Nur „billig“ reicht nicht

Mit günstigen Preisen versuchen Markteinsteiger etablierten Unternehmen die Kunden abspenstig zu machen. Doch bei Erfolg heißt es auch für diese Preisführer: Wie binde ich meine Kunden?

Die Telekommunikationsbranche liefert ein Paradebeispiel: Die Nachfrage nach Telefon- und Internetanschlüssen ist weitgehend gesättigt, und ein intensiver Verdrängungswettbewerb beherrscht den Markt. Die Anschlüsse nehmen die Konsumenten als homogene Produkte wahr. Deshalb stellen der Preis und die Qualität des Kundendienstes die wesentlichen Differenzierungsmerkmale dar.

Die Strategie der Preisführerschaft wählen meist neue Marktteilnehmer, die sich so ihren Platz im Markt erobern wollen, oder Nischenanbieter, die sich auf das preisorientierte Kundensegment spezialisieren. Die Preisführerschaft bedingt eine konsequente Kostenorientierung, um dauerhaft Gewinne zu erwirtschaften. Da die Preisführer oft kleine Marktanteile besitzen, können sie noch keine Größeneffekte realisieren, sondern müssen ihren Kostenvorteil durch Einsparungen, zum Beispiel bei der Qualität, erzielen.

Setzt der Preisführer seine Strategie konsequent um, ist es praktisch ausgeschlossen, dass er Kunden auf Grund eines Preisnachteils verliert. Die Hauptkündigungsgründe, die er beeinflussen kann, liegen dann im Qualitätsbereich, wie beim Kundendienst, bei der technischen Zuverlässigkeit der Leitung oder bereits am Anfang der Kundenbeziehung im Verkaufsprozess.

Übersicht der unterschiedlichen Kundenbindungsstrategien

Den Ursachen solcher Kündigungsgründe auf die Spur zu kommen ist oft schwierig, aber unverzichtbar, um die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Bei Ausfällen einer Internetverbindung kommen beispielsweise mehrere Ursachen in Frage: ein defektes Kabel oder Modem, Probleme mit der Hausinstallation oder dem Netzwerk, die Firewall des Kunden und so weiter.
Da beim Preisführer die internen Prozesse wegen des Kostendrucks weniger ausgereift sind als beim Qualitätsführer, führen sie häufig zu unbefriedigender Hilfestellung. Das spüren vor allem Kunden, die vom Qualitätsführer zum Preisführer wechseln.
Denn nicht immer kann der Preisführer die hohen Erwartungen dieser Neukunden erfüllen.

KURZFRISTIGE MASSNAHMEN ZUR KUNDENBINDUNG
Die bedeutendste Maßnahme für Preisführer stellen Kundenbindungskampagnen dar. Diese beeinflussen die Kundenfluktuation direkt. Die Kampagnen können sich präventiv an Kunden richten, die noch nicht gekündigt haben, dies aber mit hoher Wahrscheinlichkeit bald tun werden. Wer zu dieser Kundengruppe gehört, lässt sich mit Hilfe von Data-Mining und der Berechnung der Kündigungswahrscheinlichkeit ermitteln. Ein Teil der Kunden, die hingegen bereits gekündigt haben, kann während der Kündigungsfrist noch mit einer Winback-Kampagne zurückgewonnen werden.

Auf Grund der vorwiegend qualitätsbedingten Kündigungsgründe empfehlen sich für Preisführer vor allem Telefonkampagnen.
Im Telefongespräch können die Gründe für die Unzufriedenheit oder Kündigung gemeinsam mit einer möglichen Lösung genau besprochen werden. Die Kunden profitieren damit von einer zügigen Lösung ihres Anliegens – idealerweise sofort! Dies erfordert einen speziellen Prozess und besondere Fähigkeiten der Mitarbeiter, denn kündigungsgefährdete Kunden warten nicht. Aus diesem Grund sollte ein speziell ausgebildetes operatives Kundenbindungsteam für diese Aufgabe ausgewählt werden.
Die Mitarbeiter benötigen neben viel Einfühlungsvermögen auch verkäuferisches Flair, Redegewandtheit am Telefon und eine sehr gute Kenntnis aller relevanten internen Prozesse und Problemlösungen.

Das in der Branche sehr verbreitete Outsourcing von proaktiven Telefonkampagnen an ein externes Call-Center empfiehlt sich bei Preisführern nur, wenn alle Kundenanliegen mit Hilfe des Partners schnell und gut genug gelöst werden können. Entsteht eine zeitliche Verzögerung oder kann die gewünschte Kompetenz für die Problemlösungen nicht aufgebaut werden, sollte eine interne Durchführung der Kampagne vorgezogen werden.

Eine sehr einfach umzusetzende Kundenbindungsmaßnahme ist der Aufbau von Wechselbarrieren, die den Kunden den Wechsel zu anderen Anbietern erschweren sollen. Weit verbreitet sind juristische Wechselbarrieren, die Kunden mit langen Mindestvertragslaufzeiten, Kündigungsfristen und automatischen Vertragsverlängerungen binden und den Kundenlebenszyklus durch eine zeitliche Verzögerung des Vertragsendes deutlich verlängern. Sie erschweren außerdem die Akquisitionsbemühungen der Mitbewerber, da viele Kunden zum Zeitpunkt des Kontaktes noch für mehrere Monate gebunden sind.

Im Fall von schwerwiegenden Reklamationen oder Fehlern bei der Verkaufsberatung greifen diese Maßnahmen nur beschränkt, da die Kunden von Rücktrittsrechten Gebrauch machen können. Hier strikt auf dem Vertrag zu bestehen würde das Unternehmensimage schädigen. Eine genaue interne Regelung für das Vorgehen des Kundendienstes bei qualitätsbedingten Kündigungen ist somit unumgänglich. Es sollte genau definiert sein, unter welchen Bedingungen Kunden notfalls frühzeitig aus dem Vertrag entlassen werden müssen.

Ökonomische Wechselbarrieren sollen die Einsparungen beim Wechsel zu einem anderen Anbieter reduzieren.
Gebühren für die Auflösung des Vertrags oder den Transfer einer Telefonnummer zum Wettbewerber belasten die Kunden beim Wechsel mit zusätzlichen Kosten. Durch eine Preisbündelung hingegen kann man Kunden, die mehrere Produkte beim gleichen Anbieter beziehen, mit einem günstigeren Preis binden.

Verschiedene empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Cross-Selling – das bedeutet der Verkauf weiterer Produkte an bestehende Kunden – die Kundenbindung fördern kann. Denn die Auflösung der Geschäftsbeziehung ist für den Kunden mit mehr Aufwand verbunden ähnlich wie bei Preisbündelangeboten. Preisführer sollten jedoch beachten, dass beim Cross-Selling und bei der Preisbündelung Vorsicht geboten ist, wenn sich die Produkte in der Qualität stark unterscheiden. Möglicherweise setzt man eine gute Kundenbeziehung aufs Spiel.

Mit der Anzahl der bezogenen Produkte steigt bei Preisführern mit schwachen Prozessen die Wahrscheinlichkeit eines „kritischen Ereignisses“. Werden die Fehler nicht schnell entdeckt und behoben, besteht die Gefahr, dass die Kunden aus Verärgerung alle Produkte auf einmal kündigen.

LANGFRISTIGE MASSNAHMEN ZUR KUNDENBINDUNG
Die wirksamste, aber sehr übergreifende Kundenbindungsmaßnahme besteht darin, das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis für das Zielsegment im Markt zu besetzen. Unternehmen, die dieses Optimum erreichen, müssen oft nur noch punktuell Kundenbindung betreiben. Für den Preisführer erfordert dies eine große Flexibilität bei Preisanpassungen, um immer den niedrigsten Angebotspreis zu haben sowie ein vernünftiges Qualitätsmanagement.

Entscheidend für den Preisführer ist, dass die Qualität immerhin den „Hygienefaktoren“ der Kundschaft genügt.
Entsprechend sollten Schlüsselprozesse verbessert werden, die durch Fehler häufig Kündigungen verursachen.
Kündigen zum Beispiel viele Neukunden, weil ein aggressiver Verkaufskanal oder Partner nicht immer eine seriöse Beratung gewährleisten kann, sollte analysiert werden, ob die Kosten eines stärkeren Verkaufscontrollings oder zusätzlicher Schulungen niedriger sind als der Verlust der Neukunden. Überließe man die Behebung dieser Fehler ausschließlich den Kundenbindungskampagnen, würde man in die eigene Ineffizienz investieren.

Eine sehr drastische und von Kunden fast als gewaltsam empfundene Kundenbindungsmaßnahme sind technische Wechselbarrieren, die den Zugang zu anderen Anbietern über den Anschluss oder ein Endgerät blockieren.
So bieten einige Kabelnetzanbieter Internet- und Telefonservices nur gemeinsam mit einem Fernsehanschluss an.
Mit der Entscheidung für einen Kupferdraht- oder Glasfaseranschluss schränkt sich für die Kunden somit die Auswahl der Anbieter für mehrere Dienste ein.

Emotionale Wechselbarrieren in Form einer bevorzugten Behandlung besonders rentabler Kunden finden in den Budgets der Preisführer meist keinen Platz, da sie einfach zu teuer sind. In Frage käme allenfalls eine emotionale Bindung über ein zur Zielgruppe passendes Image beispielsweise nach dem Motto „Billig ist clever“.

Als „Krönung“ unter den Kundenbindungsmaßnahmen können Kundenbindungsprogramme angesehen werden.
Sie gehören aber zu den am schwierigsten umzusetzenden Projekten. Nur wenigen Unternehmen ist es gelungen, Programme in Form von Punkteprogrammen oder Rabattsystemen zu etablieren, die nachweislich die Kundenbindung beeinflussen.
Der Aufwand für das Einlösen von Punkten oder Gratisleistungen, das Beantworten von Kundenanfragen sowie die Werbung für das Programm dürfen nicht unterschätzt werden. Deshalb sollten Preisführer erst dann ein Kundenbindungsprogramm planen, wenn sie die anderen kurz- und langfristigen Maßnahmen bereits ausgeschöpft haben.

SCHMERZGRENZE NICHT TESTEN
Selbst Preisführer sollten sich davor hüten, mit der Qualität ihrer Leistungen bis an die Schmerzgrenze ihrer Kundschaft zu gehen.
Auch beim günstigsten Anbieter werden lange Warteschleifen an der Hotline, hilflose Call-Center-Mitarbeiter oder technische Störungen auf Dauer nicht akzeptiert. Qualitätsmängel schlagen sich nicht nur in Kundenfluktuation nieder, sondern belasten auch den Ruf eines Unternehmens und damit sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen Verkaufsbemühungen.

In Unternehmen mit vielen unzufriedenen Kunden und einer hohen Kundenfluktuation sind auch viele Mitarbeiter unzufrieden und weniger loyal. So wird das Übel einer hohen Kundenfluktuation oft von einer kostspieligen hohen Mitarbeiterfluktuation begleitet. Deshalb sollten einige Preisführer aus ihren Fehlern lernen und von ihrer rein kurzfristigen Perspektive abrücken, damit sie noch lange mehr neue als ehemalige Kunden antreffen.

Autorin: Bettina Freyland baute die Abteilung Retention Management beim Kabelnetzbetreiber Cablecom in Zürich auf.
Heute ist sie selbstständige Unternehmensberaterin.

Kontakt: bettina@freyland.net