Potenzielle Käufer wurden ignoriert

Spielen optimierte interne Geschäftsprozesse eine erheblich größere Rolle für Unternehmen als Kundenbedürfnisse? Studierende an der Jade Hochschule überprüften diese Hypothese und fanden sie eindeutig bestätigt. Ohne Wissen der getesteten 231 Unternehmen wurden typische Kaufsituationen nachgestellt. „Solche Untersuchungen können nie repräsentativ sein“, sagt Projektleiter Professor Christian Gündling, „dennoch lassen sie Rückschlüsse auf die Kundenorientierung der analysierten Unternehmen zu.“

In der Baubranche waren es 50 Hersteller von Fertighäusern, die von den Testkäufern kontaktiert wurden. Der angebliche Kunde beabsichtigte, im ersten Quartal 2011 das neue Heim beziehen zu wollen. Die Kontaktaufnahme erfolgte online über die Website der jeweiligen Anbieter. Es stellte sich heraus, dass auf jeder fünften Website ein Kontaktformular fehlte. Fast jedes dritte Unternehmen antwortete innerhalb von 24 Stunden auf die E-Mail-Anfrage – zumindest erhielt der Testkäufer eine Bestätigungsmail über den Eingang der Anfrage. 38 Prozent reagierten innerhalb von vier Wochen überhaupt nicht. Obwohl eine Telefonnummer zur Verfügung stand, versuchte nur jedes achte Unternehmen in den ersten vier Wochen, Kontakt mit dem Anfragenden aufzunehmen. Und lediglich ein Hersteller ging auf die konkret formulierten Wünsche des Testkunden ein.

In der Immobilienbranche wurden in drei Städten Norddeutschlands 89 Inserenten von Häusern bzw. Wohnungen kontaktiert. Jeweils am Tag der Anzeigenschaltung (Samstag) wurden die angegebenen Telefonnummern zwischen 9 und 13 Uhr angewählt. Mit 39 Unternehmen kam ein direkter telefonischer Kontakt zustande, bei über 50 Prozent mussten sich die Tester mit dem Anrufbeantworter begnügen. Nicht einmal ein Drittel dieser Anbieter rief am nächsten Werktag zurück. Zwei Drittel meldeten sich auch nach drei Werktagen nicht. Nur in 19 Fällen, demnach weniger als 50 Prozent der realisierten Kontakte, wurde der Interessent zu einer Besichtigung der Immobilie oder zu einem persönlichen Gespräch eingeladen.

Im Rahmen weiterer Testkäufe wurde ein fiktives IT-Unternehmen gegründet, das in einem Online-Shop Netzwerkdrucker und NAS-Server kaufen wollte. Dabei wurde zunächst eine Anfrage zu bestimmten technischen Problemen gestellt. Nach drei Tagen hatten erst 22 der 40 angefragten Unternehmen geantwortet. Des Weiteren wurden von sechs ausgebildeten Testkäufern insgesamt 30 Autohäuser besucht. „Auch hier kann vielen Händler nur eine ausgesprochene Kundengleichgültigkeit bescheinigt werden“, erklärt Christian Gündling. Nach Betreten des Autohauses durch die Testkunden wurden zwei Drittel von ihnen schlicht ignoriert. Lediglich in einem Drittel der Fälle nahm ein Verkäufer Kontakt mit dem potenziellen Käufer auf.

„Wie unsere Studie belegt, sind nicht die Branche oder die Rahmenbedingungen verantwortlich für den wirtschaftlichen Misserfolg – viele Unternehmen negieren ihren wirtschaftlichen Erfolg aktiv“, wertet Gündling die Projektergebnisse. „Die Geschäftsprozesse mögen kostenoptimiert sein, die Kundenprozesse werden nicht berücksichtigt. Dabei ist der Grad der Kundenorientierung ein entscheidender Erfolgsfaktor in einem sich permanent verschärfenden, dynamischen Wettbewerb. Die Alternative hierzu ist, in den Preiswettbewerb einzusteigen.“

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