Nachhaltigkeit – so geht Shopping ohne Schamgefühl

Der Megatrend Nachhaltigkeit wird auch über die Corona-Krise hinaus das Kaufverhalten der Konsumenten beeinflussen. Und wie sich dabei immer klarer zeigt, muss nachhaltiger Konsum nicht notwendig Verzicht bedeuten.
Kreislaufwirtschaft
Mit neuen zirkulären Geschäftsmodellen setzen Unternehmen auf hochwertige Produkte, die mehrere Gebrauchszyklen durchlaufen können. (© Unsplash/Cherie Birkner)

Von Josefine Köhn

Zukunftsforscherin Theresa Schleicher ist überzeugt: „Das Thema Nachhaltigkeit wird sich stark weiterentwickeln.“ Für sie ist klar, dass sich der nachhaltig orientierte Lebensstil längst aus der Öko-Ecke befreit hat und zum Lifestylethema geworden ist. Bisher habe man Secondhand-Mode und Nachhaltigkeit auf der einen sowie Fast Fashion auf der anderen Seite als zwei verschiedene Welten betrachtet, so Schleicher. „Für die neue Art von nachhaltiger Mode muss der Konsument jedoch keine Kompromisse mehr eingehen.“

Mit neuen zirkulären Geschäftsmodellen setzen die Big Player auf hochwertige Produkte, die mehrere Gebrauchszyklen durchlaufen können. Zalando hat im vergangenen Jahr mit Pre-owned die erste neue Kategorie seit 2018 etabliert. H&M ging im Sommer 2020 in Deutschland mit Sellpy, einer Plattform für den An- und Verkauf von hochwertiger Secondhand-Kleidung an den Start.

Auch im Bereich Unterhaltungselektronik ist Nachhaltigkeit kein Fremdwort mehr. So starteten Media Markt Saturn, Comspot und Samsung Kooperationen mit Grover. Geschäftsmodell des Fin-Techs ist es, Gadgets wie Handys oder Spielekonsolen zu vermieten, um den Lebenszyklus von Tech-Produkten zu verlängern.

Hohes wirtschaftliches Potenzial

Im Jahr 2020 erzielte Grover einen Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro. Innovative zirkuläre Geschäftsmodelle entsprechen also nicht nur dem Wunsch der Kunden nach langlebigen und nachhaltigen Produkten, sondern bergen gleichzeitig wirtschaftliches Potenzial für Hersteller.

Wie zirkuläre Geschäftsmodelle im Lebensmittelhandel funktionieren können, zeigt die Ladenkette Sirplus, die während der Corona-Krise expandieren konnte. Über einen Onlineshop sowie in sechs sogenannten Rettermärkten gibt Sirplus überschüssige Lebensmittel zu günstigeren Preisen an Konsumenten weiter. Auch die in sieben Bundesländern vertretene Secondhand-Modekette Resales eröffnete während der Corona-Krise neue Filialen. Ebenso spricht der Discounter Penny mit seinem Nachhaltigkeitsmarkt in Berlin-Spandau Verbraucher an, die bewusst auf Klima- und Umweltschutz achten.

Selbst auf politischer Ebene wird das Thema stärker forciert. Ein neuer Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft des Umweltausschusses der Europäischen Kommission stellt heraus, dass mithilfe der Kreislaufwirtschaft nicht nur die CO2-Emissionen der EU drastisch sinken würden, sondern dieses System auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen würde.

Der für den europäischen Grünen-Deal zuständige Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans betont: „Um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, unsere natürliche Umwelt zu erhalten und unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, bedarf es einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft.“ Die europäische Wirtschaft sei noch überwiegend linear gestaltet und nur zwölf Prozent der Sekundärstoffe und -ressourcen gelangten wieder in die Wirtschaft zurück.

Effiziente Ressourcennutzung

Es ist also noch ein langer Weg, weshalb eine zunehmende Zahl von Kreislaufwirtschaftsprojekten mit Fördergeldern unterstützt wird. Meist sind sie nicht von Beginn an wirtschaftlich erfolgreich, liefern jedoch spannende Einsichten für die zukünftige Umsetzung. Ein Beispiel ist der Materialmarkt im Haus der Materialisierung in Berlin. Der Senat fördert den alternativen Baumarkt des Vereins Kunst-Stoff e im Rahmen seiner Re-Use-Initiative. Endkunden finden dort Baumarkt- und Handarbeitsmaterialien, die als Abfallprodukte nach Messen oder Theaterproduktionen anfallen. Abholung sowie Aufbereitung der Materialien sind allerdings noch mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden.

„Unser primäres Ziel ist es nicht, preiswert zu sein, sondern Ressourcen möglichst effizient zu nutzen“, erklärt Corinna Vosse, Gründerin des Markts für Kunst-Stoffe. „Abfälle und Verpackung fallen bei uns nur in den allerseltensten Fällen an.“ Neben den Sammelstellen für wiederverwendbare Materialien organisiert ihr Verein auch Workshops, in denen man lernen kann, kaputte Produkte selbst zu reparieren. „Wir finden es wichtig, die Konsumenten nicht allein zu lassen.“ Auch ein Geschäftsmodell.

mehr zum Thema: Warum es sich nicht ausschließt, schön und nachhaltig gekleidet zu sein, was die Circular-Fashion-Bewegung für den klassischen Modehandel bedeutet und warum der Lockdown den Wunsch nach Hygge-Detox gebiert, erklärt die Retail-Expertin Theresa Schleicher im Interview beim „Handelsjournal“.