Musikpiraten sind die anspruchsvolleren Kunden

Vollmundige Versprechen auf der Website eines Musik-Anbieters: „Deine Musik überall“ – auf allen Geräten, gestreamt oder zum Herunterladen; keine Werbung, keine Verpflichtung und das Ganze dann noch 30 Tage gratis zur Probe. Dieser Anbieter macht alles richtig – zumindest, wenn es darum geht, Musikpiraten ins Reich der Legalität zurückzuführen und zu regulären Kunden zu machen.

Für ihre Studie „Music as a Service: eine Alternative für Musikpiraten?“ befragten Forscherinnen und Forscher der Technischen Universität (TU) Darmstadt und der Ludwig-Maximilian-Universität München 8.000 Studierende nach ihrer Einstellung zu sogenannten Freemium-Geschäftsmodellen. Das sind Angebote, bei denen Basisdienstleistungen gratis sind. Wer Zusatzleistungen möchte oder ein werbefreies Angebot, muss dafür bezahlen.

Besonders interessant: In der – natürlich gänzlich anonymen – Stichprobe machten die Wissenschaftler auch 132 Musikpiraten aus, also Nutzer, die sich auf Internetplattformen mit illegalen Musikkopien versorgen. Und um deren Einstellung und Nutzungsverhalten ging es vor allem in der Studie.

Scheinbar paradoxes Ergebnis

„Wir haben uns gefragt, ob man illegale Downloader als Kunden ,zurückgewinnen‘ kann“, sagt Professor Dr. Alexander Benlian, Fachgebiet Information Systems and Electronic Services des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der TU Darmstadt, der gemeinsam mit Professor Dr. Thomas Hess vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der Fakultät für Betriebswirtschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München die Studie leitete. „Wenn man Branchen wie die Musikindustrie erhalten will, ist Illegalität ein großes Problem“, sagt Hess. Ein Schaden von über einer halben Milliarden Euro entsteht der deutschen Musikindustrie im Jahr durch Musikpiraterie.

Ein überraschendes und scheinbar paradoxes Ergebnis der Studie: „Musikpiraten wollen zwar grundsätzlich nicht für ihre Musik bezahlen, aber wenn man ihnen geeignete Abo-Modelle, das heißt insbesondere Freemium-Modelle für Geld anbietet, sind sie eher geneigt zuzuschlagen“, sagt Benlian. „Music Streaming im Freemium-Modell ist ein wirksames Instrument, um Nutzer in die legale Welt zu holen, besser wohl als die bekannten und insgesamt gescheiterten Versuche des Schutzes von Musik durch technische Schutzmechanismen wie Digital Rights Management-Systeme“, ergänzt Hess.

Musikpiraten können Meinungsführerschaft übernehmen

Die Erklärung dafür liege im Profil der Piraten. Diese seien deutlich aktiver und versierter im Internet unterwegs, sowohl bei der Suche nach Informationen als auch wenn es darum gehe, die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Sie seien auch technik-affiner und technisch anspruchsvoller als „legale“ Kunden von Musikanbietern. Piraten hätten häufig einen sehr ausdifferenzierten Musikgeschmack und eine mehr als doppelt so große Sammlung von Musikdateien wie legale Nutzer, viele verschiedene technische Endgeräte und großes Interesse daran, ihre Musik gut zu sichern und überall zu hören.

In einer Folgestudie wollen die Darmstädter und Münchener Forscher nun herausfinden, wie Freemium- und Premium-Dienstleistungen der Unterhaltungsindustrie am besten ausgestaltet werden sollten und daraus Empfehlungen ableiten – „letztlich natürlich mit dem Ziel, Umsätze zu gewinnen“, sagt Hess. Das beschränke sich nicht auf die Musikindustrie, sondern könne auch Anbietern von Telefondiensten, Software, Spielen, oder auch Filmen helfen, die Zielgruppe der Piraten für sich zu erschließen.

Wichtig ist der Erstkontakt

Erste Erkenntnisse dazu haben die Wissenschaftler schon mit der nun vorliegenden Studie gewonnen. Wenig überrascht hat es sie, dass Piraten ein großes Angebot an Musiktiteln schätzen. Ein attraktives Abo-Angebot sollte es ihnen ermöglichen, ihre Musik unterwegs und zu Hause sowohl über Streaming als auch offline und auf verschiedensten Endgeräten zu hören. Die Player-Software sollte möglichst viele interessante Zusatzfunktionen bieten. Und auch eine gut ausgebaute Community-Funktion – also die Möglichkeit, sich mit anderen Nutzern direkt und intensiv über das Angebot auszutauschen – könnte Piraten überzeugen, für ein gut gemachtes Premium-Angebot zu bezahlen.

Wichtig ist dabei auch der Erstkontakt. Wenn Musikpiraten für eine begrenzte Zeit die Möglichkeit haben, alle technisch ausgefeilten Funktionen eines Premium-Angebots testweise zu nutzen, sind sie deutlich eher bereit, als legale Nutzer später dafür zu bezahlen. Dürfen sie dagegen mit einer Gratis-Basisversion auch nur eingeschränkte Funktionen ausprobieren, sind Piraten deutlich zurückhaltender. Hier unterscheidet sich der Pirat doch klar vom Durchschnitts-User: Der gibt sich schneller zufrieden und akzeptiert sogar Werbung. Piraten sind offensichtlich die anspruchsvolleren Kunden – und bieten Potenzial fürs Geschäft. „Im Grunde“, sagt Benlian, „sind Piraten eine noch nicht wahrgenommene Zielgruppe.“

(TU Darmstadt / asc)