Nachhaltigkeit post Corona und die Rolle des Handels

Der Neustart nach der Krise bringt ökonomische Herausforderungen mit sich. Dennoch sollte nicht in Vergessenheit geraten, vor welch großer ökologischen Bedrohung die Welt nach wie vor steht. Wie sich der wirtschaftliche Wiederaufbau sinnvoll mit einer Nachhaltigkeitsagenda verknüpfen lässt, erklärt Michael Radau, CEO der Superbiomarkt AG.
Superbiomarkt-CEO Radau: "An der Schnittstelle zum Kunden kann der Handel durch sein Warenangebot Möglichkeiten herausstellen, die Verbraucher haben, um ihren Konsum nachhaltig zu gestalten." (© Superbiomarkt AG)

Von Michael Radau, CEO, Superbiomarkt AG

Selbst als die Corona-Pandemie auf ihrem – hoffentlich nicht nur vorläufigen – Höhepunkt stand, war großen Teilen der Gesellschaft deutlich bewusst, dass die tatsächlich noch viel größere Bedrohung bereits vor der Haustüre steht: der globale Klimawandel. Seine Folgen sind höchst weitreichend, denn sie umfassen nahezu alle Lebensbereiche. Entsprechend komplex sind die Maßnahmen, die zu ergreifen sind, um die dramatischen Folgen einzudämmen.

Klar ist: Allein auf eine signifikante Reduzierung von CO2-Emissionen zu setzen, wird nicht ausreichen. Deshalb braucht es ein weit umfassenderes Verständnis von Klimapolitik, in Form einer Nachhaltigkeitsagenda, die Klimaschutz, den Erhalt der Biodiversität, menschenwürdige Produktionsbedingungen und eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion gleichermaßen umfasst. Das ist eine riesige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der jeder Akteur nach bestem Vermögen mitwirken sollte.

Zertifizierungen bieten Orientierung

Der Handel hat in diesem Kontext eine einmalige Schlüsselposition inne: An der Schnittstelle zum Kunden kann er durch sein Warenangebot inspirieren und die Möglichkeiten herausstellen, die Verbraucherinnen und Verbraucher haben, um ihren Konsum nachhaltig zu gestalten. Bereits heute engagieren sich Handelsunternehmen über verschiedene Initiativen dafür, dass Sozial- und Umweltstandards über gesetzliche Vorgaben hinaus eingehalten werden und gehen entsprechende Selbstverpflichtungen ein. Die damit verbundenen Zertifizierungen dienen den Kunden als wichtige Orientierungsmarken.

Wenn es auf diesem Wege gelingt, den Konsumentinnen und Konsumenten aufzuzeigen, wie groß der Einfluss ihres eigenen Verbraucherverhaltens ist, haben wir bereits viel gewonnen. Selbstkritisch gilt es jedoch einräumen, dass die entsprechenden Initiativen noch deutlich ausbaufähig sind.

Die Selbstverpflichtung des Handels, Plastiktüten zu reduzieren und durch Mehrwegtaschen zu ersetzen, zeigt jedoch exemplarisch, was möglich ist, wenn die Handelsbranche an einem Strang zieht. So konnte der Plastiktütenverbrauch binnen kürzester Zeit drastisch gesenkt und das EU-Ziel, bis zum Jahr 2025 weniger als 40 Kunststofftragetaschen pro Kopf und Jahr auszugeben, übererfüllt werden. Denn de facto hatte der Handel mit seiner Initiative schon im Jahr 2018 einen Wert von 20 Plastiktüten pro Jahr und Kopf erreicht. Sobald der Handel Angebote macht und Alternativen aufzeigt, stellen sich viele Kundinnen und Kunden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung – und ändern ihr Konsumverhalten entsprechend.

Die Bundesregierung hat in ihrem nationalen Programm für nachhaltigen Konsum unter anderem folgende drei zentralen Handlungsfelder aufgeführt:

  1. Verbraucherinnen und Verbrauchern einen nachhaltigen Konsum ermöglichen
  2. Nachhaltigen Konsum von der Nische zum Mainstream befördern
  3. Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an nachhaltigem Konsum ermöglichen

Beitrag für enkeltaugliche Zukunft

Genau dies macht der Handel: Die Erweiterung des Produktsortiments um nachhaltig hergestellte, preiswerte Produkte für jedermann, ist inzwischen ein wichtiges Differenzierungsmerkmal, um sich von Mitbewerbern abzusetzen. Wir wollen Nachhaltigkeit nicht als Eliteprojekt begreifen, sondern durch konkretes Handeln in die Breite der Gesellschaft tragen. Nachhaltigkeit darf kein Luxus sein, sondern muss Normalität werden! Entsprechend dürfen wir den Preis nicht länger ins Zentrum unserer Marketingaktivitäten stellen, sondern das Produkt und seinen Beitrag für eine enkeltaugliche Zukunft.

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Das gelingt jedoch nur, wenn auch die Politik positive Anreize für nachhaltige Verhaltensänderungen setzt. Weil es daran bislang in alarmierendem Ausmaß mangelt. ist eine wachsende Zahl von Handelsunternehmen in zahlreichen Bereichen allein vorangegangen: unter anderem beim Angebot von ökologischen Lebensmitteln und Textilien, beim Aufbau von Ladesäulen, bei der Schaffung von Wohnraum in Innenstädten und bei der Reduktion von Plastik. Doch um diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, benötigten wir handfeste politische Unterstützung, die das ernsthafte Engagement entsprechend agierender Händler belohnt.

Erst jüngst stellte Uwe Jean Heuser, Leiter des Wirtschafressorts der Zeit, in einem Beitrag zu Recht fest: „Die Politik hat die Aufgabe, sich den harten Fragen zu stellen – und zu beenden, was die Gesellschaft nicht mehr will. Keine Supermarktkette kann ihr das abnehmen“. Das heißt, nur wenn Handel und Politik Hand in Hand arbeiten, wird nachhaltiger Konsum gelingen: Ein Konsum, der für die Unternehmen wirtschaftlich ist, die Kundinnen und Kunden zufrieden macht – und unseren einzigartigen und kostbaren Planeten bewahrt.


Vita: Michael Radau gehört als CEO der Superbiomarkt AG zu den Pionieren der Bio-Branche in Deutschland. Zudem engagiert er sich seit rund 20 Jahren ehrenamtlich für den Handelsverband Deutschland (HDE), unter anderem als Präsident des Handelsverbands Nordrhein-Westfalen und Vizepräsident des HDE.


Der Artikel erschien zuerst im handelsjournal, das ebenfalls in der Handelsblatt Media Group produziert wird.