Messen in Corona: „Die Krise treibt uns an!“

In Gesprächen mit Messechefs fallen immer wieder Worte wie "Berufsverbot", "Umsatzeinbruch" oder "Vollbremsung", aber auch optimistische Begriffe wie "Antrieb", "Digitalisierungsschub" und "Motivation". Wir zeigen, auf welche kreativen Ideen vier Messegesellschaften gekommen sind und wie sie auch in der Krise den Kopf über Wasser gehalten haben.
Zum Anfassen und trotzdem digital: Die IAA Mobility in München war eine der ersten großen Messen nach dem Lockdown. (© IAA)

Die Messe Leipzig nutzt die Zeit des Lockdowns für das Neugeschäft

Einer der ältesten Messestandorte der Welt lässt sich von Corona vielleicht erschüttern, aber nicht umhauen: „Seit 855 Jahren ist die Leipziger Messe wesentlicher Wirtschaftsfaktor und Impulsgeber für die Region“, sagt Geschäftsführer Martin Buhl-Wagner. Die Messeverantwortlichen seien daher von vornherein bestrebt gewesen, auch in Zeiten der Pandemie die Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit der sächsischen Unternehmensgruppe nicht nur zu erhalten, sondern zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern, Kompetenzen im Haus zu behalten. Zudem wollte man die Chancen nutzen, welche die unvermeidlichen Marktumbrüche geschäftlich böten. „Das ist uns bisher gelungen – zum Beispiel haben wir die Zeit für das Neugeschäft genutzt, nicht allein für 2021, sondern auch darüber hinaus“, sagt Buhl-Wagner.

(Quelle: Messe Leipzig)

Die Messegesellschaft übernahm unter anderem die Weltleitmesse für industrielle Lackiertechnik PaintExpo, die alle zwei Jahre in Karlsruhe stattfindet. Außerdem veranstaltet die Leipziger Messe ab 2022 den neuen Branchentreff Zahntechnik plus, der Vertrag mit dem Weltverkehrsforum der OECD wurde verlängert und zur Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland wird das Medienzentrum für Journalisten aus aller Welt auf der Messe in Leipzig sein. Zudem habe man die Zeit natürlich auch dazu genutzt, die Digitalität fortzuentwickeln: „Digitale oder hybride Messen und Kongresse sind heute selbstverständlicher Teil unserer Angebotspalette und Servicepakete. 2021 sind es bereits 13 digitale Formate“, sagt Messechef Buhl-Wagner. Nun freut er sich aber auf die Rückkehr der Präsenzmessen: „Bis zum Jahresende 2021 sind noch zahlreiche Veranstaltungen geplant und alle Zeichen stehen auf Grün.“

Die Messe Friedrichshafen wird zum Autokino und Impfzentrum

„In Krisenzeiten ist Kreativität gefragt“, sagt Klaus Wellmann, Geschäftsführer der Messe Friedrichshafen. Auch ganz im Süden der Republik hat Corona das Messegeschehen für anderthalb Jahre fast vollständig zum Erliegen gebracht, der Umsatz brach von 26,6 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 6,2 Millionen Euro ein. Trotzdem gab es Leben auf dem Messegelände in Friedrichshafen: Als eine „willkommene Belebung in schwierigen Zeiten“ bezeichnet Wellmann etwa das Autokino, das 14 000 Filmfans in 82 Vorstellungen lockte. Einzelne Hallen habe die Messe nicht nur an Unternehmen aus der Region vermietet, auch der Gemeinderat tagte auf dem Messegelände und die Volleyballerinnen des VfB trugen ihre Bundesliga-Begegnungen hier aus. Auch zur Bekämpfung von Corona konnte der vergleichsweise kleine Messestandort seinen Beitrag leisten: Im Januar 2021 wurde das Kreisimpfzentrum des Bodenseekreises in der Messehalle A2 eröffnet.

(Quelle: Messe Friedrichshafen)

Doch nicht nur bei der „Zwischennutzung“, auch bei der Rückkehr des wirklichen Messelebens hat die Messe Friedrichshafen einen wichtigen Beitrag geleistet: So wurden bereits mehrfach Pilot-Veranstaltungen auch in Pandemiezeiten sicher und erfolgreich durchgeführt, etwa die Spezialausgabe Interboot im September 2020 oder im Juli dieses Jahres mit Deutschlands erster größerer Präsenzmesse – der Verbrauchermesse IBO – sowie einer der ersten großen internationalen Messen, der Eurobike 2021 Anfang September. „Aus all diesen Veranstaltungen gewinnen wir wichtige Erkenntnisse, von der jeweiligen Branchenkonjunktur über spezifische Schutz- und Hygienemaßnahmen, Einsatzfähigkeit von Messe-Dienstleistern bis hin zur großen Motivations-Erfahrung: Die persönliche Begegnung ist unersetzbar“, sagt Messechef Wellmann.

Die Messe München entwickelt neue digitale Formate

„Nach einer Vollbremsung auf der Überholspur war Covid-19 für uns ein Turbobeschleuniger der Digitalisierung“, sagt Klaus Dittrich, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe München. Die „Überholspur“, das war das Vor-Corona-Jahr 2019: ein Rekordjahr, in dem die Messe München zur weltweiten Nummer fünf unter den Messeveranstaltern aufgestiegen sei. Dann kam im März 2020 der Shutdown – die „Vollbremsung“ – und nichts ging mehr; die Messegesellschaft verlor 400 Millionen Euro Umsatz in den Jahren 2020 und 2021, insgesamt 200 Stellen, rund jede vierte Stelle im Unternehmen, wurden weitestgehend sozialverträglich abgebaut. „Die Krise hat uns vor Augen geführt, wie trügerisch die Sicherheit der vergangenen Jahre war und wie anfällig unser Geschäftsmodell doch ist. Daher müssen wir es weiterentwickeln“, so Dittrich. Zwar habe die Messe München bereits vor fünf Jahren einen eigenen „Geschäftsbereich Digital“ geschaffen, in dem sie neue digitale Produkte entwickelt.

(Quelle: Messe München)

Diese Digitalisierung habe durch die Pandemie aber einen zusätzlichen Schub – den erwähnten „Turbobeschleuniger“ – bekommen: Seit dem ersten Lockdown haben die Münchner mehr als 25 digitale Veranstaltungen als Ersatz für 16 abgesagte eigene Präsenzmessen durchgeführt. Jetzt, wo das klassische Messegeschäft wieder losgegangen ist, besteht die Herausforderung für Dittrich darin, die digitalen Elemente klug mit den Live-Messen zu verbinden: „Ein Geschäftsmodell, das allein auf vermieteter Ausstellungsfläche basiert, hat unseres Erachtens keine Zukunft. Wir müssen das Beste aus beiden Welten clever miteinander kombinieren“, sagt er. Die Präsenzmessen würden nun durch ganzjährige digitale Angebote erweitert. Vorreiter ist ispo.com, eine digitale Plattform zur Sportartikelmesse ISPO, die Möglichkeiten biete, sich zu vernetzen, sich weiterzubilden, Innovationen zu ­präsentieren oder Communitys zu bilden.

Die Koelnmesse setzt auf Teamplay

„Die Aufbauarbeit hat sich ausgezahlt“, sagt Gerald Böse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse. Damit meint er, dass sich die Messe bereits in der Zeit vor Corona – ohne es zu wissen – auf die pandemische Zeit vorbereitet hat, und zwar digital, genauer gesagt bei der „Hybridisierung“ von Veranstaltungen: So seien schon bei der Opening Night der Gamescom 2019 mehr als 500 000 Live-Zuschauer im Netz dabei gewesen, erklärt der Messechef.

(Quelle: Koelnmesse)

Mit diesen Erfahrungen im Rücken galt es nun, getreu dem Motto „Die Krise treibt uns an!“, binnen wenigen Wochen digitale Messen auf die Beine zu stellen. „Es gibt signifikante Unterschiede gegenüber dem konventionellen ‘Messe-Machen‘ – in der Konzeptionierung, dem Vertrieb, der Kommunikation und der Realisierung der Veranstaltung gleichermaßen“, erklärt Böse, der keine Beschäftigten entlassen musste: „Die Entwicklung neuer Formate für 2022 und die permanente Startbereitschaft der vergangenen Monate konnten wir nur mit unserem bewährten Team schaffen.“ Umsatzeinbußen und Verluste im dreistelligen Millionenbereich konnten dank einer Eigenkapitalerhöhung der Stadt Köln und des Landes NRW als Gesellschafter ausgeglichen werden.

Mental sei es wichtig gewesen, sich selbst immer wieder zu motivieren, trotz des zermürbenden Wechsels von Ankündigung und Absagen von Messen. „Unsere Teams haben das großartig gemacht, nun werden wir durch die Aussicht auf einen realen Messeherbst und physische Veranstaltungen in unseren Hallen belohnt“, sagt der Messechef.

Diese Messeporträts sind auch als Teil einer Titelstrecke zur Messe- und Eventbranche im Printmagazin der absatzwirtschaft erschienen, das Sie hier abonnieren können.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Er hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.