Nestlé hat aus dem Palmöl-Desaster gelernt und demonstriert online jetzt Transparenz

Im Sommer 2011 startete Nestlé seinen Marktplatz, eine Mischung aus Bewertungs-, Informations- und Mitmachplattform für 1 400 Produkte inklusive Bestellmöglichkeit. Das ist ein deutlicher Schwenk in Richtung Öffnung des Global Players, dem im Frühjahr noch ein Social-Media-Desaster widerfuhr (absatzwirtschaft online berichtete: „Ein Weltkonzern scheitert an Social Media“). Der Lebensmittelkonzern war wegen seines Palmöl-Lieferanten Sinar Mas, der zur Palmöl-Gewinnung illegal Urwälder rodet, in die Kritik geraten. Innerhalb von fünf Tagen erlebte Nestlé einen empfindlichen Reputationsabsturz. Während es Greenpeace durch virtuose Nutzung der gesamten Social Media-Klaviatur schaffte, Konsumenten weltweit zu mobilisieren, zeigte sich der Marken-Goliath schwerfällig. Das sollte anders werden. Projektleiter Alexander Decker, Head of Consumer Relations, Nestlé Deutschland AG, zieht im absatzwirtschaft-Interview eine Zwischenbilanz und gibt einen Ausblick auf die weiteren Entwicklungen.

Herr Decker, was ist das Ziel des Nestlé Markplatzes? Will der Lebensmittelriese in Zukunft verstärkt online verkaufen?

DR. ALEXANDER DECKER: Wer jetzt nicht lernt, wird in zehn Jahren nicht mehr dabei sein. Nestle denkt in Paletten, aber nicht in Endkunden-Handelseinheiten. Wir haben uns entschieden, das aufzusetzen, um zu lernen. Der Nestle Markplatz ist kein Onlineshop, aber er hat einen Shopbereich. Hauptfokus war aber, Transparenz und Öffnung zu erreichen. Da stand Nestle in der Vergangenheit ja nicht immer optimal da.

Sie sprechen den Fall Greenpeace gegen Kitkat an. Ist der sehr offene Marktplatz eine etwas verspätete Reaktion darauf?

DECKER: Da habe ich mein Lieblingszitat von Fiat-Chef Agnelli: Companys won´t change, unless there is a crisis. Wir müssen zum Teil Glaubwürdigkeit wieder aufbauen.

Hat der Konflikt auch ökonomische Spuren hinterlassen?

DECKER: Nein. Wir haben uns das sehr genau angeschaut. Nicht nur die Abverkaufszahlen, auch die Markenwerte und so weiter. Den Palmöl-Shitstorm merkt man nicht. Nur in einer gewissen Klientel hat das Relevanz. Wer mal ein Social-Media-Buch aufschlägt, stolpert immer wieder über diesen Nestlé-Case.

Sie lassen Kommentare direkt auf die Plattform und moderieren erst im Nachgang. Hat sich das bewährt?

DECKER: Wir haben Themen wie zum Beispiel das nachgelagerte Moderieren im Unternehmen richtig durchgetankt. Wir sprechen immerhin vom größten Lebensmittelhersteller der Welt, einem Konzern. Wir sind als Team mächtig stolz, weil wir mit sieben Leuten so ein Unternehmen wie Nestle auch rocken. Das ist eine komplett neue Denke für ein solches Unternehmen. Um die Frage zu beantworten: Es hat sich gelohnt und es bleibt so.

Hat es im ersten Halbjahr Nestlé Marktplatz Probleme mit aggressiven Kommentaren gegeben?

DECKER: Nach dem Start ist erst einmal genau das passiert, womit wir gerechnet haben. Da kamen die ganzen Aktivisten und wollten mal sehen, was Nestlé so gelernt hat. Wenn Sie sich die ersten Posts in den Blogs anschauen, da ist alles gekommen, was in den letzten 25 Jahren bei Nestle passiert ist. „Nestle tötet Babys“, „Kitkat und Palmöl“, das Thema „Wasser“. Wir hatten Backup-Leute im Unternehmen und haben im Vorfeld schon die relevantesten Inhalte zusammengetragen. So konnten wir antworten, schnell antworten. Auf Facebook gab es Leute, die haben uns im Zweistundentakt drangsaliert. Man hat richtig gemerkt, dass die uns testen wollten. Aber das war ja die Herausforderung, und wir haben es herausgefordert. Dann stellten sich zwei Effekte ein: Zum einen ist es den Aktivisten zu langweilig geworden. Und gleichzeitig kamen die Markenadvokaten, die treuen Fans, immer stärker ins Spiel. Inzwischen sind unsere Fans schneller im Moderieren als wir.

Sie sind mit dem Marktplatz auch gleichzeitig in den Direktvertrieb eingestiegen. Wie hat der Handel darauf reagiert?

DECKER: Die haben kritisch drauf geguckt und schon geunkt, wir würden ihnen das Wasser abgraben wollen. Aber das kann doch den stationären Handel nicht ersetzen. Herr Berssenbrügge (Vorstandsvorsitzender Nestlé Deutschland) wäre zufrieden, wenn wir ein Prozent vom Gesamtumsatz erwirtschaften. Wir werden in den nächsten fünf Jahren keine überdimensionalen Abverkäufe dort haben. Im Gegenteil, wir werden Funktionalität einarbeiten, die die Leute in den Handel bringt, zum Beispiel Couponing. Wir würden gerne zum ROPO-Effekt beitragen. Unsere These lautet, dass der stationäre Abverkauf steigen wird, weil die Kunden mehr Informationen von uns bekommen.

Nestle-Produkte laufen auf so vielen unterschiedlichen Handelsplattformen, wie will man die mit Couponing unter einen Hut kriegen?

DECKER: Da reden wir gerade mit unseren Vertriebspartnern. Das ist ein sehr komplexes Thema. Wir wollen das machen, aber es sind eben viele Parteien involviert. Derzeit entwickeln wir gerade ein paar Modelle.

Wie viel Traffic hat der Nestle Marktplatz?

DECKER: Wir liegen mit knapp einer Million deutlich über Plan. Mit 500 000 hatten wir gerechnet.

Inwiefern steht Cocreation auf der Agenda?

DECKER: Es ist nicht so einfach, die Ideen, die kommen, umzusetzen. Normalerweise dauert ein solcher Prozess ein Jahr. Wir haben Ideen, wie wir das in Zukunft umsetzen, vielleicht auch mit einem Copacker, also einem Drittunternehmen, das den Prozess zunächst für uns testet. Wenn wir dort ein Produkt entwickeln und es bei den Nutzern ankommt, dann können wir uns Gedanken machen, wie wir es serienfähig machen. Derzeit entwickeln wir mit unserer Agentur die Steuerungssoftware für solche Prozesse.

Sie haben gesagt, dass Sie die Nutzer spielerisch involvieren wollen.

DECKER: Es soll eine Überraschung sein. Aber so viel kann ich verraten: Wir wollen nicht, dass die Nutzer einfach nur einen Text reinschreiben wie: „Mach doch mal den Maggi-Sprüher“. Sie sollen das schon visualisieren und sich da mit anderen austauschen können. Der Fokus liegt ganz stark auf Interaktion.

Das Gespräch führte Frank Puscher.

www.nestle-marktplatz.de