Raus aus der strategischen Marketingmisere

Mit großem Interesse habe ich den Blog von Yvette Schwerdt (Absatzwirtschaft Online, 24. Nov. 2008) über die multikulturelle Krise im überregionalen Marketing gelesen, speziell dass die Manager vor allem auf Begriffe wie Mobile Marketing, Social Marketing oder Behavioral Targeting abfahren. Nur wie diese Begriffe zeigen haben wir heute in Deutschland und Österreich nicht nur eine multikulturelle Marketingmisere, wir haben vor allem eine strategische Marketingmisere.

Marketing verkommt in den Chefetagen immer mehr zu einer operativen „Handlagerfunktion“, um mit den neuesten Marketingmethoden oder besser Marketingmodewörtern die Zahlen zu erreichen. Wo sind die Zeiten geblieben, als Professor Kulhavy uns Marketingstudenten eintrichterte, dass Marketing eine Philosophie im Sinne einer marketingorientierten Unternehmensführung ist?

In den meisten Konzernzentralen dominiert heute die Wall Street über die Main Street. Die Folgen davon sind fatal. So ging und geht es (noch) vor allem um Quartalsberichte, Quartalsberichte und Quartalsberichte. Das Urteil der Analysten wurde für die Chefetagen wichtiger als der Markt. Schlimmer noch: Das Marketing wurde in vielen Konzernen dazu „verurteilt“, dieses Wachstum mit kurzfristigen Maßnahmen zu erzwingen, ohne dabei auf die langfristigen Folgen zu achten.
So meinte einmal ein Vorsitzender von General Motors, dass GM keine Autos sondern Geld produziere. Wie sich heute zeigt, wäre es wohl besser gewesen, wenn sich das GM-Management mehr um den Markt, die Marken und die Autos und weniger um die Quartalszahlen gekümmert hätte.

Aber vielleicht bietet diese Krise jetzt auch die Chance, dass das strategische Marketing wieder ein Comeback in den Chefetagen feiert. Gerade jetzt sollten viele Unternehmen nicht nur kurzfristige Maßnahmen gegen die Krise setzen, sondern vor allem ihre strategische Position am Markt, in den Köpfen der Kunden überprüfen und sich dann gegebenenfalls neu ausrichten.
Nehmen Sie etwa Opel! Opel steckt heute massiv in der Krise. Und was will das Management tun? Man will laut Medienberichten 20 neue Modelle bringen. Zusätzlich wird man sicher die Kosten senken, versuchen die Produktion effizienter und effektiver zu gestalten, und man wird natürlich weiterhin im operativen Marketing auf „Preiszuckerl“ setzen, um diese 20 Modelle doch noch an den Mann zu bringen. (Daneben hofft man auf eine Milliardenspritze vom deutschen Staat.)

Nur wird man so Opel retten? Vergessen Sie es! Opel arbeitet wie viele andere Unternehmen auch nur an den Symptomen, während das wahre Problem ungelöst bleibt. Denn das wahre Problem von Opel ist ein strategisches Marketingproblem. Opel wird von den Kunden nur als weiterer Automobilerzeuger wahrgenommen. Opel müsste heute seine gesamte Unternehmensstrategie aus Markensicht überdenken, um sich dann komplett neu auszurichten.
Denn 20 neue Modelle alleine werden an der Einstellung der Kunden sicher nichts ändern. Warum ich mir so sicher bin? Dazu sollte man einen Blick in das Jahr 1998 werfen. Damals, vor ziemlich genau 10 Jahren schrieb eine österreichische Tageszeitung: „Wofür steht Opel? GM-Tochter auf Identitätssuche.“ Die Antwort von Opel in diesem Artikel: „26 neue Modelle sollen die Marke stärken.“ So wiederholt sich die Geschichte.

Viele Unternehmen drehen sich heute im Kreis, weil man, um die Zahlen zu erreichen, immer wieder an allen möglichen operativen Schrauben dreht, statt die komplette Unternehmensstrategie aus Marketingsicht zu überdenken. Doch eines sollte jedem klar sein: Letztendlich lebt man nicht von der Wall Street sondern von der Main Street. In diesem Sinne: Möge das strategische Marketing ein Comeback zum Wohle von Unternehmen, zum Wohle von Arbeitsplätzen und zum Wohle von ganzen Volkswirtschaften feiern!

Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist seit 1996 der Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, OÖ, Associate of Ries & Ries und Autor des Buches „Brandtner on Branding“. www.michaelbrandtner.com