„Medien-Kommissar“ Siebenhaar: Content-Marketing killt Journalismus

Werbung war gestern, heute wird das Content-Marketing immer stärker. Denn Konzerne kreieren immer öfter eigene, unkritische Medieninhalte. Das ist gerade für unsere Gesellschaft eine gefährliche Entwicklung, schreibt Handelsblatt-Medienexperte Hans-Peter Siebenhaar in seiner Kolumne "Der Medien-Kommissar".
Hans-Peter Siebenhaar ist Redakteur beim Handelsblatt und schreibt montags die Kolumne "Medien-Kommissar"

Von Hans-Peter Siebenhaar

Sorgen über kritischen und unabhängigen Journalismus machen sich Konzerne nicht allzu häufig. Umso bemerkenswerter verhält sich der Ölriese OMV. Dessen Kommunikationschef Johannes Vetter hat Alarm geschlagen: „Content-Marketing hat uns der Teifl gebracht“, betitelte der erfahrene PR-Stratege aus der Energiebranche seinen alarmierenden Gastbeitrag in der österreichischen Zeitung „Standard“. Seine Sorge: Gesteuerte „Wahrheiten“ ersetzen kritischen Journalismus.

Vetter ist kein Weltverbesserer. Er sorgt sich aus durchaus nachvollziehbaren Gründen, dass Nachfragen, Einordnen und Bewerten immer häufiger ins Hintertreffen geraten. Seiner Meinung nach hat Content-Marketing die Kraft, „den Unternehmen die Moral unter den Füßen wegzuziehen“. Es fördere die „unredliche Vermischung von Anzeigenverkauf und redaktioneller Arbeit“.

Unter Content-Marketing werden werbliche Inhalte verstanden, die journalistisch – bisweilen auch anspruchsvoll – umgesetzt werden und gedruckt oder digital weiterverbreitet werden. Das können Magazine, Zeitungen, Radioprogramme, Videos und Fotos sein – es gibt viele Wege, um auf raffinierte Weise die Werbebotschaft loszuwerden. Einer der Erfinder des Content-Marketing im deutschsprachigen Raum, Rainer Burkhardt, erklärte mir noch in den Anfängen dieser Marketingstrategie den entscheidenden Unterschied zur klassischen Reklame: „Werbung versucht immer ein Produkt zu inszenieren. Content Marketing sucht nach Inhalten, was die Leser interessiert und den Produkten nutzt. Das ist ein neuer Ansatz.“ Burkhardt sollte sehr Recht behalten.

Was vor wenigen Jahren noch ein Novum in den PR-Abteilungen war, ist heute ein Flächenbrand, der sich immer weiter ausbreitet. Während viele Redaktionen von Zeitungen, Magazinen, aber auch Hörfunk- und Fernsehsendern ausgedünnt werden, wächst eine Armada von PR-Strategen. Rolf-Dieter Lafrenz, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberater Schickler, nannte in Wien im vergangenen Jahr ein simples und dennoch eindrucksvolles Beispiel: „Daimler beschäftigt schon mehr Journalisten als Motor Presse Stuttgart bei Auto Motor Sport.“

Doch nicht die personelle Schieflage ist das Kernproblem. Es ist vielmehr die Vermengung von Journalismus und Werbung. Heutzutage gibt es kaum noch eine Kommunikationsabteilung eines großen Konzerns, die nicht über einen Newsroom ähnlich wie in einer Zeitung oder einem Fernsehsender verfügt. Doch welche Nachrichten für die Content-Marketing-Maschinerie werden dort produziert?

Auf dem Weg zum medialen Brei

Auch wenn beim professionellen Content-Marketing der Bezahler von scheinbar journalistischen Beiträgen ordnungsgemäß genannt wird – für den Nutzer verschwimmen die Grenzen immer mehr. Für sie wird es immer schwieriger, zwischen Information und Reklame zu unterscheiden. Am Ende steht ein medialer Brei.

Content-Marketing ist brandgefährlich für eine Gesellschaft, die Ehrlichkeit und Transparenz ernst nimmt. Denn diese Werbeform beschädigt kontinuierlich den kritischen Journalismus. Sie erschüttert systematisch das Vertrauen der Nutzer in die Unabhängigkeit von Inhalten. Die Folgen des Vertrauensverlustes in die Medien sind bereits überall in Europa sichtbar. Populisten von rechts und links in Europa profitieren davon.

Wenn den Werbetreibenden, allen voran die großen Unternehmen, am kritischen Journalismus und damit an der Glaubwürdigkeit von Medien, aber auch Marken etwas liegt, braucht es eine Umkehr im Marketing. Glaubwürdigkeit und Vertrauen kann medial nur mit unabhängigen Medien generiert werden. OMV-Kommunikationschef Vetter wirft die entscheidende Frage auf: Wie kann die werbetreibende Wirtschaft ihrer medialen Verantwortung gerecht werden und kritischen Journalismus direkt und indirekt fördern? Der Verzicht auf Content-Marketing wäre ein erster, sehr wichtiger Schritt dazu.

Dieser Artikel erschien ihm Rahmen der Kolumne „Der Medien-Kommissar“ zuerst bei Handelsblatt.com