Online-Handel nimmt Marke von 100 Milliarden Euro ins Visier

Die Deutschen shoppen online so viel wie noch nie. Kritik an Zustellproblemen und Retouren-Vernichtung bremsen das Wachstum nicht. Die Händler sehen sich den Herausforderungen gewachsen und peilen nach einem Gesamtumsatz von 94 Milliarden Euro im Jahr 2019 nun die Marke von 100 Milliarden Euro an.
Die Zahl der Online-Sendungen wächts und wächst - und der größte Versender ist und bleibt Amazon. (© Imago)

Von Magdalena Tröndle und Eckart Gienke, dpa

Trotz Kritik am Online-Handel, etwa wegen Problemen bei der Zustellung von Paketen oder der Vernichtung von Rücksendungen, wächst die Branche ungebremst weiter. Die Internet-Händler in Deutschland sehen auch nach vielen Jahren mit starkem Wachstum keine Anzeichen, dass der Trend zum Online-Kauf nachlassen könnte. Im vergangenen Jahr bestellten die Verbraucher Waren und Dienstleistungen im Wert von 94 Milliarden Euro brutto im Distanzhandel, teilte der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BVEV) am Dienstag in Hamburg mit. Das entspricht einem Plus von knapp zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. In diesem Jahr werde voraussichtlich die Schwelle von 100 Milliarden Euro überschritten.

Immer und überall kann bestellt werden, das ist ein wichtiger Wachstumsfaktor.“
Verbandspräsident Gero Furchheim

Die Gründe für das anhaltende Wachstum sind nach einer Studie im Auftrag des Verbandes unterschiedlich. Rund ein Drittel der Bestellungen kommt mobil von Tablets und Smartphones. Vor fünf Jahren waren es knapp 20 Prozent. „Immer und überall kann bestellt werden, das ist ein wichtiger Wachstumsfaktor“, sagte Verbandspräsident Gero Furchheim. Auch die Bestellfrequenz nehme zu. Ein Drittel der Käufer gab an, mehrmals die Woche online einzukaufen. Vor fünf Jahren waren es nicht einmal 20 Prozent. Gleichzeitig sei die Zufriedenheit mit dem Online-Handel gestiegen. 94,5 Prozent der Befragten äußerten sich sehr zufrieden oder zufrieden.

Quelle: Verbraucherbefragung „Interaktiver Handel in Deutschland“ 2019, BEVH / * Basis: Umsatzangaben inkl. Umsatzsteuer / ** Basis: Bestellungen

Im Handel mit Waren – also ohne Dienstleistungen wie zum Beispiel Flug-, Bahn oder Bustickets, Reisen oder Konzertkarten – setzte der Distanzhandel 74,4 Milliarden Euro um, davon knapp 98 Prozent über den Online-Handel. Die Verbraucher kaufen besonders gern Bekleidung, Elektronikartikel und Computerzubehör im Internet. Den höchsten Zuwachs weisen aber Lebensmittel, Haushaltsgeräte und Haus- und Heimtextilien aus. Dabei shoppen Frauen laut Studie eher Tierbedarf, Bekleidung oder Drogerieprodukte, während Männer bei Elektronik, Computern und Auto-Motorradbedarf vorne liegen.

Verbesserungen auf der letzten Meile nötig

„Wir haben keine Angst vor weiterem Wachstum“, sagte Furchheim. Die Systeme und die Logistik der Online-Anbieter seien mit dem wachsenden Markt immer effizienter geworden. Durch innovative Logistik-Konzepte werde es auch weiter gelingen, die Zustellung auf der „letzten Meile“ zum Kunden zu optimieren und nachhaltig zu gestalten. Dazu laufen in vielen Städten diverse Projekte, von Mikro-Verteilzentren und Paket-Sammelkästen über die Zustellung mit Lastenfahrrädern und E-Mobilen bis zu autonomen Lieferrobotern. Ein Großtrend zeichnet sich jedoch noch nicht ab. „Kollektive Logistikkonzepte sind effektiver als individuelle“, sagte Verbandsgeschäftsführer Christoph Wenk-Fischer.

Im Bereich der Retouren-Sendungen ist laut Studie „kein großer Trend“ zu verzeichnen. Die Rücksende-Absicht der Verbraucher sei gesunken: So hätten 87,5 Prozent der Befragten angegeben, beim Kauf keine Rücksendung geplant zu haben – etwa ein Prozent weniger als im Jahr zuvor. „Wir wissen, dass Warenvernichtung immer schlecht ist“, sagte Furchheim. „Allerdings liegt der Anteil der Waren, die vernichtet werden, im Promillebereich.“ Die meisten zurückgeschickten Waren würden wieder aufgearbeitet. Der Verband fordere, dass es nicht günstiger sein dürfe, Ware zu vernichten, als sie zu spenden. Dazu müsse eine ungünstige Regelung bei der Umsatzsteuer verändert werden.

Volumenabhängiges Porto gefordert

Um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, sprach sich der Verband für ein volumenabhängiges Porto aus. Die Versandgebühr soll nicht nach Gewicht, sondern nach Größe berechnet werden. Dadurch seien Händler und Logistiker angehalten, weniger Verpackung zu verbrauchen. Außerdem spare man dadurch Platz bei der Lagerung und Verteilung der Waren. Auch Mehrwegverpackungen und wiederverwendbare Taschen seien sinnvolle Optionen, um den Online-Handel nachhaltiger zu gestalten.

Im Gegensatz zum Einzelhandel habe der Online-Handel einen entscheidenden Vorteil. „Wir produzieren weniger Überhänge“, sagte Wenk-Fischer. Online-Händler seien in der Lage, ihre Produkte nachfrageorientiert bereitzustellen.