Nordamerika sind. Einer davon ist das sogenannte Deep Reinforcement Learning. Vielleicht haben Sie schon mal etwas von DeepMind gehört. Dahinter steckt das Team, das den Algorithmus AlphaZero entwickelte, der den weltbesten Go-Großmeister geschlagen hat. Doch nicht nur bei Go, sondern auch bei Schach und seinem japanischen Pendant Shogi vollbringt AlphaZero mittlerweile übermenschliche Leistungen.

Um dieses Niveau zu erreichen, genügt dem Algorithmus das Wissen um die Spielregeln, denn die Strategien zum Sieg bringt er sich selbst bei. Natürlich beschränkt sich der Einsatz selbstlernender Algorithmen nicht mehr nur auf Brettspiele. DeepMind veröffentlichte im letzten Jahr eine Studie, die aufzeigt, wie die Technik dazu eingesetzt werden kann, menschliche Motivation zu verstehen und zu verbessern. Da wird’s schnell auch für uns Marketer sehr spannend, oder?

ANNs: Artificial Neural Networks 

Bei ANNs wird die Funktionsweise des menschlichen Gehirns in komplexen Vorgängen nachgebildet. Die zentrale Frage ist dabei: Wie verarbeiten Maschinen Informationen, um daraus etwa Vorhersagen zu treffen? Wie komplex diese Vorgänge sind, lässt sich gut am Beispiel von Düften erklären. Um den isolierten Duft einer einzelnen Blume zu analysieren und zu beschreiben, sind in unserem Gehirn Millionen von Neuronen mit sehr umfassenden Vorgängen beschäftigt. Die resultierenden Beschreibungen einzelner Testpersonen fallen dann zusätzlich noch sehr unterschiedlich aus. Eine exakte Vorhersage darüber, wie etwas riechen wird, ist also gar nicht so leicht zu treffen. Ähnlich wie bei einer Vorhersage über die Wirkung einer Marketingkampagne bei einzelnen Empfänger*innen. Der Einsatz von ANNs als Analysetool vor dem realen Livegang könnte hier großes Potenzial bergen.

Diagnose am stillen Örtchen: Computer Vision 

Sie haben bis hier hin gelesen und fragen sich langsam, wann jetzt endlich der Teil mit der Toilette kommt? Bitte sehr: Forscher*innen der Stanford University haben mithilfe verschiedener Sensoren in Kombination mit Computer Vision eine Toilette entwickelt, die verschiedene Erkrankungen sowie Leber- oder Darmkrebs erkennen kann. Dadurch ermöglicht Computer Vision in Kombination mit weiteren Sensoren eine frühe Diagnose mithilfe des Gangs zum stillen Örtchen.

Es geht darum, Computern die Fähigkeit zu verleihen, unterschiedliche Inhalte richtig zu interpretieren und zu erkennen. Für das menschliche Gehirn ist das (denken Sie an das Beispiel mit dem Geruchssinn) ein Kinderspiel. Für Computer hingegen, Sie ahnen es schon, sieht das anders aus. Die komplexen Algorithmen hinter Computer Vision treffen dabei auf ein großes Einsatzgebiet in vielen Lebensbereichen. Auch fürs Marketing ergeben sich völlig neue Möglichkeiten. Stellen Sie sich vor, Sie können auf einer Social-Media-Plattform automatisch identifizieren, wer Bilder mit Ihren Produkten postet. Diese könnten automatisch mit Ihrem Onlineshop verlinkt werden und ohne Ihr Zutun für mehr Umsatz sorgen.

Emotionen, automatisches Lernen und natürliche Sprache

Die smarte Toilette steht exemplarisch dafür, wie Tech-Trends in den grundlegenden Bereichen des Alltags Anwendung finden und zu extremen Mehrwerten führen könnten. Und sie ist eine Erinnerung daran, dass technologischer Fortschritt alle Lebensbereiche beeinflussen kann und wird. Nehmen wir Emotion AI als weiteres Beispiel: Hier geht es darum, Maschinen beizubringen, unsere menschlichen Emotionen zu verstehen. Das US-amerikanische Unternehmen Loving AI arbeitet daran, Maschinen bedingungslose Liebe, aktives Zuhören und Empathie beizubringen. Ich gebe zu, die Vision eines immer verständnisvollen Chatbots hört sich noch ziemlich befremdlich an. Ungefähr genauso befremdlich wie die zur Realität gewordene Vision, dass wir unser Licht mit einem Sprachassistenten ein- und ausschalten.

Manche Trends und Hypes bleiben Eintagsfliegen, andere sind so umfassend, dass sie sich gar nicht so leicht greifen lassen. Derzeit ist Automated Machine Learning auf dem Vormarsch und Natural Language Processing könnte die Art und Weise der Online-Kommunikation revolutionieren. Wird das auch unseren Gang zur Toilette von Grund auf umgestalten? Vermutlich nicht – das hat das Smartphone längst geschafft.