Purpose – Werber-Buzzword oder Unternehmenstreiber?

Marken mit Sinn sorgen nicht nur kurzfristig für ein Mehr an Aufmerksamkeit oder spontane Kaufentscheidungen. Purpose schafft stabiles und nachhaltiges Wachstum. Nur: was unterscheidet überzeugende Purpose-Brands von trittbrettfahrenden Trendsettern?
Kolumnistin Nina Rieke

Die Zahl der Kampagnen, die sich einem gesellschaftlichen oder sozialen Anliegen widmen, wächst. Längst sind es nicht mehr nur Lifestyle-Brands, die sinnstiftend kommunizieren wollen. Im gesamten Low Interest Sektor, von Finanzdienstleistern bis zu Haushaltsreinigern, ist alles vertreten. Wer zeitgemäß ist, sucht sich ein Kampagnen-Thema, das sozial daher kommt und setzt sich als Marke für eine bessere Welt ein, und hilft uns allen, sozialer, gerechter, schöner, sauberer, nachhaltiger zu leben. Nur: wie nachhaltig und lohnend ist dies für die Marken selber?

Ein logischer Schritt, um Interesse zu schaffen

Global haben wir es heute mit zunehmend gesättigten Märkten und austauschbaren Produkten zu tun. Die Suche nach Einzigartigkeit und Begehrlichkeit wird damit beständig schwieriger. Gleichzeitig werden Marken kritischer gesehen. Bereits vor zehn Jahren hat BBDO in seiner Brand Parity Studie festgestellt, das Menschen rund zwei Drittel aller Marken für austauschbar halten. Und hier ist kein Aufwärtstrend in Sicht – rund ein Drittel aller Marken könnten unbemerkt verschwinden, ohne das es jemanden kümmert. Ebenso erwarten 75 Prozent der Menschen heute, dass Marken einen größeren Beitrag zu unserer Lebensqualität leisten.

Mit Proctor & Gamble und Unilever haben sich zwei der größten Konsumartikel-Hersteller schon seit rund zehn Jahren „purpose driven marketing“ verschrieben. Aber viele Unternehmen scheinen diesen Trend bisher zu verschlafen, wie die Beratungsfirma GlobeOne in einer Studie 2018 zeigt: eine stille Revolution im Marketing – von der jedoch viele Unternehmen nach wie vor nichts mitbekommen haben. Nur 18 Prozent der führenden Unternehmen in Deutschland haben in ihrem Markenclaim einen Unternehmenszweck für die Allgemeinheit herausgearbeitet.

Starke Marken zeigen Mut und beziehen Position

Mit einem starken Brand Purpose bezieht eine Marke Position, statt sich nur zu positionieren. Wenn die Marke für etwas steht – dann auch gegen etwas Anderes. Gute Kommunikations-Beispiele zeigen das eindrucksvoll. Starke Positionen können polarisieren. Aber vor allem taugen sie auch nach innen als ein echter Kompass in der Unternehmensentwicklung. „Brands take a stand“ nennt Edelmann wohl auch deshalb seinen aktuellen Markenreport, und auch Interbrand nennt im aktuellen Best Global Brands Report ein Erfolgsrezept für starke, wertvolle Marken: „They are activating brave.“

Positive Kommunikations-Beispiele zeigen, dass es oft darum geht, banale Dinge kommunikativ zu normalisieren – statt die eigenen Produkte zur Kategorie-Revolution zu erklären. So sorgt Bodyform/ Libresse mit #bloodnormal dafür, das die weibliche Periode enttabuisiert wird. Unter anderem, indem in der Kommunikation keine „blaue Ersatzflüssigkeit“ mehr zeigt. Normalität wird zur Revolution – und die Marke ist Wegebereiter darin, mit Tabus und Stereotypen zu brechen.

Falsch verstandene Sinnstiftung finden wir genug

Sie sind vor allem auf Basis mangelnder Glaubwürdigkeit und Sinn-Trivialisierung entstanden. Als unglaubwürdige aktionistische Tapete, statt Spiegel einer im Unternehmen verankerten Überzeugung. So hat Pepsi 2017 mit Kendall Jenner im Straßenkampf auf das Thema Gerechtigkeit gesetzt – nur wie glaubwürdig ist das im Koffeinbrause-Kontext? Der Spot wurde nach umfassenden Protesten zurückgezogen.

McDonalds und sein „Filet o Fish“ erzählten im selben Jahr die Geschichte vom Sohn und seinem toten Vater – aber wie weit lässt sich ein emotionaler Benefit strecken, wenn weder Produkt noch Marke das stützen? Auch die Deutsche Bank will als Großbank mit dem Hashtag #positiverBeitrag eine Verbindung zu den Menschen schaffen – die sie dann auf anderen Kanälen und vor allem mit sehr anderen Aussagen und Taten klar konterkariert. Der soziale Shitstorm bleibt da nicht lange aus. „Menschliche Nähe“ und Support der Kleinen wird unglaubwürdig, wenn das Unternehmen selber im realen Tun ganz andere Werte vertritt. Nur drei Beispiele, die zeigen, wie schnell soziales Werbe-Engagement nach hinten losgeht.

Manche Kampagnen-Themen sind längst abgenutzt

Bestes Beispiel: „Female Empowerment“ – hier gibt es inzwischen so viele Marken, die sich das Thema auf die Fahne schreiben. Da wird kaum noch klar, welche Marke sich für eine bestimmte Sache einsetzt. Statt auf ein allgemein populäres Thema zu setzen gilt es, nah und glaubwürdig an der eigenen Marke und der damit verbundenen Kategorie, Produkt und Markenwerten zu bleiben. Sonst landet jeder Versuch, auf einen fahrenden Zug zu springen, schnell in der Beliebigkeit. Denn nicht jedes gesellschaftlich relevante Thema muss auch das richtige Thema für die eigene Marke sein.

Wer sich mit dem Thema befasst, kommt dabei immer wieder auf Marken, die einen starken Unternehmens-Sinn definiert haben und in ihren Produkten leben. Dazu gehören amerikanische Marken REI, Patagonia, Chobani Greek Yoghurt, Ben & Jerrys oder TOMs Shoes, aber auch europäische Marken wie ChariTea, Share oder Viva con Agua. Ihnen gemein ist ihre klare, sozial und gesellschaftlich relevante Gründerphilosophie. Eine Philosophie, die in allen Aktivitäten des Unternehmens ihren Ausdruck findet, weit über Kommunikation hinaus.

Die US-amerikanische Outdoor-Brand Patagonia macht immer wieder klar, wie ernst es ihnen damit ist. So kommen die durch Trump initiierten neuen Steuergesetze und damit rund zehn Millionen Dollar Steuerersparnisse Umweltschutzorganisationen zu. Die Basis dafür ist im Mission Statement formuliert: „Build the best product, cause no unnecessary harm, use business to inspire and implement solutions to the environmental crisis.“

Es geht um Engagement für das, was Menschen wichtig ist

Marken, die einem größeren Sinn dienen, haben nicht nur eine starke Haltung, sondern sich oft auch klare Kennzahlen definiert, die dem gesellschaftlichen Wohl verpflichtet sind. Aber nicht für alle ist das ein richtiger oder möglicher Weg. Auch weniger gemeinnützige Marken können einen starken Purpose haben.

Jim Stengel definiert in GROW fünf Kategorien, in denen Marken Sinn stiften – dabei geht es um Engagement für Werte wie „Freude, Verbindung, Explorieren, Stolz, Impact“ – und so wird der Purpose-Begriff weiter gefasst als im Fokus auf die soziale Verantwortung des Unternehmens. Sinn baut so auf das auf, was Menschen im Leben suchen, auch im Konsumkontext. Können also Marken wie IKEA, Facebook oder Coca-Cola einen tiefen Brand Purpose verfolgen und glaubwürdig vertreten? Das hängt vermutlich davon ab, was sie an Aktivitäten aus ihrem Sinn heraus schaffen – und weniger daran, wie sie ihn beschreiben. So erstaunt auch die Top Ten der Havas meaningful brands Studie 2019 wenig, die aus Konsumentensicht Bedeutung schaffen: Google, Paypal, Mercedes-Benz, WhatsApp, YouTube, J&J, Gillette, BMW, Microsoft oder Danone.

Marken mit einem starken Purpose bieten ein Thema, dem sich Menschen anschließen, an dem sie teilhaben wollen. Das die Marke nicht nur durch gute Geschichten, sondern auf breiter Ebene aktivieren kann: vom Produkt bis hin zu Initiativen, die mehr sind als eine schöne Story. Denn nicht nur rufen diese Marken zum Teilen und zur Teilhabe auf. Sie machen dies unter dem Banner einer anschlussfähigen Mission. Ein gutes Beispiel hat die Telekom mit „Sea Hero Quest“ geschaffen: die App, die der Demenzforschung hilft, konnte nicht nur über vier Millionen Downloads erreichen – es wurden auch Forschungsdaten im Gegenwert von mehr als 14.000 Forschungsjahren gesammelt. Die App vermittelt damit glaubwürdig das, wofür die Marke steht: Erleben, was verbindet.

Tief im Unternehmen verankert, wird Purpose zum Leitbild

Die Kraft eines Unternehmens- und Marken-Purpose zeigt sich eben nicht nur über Werbung. Sondern auch als Leitbild nach innen – und damit als Kraft im Employer Branding. Aktuelle Studien von Deloitte  und Gallup zeigen, dass wir lieber für Firmen arbeiten, hinter deren Werten und Visionen wir selber stehen. Und nicht nur Millenials suchen mehr als Gehalt – diese Faktoren sind längst auch für ältere Mitarbeiter wichtig – wir alle präferieren Arbeitgeber, die eine klare Vision haben und sinnstiftend handeln.

Längst zeigen Zahlen, das Marken mit Sinn nicht nur kurzfristig für ein Mehr an Aufmerksamkeit oder spontane Kaufentscheidungen sorgen. Sinnstiftung ist vor allem auch wirtschaftlich ein effektiver Hebel und spielt eine wesentliche Rolle in der Kaufentscheidung – global sind 64 Prozent der Käufer „believe driven buyers“, in Deutschland ist die Zahl sprunghaft innerhalb von nur 12 Monaten von 37 auf 54 Prozent gestiegen.

Marken, die sich der Lebensverbesserung der Menschen widmen, schlagen auch in einer Zehn-Jahres-Studie von Millward Brown und P&G ihre Kategorie-Wettbewerber um Längen und wachsen drei Mal so schnell wie die Wettbewerber. Auch Interbrand bestätigt diese Zahlen– Purpose schafft stabiles langfristiges Wachstum: „The brands generating the most stable growth over the past ten years are those with the highest overall scores on Relevance and Responsiveness.“

So wundert es nicht, dass selbst Larry Fink, Chef der Investment-Firma BlackRock in einem „Letter to CEOs“ dazu aufruft, langfristig zu denken und einen Unternehmens-Purpose zu verfolgen: „To prosper over time, every company must not only deliver financial performance, but also show how it makes a positive contribution to society. …Without a sense of purpose, no company, either public or private, can achieve its full potential.“

Marken mit einem starken Sinn entwickeln ihre ganze Kraft, wenn damit sowohl Kultur, Struktur und Unternehmensstrategie mit definiert werden. Bleibt es bei aktionistischen Werbekampagnen oder ständig wechselnden, immer neuen Marken-Missionen, kann sich das Potential nicht entfalten. Ernst gemeint und glaubwürdig als wirklich eigenes Thema der Marke,  langfristig nach innen und außen gedacht und aktiviert, wird Purpose im besten Fall zur System-intelligenten Qualifikation und zur lukrativen Investition.