„Nachhaltigkeit ist Voodoo“

Der absatzwirtschaft-Kolumnist Vince Ebert stellt in diesen Tagen sein neues Buch vor. Unter dem Titel „Machen Sie sich frei! Sonst tut es keiner für Sie“ geht er der Frage nach, wie frei wir sind – auch im Konsum.

Herr Ebert, Ihr neues Buch heißt „Machen Sie sich frei“. Und natürlich haben Sie sich auch mit dem freien Willen beschäftigt. Gibt es denn nun den freien Willen oder nicht?

VINCE EBERT: Das ist eigentlich eine Dialektik. Freier Wille bedeutet nicht, dass man machen kann, was man will. Man hat dieses Gehirn mit seinen chemischen Prozessen, was wir dann freien Willen nennen. Andererseits, wenn wir nicht daran glauben, dass wir einen freien Willen haben, haben wir auch keinen. Die Illusion ist die zwingende Voraussetzung, dass wir frei handeln können, obwohl es eine Illusion ist. Das ist eine paradoxe Situation. Unter Neurobiologen gibt es den Witz: Fragt der eine: „Möchtest du Kaffee oder Tee?“ Darauf der andere: „Ich glaube nicht an den freien Willen, sondern warte einfach ab, was mein Gehirn bestellt.“

Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch vom adaptiven Unterbewusstsein als Teil des Gehirns. Was ist das?

EBERT: Das ist eine Art Supercomputer, der blitzschnell Millionen von Daten verarbeitet, die auf uns einströmen und die wir zum Überleben benötigen. Im Gegensatz dazu ist unser bewusster Verstand ziemlich langsam.

Das suggeriert ein wenig, dass wir als Menschen willenlos sind.

EBERT: Ich glaube, dass Entscheidungen zum Beispiel für Marken zu einem ganz großen Teil unbewusst ablaufen. Denn unser Bewusstsein ist nicht nur langsam, sondern benötigt auch 80 Prozent der im Hirn verbrauchten Energie. Kein Wunder, dass es – wann
immer es geht – auf Autopilot schaltet. Aber meine Espresso-Hebelmaschine habe ich mir natürlich ganz bewusst gekauft …

Und wie beeinflussbar sind wir? Alle paar Jahre kommt das Thema „Die geheimen Verführer“ aus den 50ern wieder hoch. Kann man dafür sorgen, dass Menschen etwas haben wollen?

EBERT: Ich glaube, dass Werbung auf jeden Fall Bedürfnisse wecken kann, die man vorher nicht gehabt hat. Aber es ist meine feste Überzeugung, dass man nicht freiwillig gegen seine Überzeugungen gedreht werden kann. Das ist mir dann zu sehr Konsumkritik. So funktioniert der Mensch dann doch nicht.

Speziell beim Thema Marketing oder Kommunikation, gibt es da Dinge, die Sie ansprechen, wo Sie das Gefühl haben, Sie werden erreicht?

EBERT: Man kann das immer so schlecht sagen, warum bestimmte Marken anmachen, ob das nun die Werbung oder das Bild ist, was man damit verbindet. Für mich muss eine Marke ein gewisses Understatement sein. Etwas Hochwertiges, aber es darf nicht zu protzig sein.
Ich fahre zum Beispiel Volvo. Das ist das ideale Auto für mich. Das ist Sicherheit. Mittlerweile ist der neue V60 auch ganz schick und sportlich. Aber wenn man auf den Hof fährt, denken die Leute nicht: Um Gottes willen, hat der das jetzt nötig. Wenn eine Marke so leise mit
einer zurückhaltenden Hochwertigkeit daherkommt, das finde ich super.

In Ihrem Buch nehmen Sie die nachhaltigkeitsbewegten Lifestyle-of-Healthand-Sustainability-Anhänger (LOHAS) auf die Schippe. Ist das eine Zielgruppe oder ein gesellschaftliches Phänomen?

EBERT: Ich würde sogar weitergehen und sagen, das ist die Religion unserer Zeit. Viele Menschen haben den Hang zum Glauben. Und wenn die traditionellen Kirchen wegbrechen, muss man sich andere Gottheiten suchen. Ich glaube, dass in Deutschland jetzt gerade diese
Nachhaltigkeit, dieses Grüne, das Ökologische, schon auch eine sehr religiöse Komponente hat. Aus dem Grund wird das Ganze auch noch ein schönes Stück anhalten, weil es ein Ersatz ist. Es ist sinnstiftend, auch wenn es mitunter sinnlos ist.

Im Moment ist alles nachhaltig.

EBERT: Ja, Fußcreme, Immobilien, alles ist nachhaltig. Das ist meiner Meinung nach eine Voodoo-Wissenschaft. Es gibt den Leuten ein gutes Gefühl, aber bei genauerem Betrachten ist Nachhaltigkeit ein Fake. Nachhaltig für wie lange? Diese Fragen werden ja nie gestellt. Für 10, 100, 1 000 oder eine Million Jahre? Und überhaupt: Nachhaltig für wen? Für eine zukünftige Gesellschaft, deren Bedürfnisse wir gar nicht kennen? Vor 150 Jahren war man sich in der Fachwelt einig, das größte Zukunftsproblem in Großstädten werde der Pferdemist sein. Halten Sie mich für verrückt, aber Pferdemist ist derzeit nicht unser größtes Problem. Möglicherweise werden unsere Urenkel ähnlich belustigt reagieren, wenn sie erfahren, dass wir uns Anfang des 21. Jahrhunderts Sorgen über unsere Erdölvorräte gemacht haben. Der Mensch ist innovativ und erfindungsreich. Die Steinzeit ist schließlich auch nicht zu Ende gegangen, weil es plötzlich keine Steine mehr gab.

Lange Zeit beherrschte das Schlagwort „Corporate Social Responsibility“ die Gazetten. Ist das auch eine Totgeburt?

EBERT: Was mich so nervt ist, dass zurzeit alles irgendwie einen größeren Sinn haben muss. Inzwischen kann man keinen Schritt mehr im Leben tun, ohne dass ein tieferer Zweck oder eine ganzheitliche Philosophie dahinterstecken muss. Schrecklich! Nahezu jedes Unternehmen lässt einmal im Jahr einen katholischen Abt oder einen buddhistischen Lama einf liegen, der dann der Vertriebsabteilung für einen Tagessatz von 5 000 Euro etwas von Glück durch Verzicht erzählt. Das ist mir alles zu groß, zu überfrachtet und zu überladen. In einer Kolumne habe ich einmal geschrieben: Jeder will die Welt retten, aber wenn Mutti zum Abwaschen ruft, ist keiner da. Würde jeder Mensch die zehn Leute, mit denen er tagtäglich zusammen ist, ordentlich behandeln, müsste man auch keine Bierkästen kaufen, um den Regenwald zu retten.

Das Marketing lebt vom Storytelling …

Ebert : Absolut. Die Welt ist vermarkitisiert, und eine gute Geschichte macht Sinn, wenn man damit seine Produkte verkaufen möchte. Das mache ich ja auch. Ich überlege mir natürlich, wenn eine Buchpromotion ansteht oder wenn ich in einer Talkshow den Zuschauern mein Soloprogramm anpreisen möchte: Wie verkaufe ich mich? Welches Bild entwerfe ich über mich? Das ist per se nichts Schlechtes. Aber die beste Story nutzt eben nichts, wenn das Produkt nicht stimmt. In meinem Pressetext zum Beispiel heißt es: „Vince Ebert ist nach Oskar Lafontaine und Angela Merkel der dritte deutsche Physiker, der sein Geld im Bereich Kabarett und Comedy verdient.“ Wenn ich dann auf
der Bühne nicht lustig bin, nutzt mir dieser Gag überhaupt nichts. Na ja, zumindest in die Politik könnte ich dann ja noch gehen …

Das Gespräch führte Christian Thunig.

Machen Sie sich frei! Sonst tut es keiner für Sie
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Reinbek bei Hamburg, September 2011
Copyright © 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Ideen Vince Ebert

Vince Ebert wurde 1968 in Amorbach im Odenwald geboren und studierte
Physik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Nach dem Studium
arbeitete er zunächst in einer Unternehmensberatung und in der Marktforschung,
bevor er 1998 seine Karriere als Kabarettist begann. Vince Eberts Anliegen:
die Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge mit den Gesetzen
des Humors. Seine Bühnenprogramme «Physik ist sexy» (2004), «Denken
lohnt sich» (2007) und «Freiheit ist alles» (2010) machten ihn schnell als
Wissenschaftskabarettist bekannt, der mit Wortwitz und Komik sowohl Laien
als auch naturwissenschaftliches Fachpublikum unterhält. Ab November 2011
moderiert er die Sendung «Wissen vor 8 – Werkstatt» in der ARD.
Sein erstes Buch «Denken Sie selbst! Sonst tun es andere für Sie» stand
zwei Jahre ununterbrochen auf der Bestsellerliste und hat sich über 400.000
mal verkauft. Jetzt begibt sich Vince Ebert auf die Suche nach der Freiheit.
Mehr über Vince Ebert erfahren Sie unter: www.vince-ebert.de oder auf
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