„Miquela hat als erste virtuelle Influencerin Internetgeschichte geschrieben“: So groß ist der Hype um die computeranimierte Fashionista

Sie ist 19, halb brasilianisch, halb spanisch und lebt in Los Angeles. Sie modelt, hat ihre Debütsingle "Not Mine" auf Spotify veröffentlicht und ist eine aufstrebende Influencerin. Doch eines stimmt hier nicht, denn Miquela Sousa ist ein virtueller Avatar, der nur online existiert. Was macht das mit den sozialen Medien, wenn echte Menschen Avataren folgen, sich für sie begeistern, sie zum Idol machen?

Von  und 

Miquela Sousa, besser bekannt als Lil Miquela oder einfach Miquela, ist ein brasilianisch-spanisches computergeneriertes Instagram-Model. Sie trägt Pullis von Marken wie Diesel oder Chanel und hat sogar schon ihren ersten eigenen Song ins Netz gestellt. In einem per Chat geführten Interview Anfang Februar mit „Business of Fashion“ erklärt die Avatarin, dass sie bisher noch kein Geld mit Instagram verdiene, jedoch bereits viele Proben zugeschickt bekomme. Für dieses Jahr seien aber bereits Modelverträge für namhafte Modelabels wie Chanel geplant.

https://www.instagram.com/p/Be_tLsqF6aw/?taken-by=lilmiquela

Es gehe ihr nicht nur um Oberflächlichkeiten, sondern darum, mit ihren 571.000 Followern ihre soziale Anliegen zu teilen, wie „Black Lives Matter“ und Transgender-Rechte.  Sie will Meinungsgestalterin, Fashionbloggerin und Musikerin in einem sein – dabei ist sie ein Fake. Wir fragen uns: Wie viel Vertrauen kann und darf man in einen künstlich kreierten Avatar setzen? Und – sofern wir davon ausgehen, dass Influencer eine Art Vorbildfunktion haben – wie viel Einfluss sollte ein animierter Influencer auf junge Menschen haben?

Für Julian Mohr, Managing Partner bei Nqyer Media, eine Media Agentur für Influencer Marketing, ist klar:

„Egal ob Miquela, Lady Gaga oder Stuart Little: Es hat immer Kunstfiguren gegeben, die für viele zur Identifikationsfigur wurden. Mit den Möglichkeiten, die uns die Datenerhebungen der letzten Jahre eröffnet haben, wird es in Zukunft immer einfacher werden, mehr dieser künstlichen Influencer zu erschaffen. Diese können mit bestimmten Charakterzügen versehen werden – ebenso mit einer äußeren Erscheinung, die viele Menschen anspricht. Für die Werbebranche ist jeder Kanal interessant, der die Aufmerksamkeit einer bestimmten Zielgruppe bündelt. Dabei ist die Frage, wie nachhaltig diese Aufmerksamkeit ist.“

Philipp John von Reachhero ist überzeugt, dass ein Avatar über einen längeren Zeitraum sogar Emotionen wecken und Meinungen fördern kann:

„Sicherlich wird Künstliche Intelligenz helfen, mehr und mehr Content zu optimieren. Bis wir aber eine KI haben, die wirklich ganz alleine neue Ideen für Content erstellt, der auch dauerhaft den Geschmack der Konsumenten trifft, wird es meiner Meinung nach noch dauern und es wird auch zu teuer sein, um es einzusetzen.“

https://www.instagram.com/p/BbVgGenFi4a/?taken-by=lilmiquela

Ist es psychologisch gesehen gesund, einem imaginären Avatar zu folgen und sich von dessen politischen Ansichten beeinflussen oder gar überzeugen zu lassen? Künstliche Influencer könnten den Markt irgendwann kaputt machen. Mohr ist sich sicher, dass virtuelle Influencer das gleiche Problem wie „echte“ Influencer bekommen werden: „Irgendwann kennt der Konsument alles. Einen virtuellen Influencer, wie im Fall von Miquela, gab es in dieser Form noch nicht. Der zweite virtuelle Influencer ist eventuell noch interessant, im Sinne dessen, wie die Legacy, die Miquela geschaffen hat, fortgeführt wird. Viele Inhalte von Influencern unterscheiden sich optisch nicht mehr besonders. Das, was den Unterschied macht, ist die Persönlichkeit.“ Und die ist bei Miquela nur anhand der dahinter stehenden Person echt, die auf diese Weise ihre Meinung, egal ob politisch oder kulturell, kundtut, ohne als reale Person angegangen zu werden.

John: „Auf dem aktuellen Stand geht es ja mehr um eine Visualisierung des Influencers, dahinter stehen Menschen, die sich die Inszenierung ausdenken und umsetzten. Letztendlich ist das nichts anders als ein Publisher, bei dem sich ein Team den Content ausdenkt.“

Die Macher von virtuellen Influencern versuchen einzigartige Persönlichkeiten und Charaktere zu schaffen, die den Markt neu beleben sollen. Virtuelle Prominente gibt es  schon seit Jahren, doch keine sieht so echt aus wie Miquela: Die britischen Band Gozillas besteht beispielsweise aus virtuellen Identitäten. Von Kritikern hoch gelobt erhielten sie 2006 sogar den Grammy Award. In der Modeszene entwarf Marc Jacobs Louis Vuitton-Kostüme für eine virtuelle Sängerin namens Hatsune Miku. Hatsune Miku füllt in Japan regelmäßig Stadien, wirbt für Toyota und Google und hat Millionen Fans, obwohl es sie nicht gibt.

Der große Unterschied: Bei Miku und auch den Gozillas erkennt man sofort, dass sie Fantasiefiguren sind – bei Miquela nicht. Werden die Konsumenten diesen Trend  mitgehen?

 „Die Konsumenten finden Geschichten gut – je besser die Geschichte, desto mehr Zuhörer beziehungsweise Zuschauer. Man kann sich über die Geschichte mit anderen austauschen, wodurch eine Verbindung mit demjenigen entsteht, mit dem man sich über das Erlebte austauscht. Darauf ist unsere Gesellschaft und unser Sozialleben aufgebaut. Miquela hat als erste virtuelle Influencerin Internetgeschichte geschrieben und ihre Interaktionsraten sind deutlich über Durchschnitt. Nach unseren Performance-Indikatoren spielt sie in einer Liga mit Influencern wie Caro Daur, wenngleich der Einfluss und das Talent eines Influencers nicht allein an Zahlen abgelesen werden kann,” erklärt Julian Mohr.

Ihre Schöpferin ist übrigens eine weibliche Künstlerin, die die Öffentlichkeit meidet wie ein scheues Reh, und zwar so geschickt, dass ihrer wahren Identität bisher noch niemand auf die Schliche gekommen ist. Auf einen Hinweis ist bisher nur das US-Medienportal Buzzfeed gestoßen: Im November hat Lil Miquela für kurze Zeit einen Face App-Post veröffentlicht.

 

Auch BBC hat sich schon Gedanken über„Fake” oder„Fiction” von Miquela gemacht:

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