Nicht übers Ziel hinausschießen

Zielgenauer, messbarer, schneller: Was Targeting - Das zielgruppenorientierte Einblenden von Werbung auf Webseiten - leisten kann und was nicht.

Von Roland Karle

Max Bücker fühlt sich verfolgt. Von Bikinis, Modeschmuck und Stöckelschuhen. War wohl doch ein Fehler, seine Tochter an den Computer zu
lassen. Die hat bei den Amazons und Zalandos ausgiebig ins Schaufenster geguckt – und Spuren hinterlassen. Jetzt wird zurückgeworben: Immer wieder erscheinen Produkthinweise, wenn sich Max auf diversen Internetseiten bewegt. Diese Facette der Kundenorientierung nennt sich Retargeting. Frei übersetzt: Wiedersehen macht Freude. Darauf hoffen zumindest Werbungtreibende, die damit arbeiten. Pech, wenn der Vater adressiert wird, aber die Tochter gemeint ist – das lässt sich nicht vermeiden, wenn mehrere Leute einen PC nutzen. Doch der Gedanke ist nahe liegend: Wer nach einem bestimmten Produkt oder einer Dienstleistung gesucht hat, könnte für weitere Angebote offen sein.

Mehrfach wiederkehrende Werbung nervt Internetnutzer

Wiederkehrende Werbung dieser Art finden laut einer aktuellen Studie der Hamburger Agentur Fittkau & Maaß knapp die Hälfte der dazu befragten 1.000 Internetnutzer interessant. Wird sie dreimal oder öfter wiederholt, fühlt sich allerdings schon jeder Zweite genervt – und ein Imageschaden droht: Denn gut ein Drittel der Besucher eines Onlineshops schließt von der angezeigten Werbung auf dessen Qualität. Retargeting ist eine spezielle Form von Targeting, abgeleitet vom englischen „target“ (Ziel), das es im Idealfall schafft, Werbung zur richtigen Zeit an den richtigen – sprich: am beworbenen Thema/Produkt interessierten – Nutzer zu liefern. Absender und Empfänger sollen davon profitieren: Die einen werben effizienter, die anderen erhalten relevantere Werbung.

Tendenz der optimierten Online-Kampagnen steigt

„Targeting ist weiter ungebremst im Aufwind“, behauptet Stephan Noller, CEO der auf zielgruppengenaue Werbung im Web spezialisierten Firma
Nugg.ad in Berlin. Die Deutsche-Post-Tochter betreibt die nach eigenen Angaben größte Targeting-Plattform Europas und arbeitet dabei mit Agenturen und Vermarktern zusammen. Jede zweite Onlinekampagne werde derzeit schon mit Targeting-Optimierung ausgesteuert. Tendenz steigend, sagt Noller, „denn nur Targeting schöpft die Möglichkeiten von Online voll aus“.

Werbung kann dabei sehr differenziert ausgeliefert werden, indem sie dem Standort des Nutzers (Regio-/Geo-Targeting), festgelegten Zeiten
(Time-&-Date-Targeting), dem jeweiligen Browsertyp, Provider oder Betriebssystem (System-Targeting) folgt. Neben dieser technischen Variante gibt es sprachbasiertes Targeting, das sich an (Such-)Worten und semantischer Bedeutung orientiert. Und natürlich Behavioral Targeting, das aus dem beobachteten Surfverhalten seine Schlüsse zieht: Hat ein Nutzer beispielsweise häufig Immobilienportale aufgesucht, werden entsprechende Werbeangebote angezeigt. Die jüngste Form ist Social Media Targeting, bei der Profildaten der Nutzer mit vorliegenden Informationen kombiniert werden.

Abbrecherquote Bei Bewegtbildwerbung aüßerst gering

„Die Bedeutung von Targeting hat durch die neuen technischen Möglichkeiten sehr stark zugenommen“, bestätigt Sebastian Wörle, Gesamtanzeigenleiter IDG Business Media in München. Das auf die Zielgruppe der IT-Profis spezialisierte Medienhaus („PC Welt“) nutzt Targeting, um beispielsweise die wachsende Zahl der Tablet-PC-Nutzer zu erreichen. Wer etwa die Touch-Websites von „Computerwoche“ oder „Tec Channel“ aufruft, wird dann automatisch angesteuert. Was die Werbeformen betrifft, wird derzeit Bewegtbild von Kunden stark nachgefragt – und von Nutzern akzeptiert, wie Paul Mudter berichtet. „In gezielt ausgesteuerten Videos ist die Abbrecherquote bei Werbespots äußerst gering“, sagt der Geschäftsleiter Interactive der RTL-Tochter IP Deutschland.

Manchmal ist Onlinewerbung sogar wetterfühlig. Vermarkter OMS, der flächendeckend die Internetseiten von Tageszeitungen und Radiosendern betreut, fährt Werbekampagnen anhand aktueller Klimadaten. Wenn es in einer Region gerade regnet, können Reiseveranstalter dort Urlaubsangebote für sonnige Gefilde machen – oder umgekehrt die Onlinekampagne für Eiscreme nur dort platzieren, wo es gerade heiß ist. Weil die Klimadaten stets aktualisiert werden, lassen sich die Werbemaßnahmen durch dieses „Wetter-Targeting“ sofort anpassen und umsetzen.

Vermarkter haben Targeting-Potenzial erkannt

Die großen Vermarkter haben das Potenzial von Targeting erkannt und reagiert. Seit dem Jahr 2010 bilden G+J Electronic Media Sales, IP Deutschland, Sevenone Media und Tomorrow Focus Media das Joint Venture Ad Audienceund bündeln darin ihre Onlinereichweiten. Für ein offenes Kooperationsmodell mit dem Kennwort „Brand Targeting Initiative“ haben sich Axel Springer Media Impact (ASMI), der Holtzbrinck-Vermarkter IQ Digital Media Marketing und OMS entschieden.

Noch nicht entschieden ist hingegen die Frage, ob nun die gezielte Werbeauslieferung via Targeting oder die werbliche Ansprache in Themenumfeldern besser und effizienter funktioniert. Sachdienliche Hinweise liefert ein Kampagnenvergleich von Nurago. Die Marktforscher haben dabei die auf 20- bis 39-jährige Männer ausgelegte Werbung für das L’Oréal-Deo Garnier Men Mineral ausgewertet. Für die identische Kampagne ergab sich beim Targeting ein bis zu 168 Prozent höherer Zielgruppenanteil als über Umfeldrotation.

Ein deutliches Ergebnis, das Mudter aufmerksam zur Kenntnis genommen hat. „Targeting verbessert zwar die Trefferquote“, sagt er, „stößt aber
auch an Grenzen. Umfeldwerbung wird deshalb nicht verdrängt werden.“ Je ausgefeilter und leistungsstärker die Technologie, je vielfältiger und aussagekräftiger die verfügbaren Daten, desto besser funktioniert zwar die Methode. Doch sie hat auch Schwächen. Nutzerprofile müssen erfasst, sortiert und kombiniert werden. Dieser Arbeitsaufwand steht der – mutmaßlich besseren – Werbeleistung gegenüber. „Targeting auf Profile bringt nicht zwangsläufig einen Mehrwert“, sagt Sascha Jansen, Geschäftsführer Annalect Group Germany, einer Tochter der Mediaagentur OMG.

Die richtige Balance finden

Gelöschte Cookies (zur Wiedererkennung auf Computern gespeicherte „Datenkekse“), dynamische und somit sich stets ändernde IP-Adressen,
falsche Nutzerangaben bei der Registrierung und verwischte Profile, wenn verschiedene Personen Zugang zu einem Computer haben, schränken die
Treffsicherheit von Targeting ein. „Je mehr Kriterien man selektiert und verbindet, desto kleiner wird die Menge der Auslieferung, was zu einer ungünstigen Verknappung der Reichweite führen kann“, fügt Mudter hinzu. „Da muss man die richtige Balance finden.“ IDG-Manager Wörle sieht das Gebot der Stunde darin, „zu experimentieren, zu testen und Innovationen eine Chance zu geben“. Bezüglich Messbarkeit und Zielgenauigkeit zweifelt er nicht daran, dass „Targeting dafür ein sehr geeignetes Instrument ist“.