Marketing ist zu oft Follower statt Innovator

Marketing wäre eigentlich prädestiniert, die Verantwortung für Zukunftsthemen wie das Customer Experience Management zu übernehmen. Doch die Realität in den Unternehmen sieht anders aus, zeigt eine aktuelle Befragung. Die Gründe dafür analysiert Andrea Kindermann, Co-Autorin der Studie.
85 Prozent der Marketing-Manager bewerten die Bedeutung von Customer Experience Management für das Marketing der Zukunft mit hoch. (© Blake Wisz / Unsplash)

Marketing-Teams genießen in ihren Unternehmen mehr Akzeptanz als Einfluss. In der aktuellen Befragung der Quadriga Hochschule Berlin stuften 68 Prozent der rund 1250 befragten Marketing-Manager die interne Akzeptanz ihrer Teams als gut oder sehr gut ein, ihren Einfluss auf strategische Entscheidungen sieht nur die Hälfte von ihnen ähnlich positiv.

Ein Grund könnte im Kompetenzprofil der Marketing-Einheiten liegen. Nicht einmal 50 Prozent der Befragten hält die eigene Marketing-Abteilung für ausreichend kompetent im strategischen Multichannel-Marketing oder im Customer Experience Management. Doch ohne Repositionierung des Marketings im Unternehmen wird es schwierig, dieses Know-how aufzubauen.

Marketing bedeutet meistens Kommunikation

Marketing bedeutet in der Mehrheit der Unternehmen Marketing-Kommunikation. Nur in 37 Prozent der Fälle gehört auch das Produktmanagement zum Einflussbereich der Marketing- oder Vertriebsleitung, in nur 34 Prozent das Pricing. Das ist nicht grundsätzlich ein Problem, denn Marketing als Management-Konzept ist so umfassend, dass es kaum Aufgabe nur einer einzigen Abteilung sein kann. Für Peter Drucker („The Practice of Management“) gab es nur zwei Grundfunktionen einer Unternehmung: Marketing und Innovation. Die Digitalisierung hat den Spezialisierungsdruck gerade in der Marketing-Kommunikation weiter erhöht – gleichzeitig aber auch wieder ins Bewusstsein gerückt, dass all die Experten in eine gemeinsame Strategie hineinarbeiten müssen, die im Detail die Erwartungen der Marktpartner erfüllt, im Quer- und im Längsschnitt konsistent und in Summe wirtschaftlich vernünftig ist.

Wem gehört die Customer Experience?

Schon 2014 titelte Gartner „Gartner Surveys Confirm Customer Experience Is the New Battlefield“. Damals waren 89 Prozent der befragten Marketing-Manager der Ansicht, dass die Customer Experience im Jahr 2016 der entscheidende Wettbewerbsfaktor sein werde. Zwei Drittel von ihnen wollten in ihrer Branche innerhalb von fünf Jahren führend darin werden. Dafür benötigen Unternehmen eine Instanz, die die unternehmensweite Gestaltung und Steuerung der Customer Experience übernimmt. Fünf Jahre später – im Sommer 2019 – haben nur 20 Prozent der Unternehmen in der DACH-Region ein solches institutionalisiertes Customer Experience Management.

Customer Experience rückt in den Fokus

Marketing wäre für diese Rolle prädestiniert, denn seine Grundidee ist, die vielen Einzelbausteine zu identifizieren und zu gestalten, die aus Nachfrager-Sicht den Nutzen eines Angebots bilden und es gegenüber Alternativen auszeichnen. Doch Marketing-Teams, die auf Marketing-Kommunikation spezialisiert sind, können diese strategisch und handwerklich anspruchsvolle interdisziplinäre Aufgabe nicht leisten. Es ist daher nicht überraschend, dass in etwa der Hälfte der Fälle das Customer Experience Management nicht in der Marketing-Einheit angesiedelt ist.

Mehr Akzeptanz als Einfluss im Unternehmen

Die von uns befragten Marketing-Manager sind sich absolut bewusst, dass Marketingteams sich neues Know-how aneignen müssen: 85 Prozent bewerten die Bedeutung von Customer Experience Management mit hoch oder sehr hoch für das Marketing der Zukunft. 47 Prozent sehen sich für diese Aufgabe bereits gut gerüstet, 38 Prozent wollen das notwendige Know-how in den nächsten zwei Jahren aufbauen. Ähnlich sieht es für die Kompetenzfelder „strategisches Multichannel-Marketing“ und „Geschäftsmodell- und Service-Innovationen“ aus.

Erwartungen an die Customer Experience und Möglichkeiten ihrer Gestaltung und Steuerung werden gleichermaßen durch technologischen Fortschritt geprägt und verändert. CX-Verantwortung müsste deshalb auch mit einem ausgeprägten Selbstverständnis als unternehmensinterner Trendscout für technologische Innovationen einhergehen. Aspekten der Technologie-Kompetenz messen die befragten Marketing Manager allerdings deutlicher weniger Bedeutung bei als den strategisch-konzeptionellen Themen. Zum Beispiel hält weniger als die Hälfte die Fähigkeit für wichtig, künstliche Intelligenz einzusetzen. 51 Prozent wollen dieses Wissen auch in den nächsten 24 Monaten nicht aufbauen. Nur neun Prozent sagen: Den Einsatz von KI beherrschen wir bereits. Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob das, was heute als KI angepriesen wird, diesen Titel bereits verdient. Unbestreitbar ist aber, dass lernende Maschinen eine der Grundlagentechnologien sind, die praktisch alle Lebensbereiche beeinflussen werden. Vom heutigen Stand zum Beispiel der Qualität von Chat-Bots oder Sprachassistenten sollte sich niemand dazu verleiten lassen, diese Automatisierungsformen als zu limitiert zu verwerfen.

Machine Learning löst komplexe Probleme

Ein Marketing-Plan ist ein komplexes Optimierungsproblem: Es gibt viele Faktoren, die beeinflussen, welche Kombination von Aktivitäten am effektivsten ist und die gesteckten Ziele am wirtschaftlichs­ten erreicht. Machine Learning ist ein Verfahren, um komplexe Optimierungsprobleme zu lösen. Schon aus diesem Grund sollte jedes Marketing-Team sich mit diesem Thema beschäftigen.

Viele müssen aber sowohl das dafür notwendige Know-how als auch das Mind-set erst aufbauen. Für eine Marketing-Einheit, die in ihrem Unternehmen als Spezialist für werbliche Kommunikation gesehen wird und auch für diese Funktion ausgestattet ist, bedeutet das einen doppelten Kraftakt. Dieser gelingt wahrscheinlich nur in Ausnahmenfällen ohne eine sehr bewusste Entscheidung des Top-Managements, das Marketing im eigenen Unternehmen neu zu positionieren und in die entsprechende Weiterentwicklung des Marketing-Teams zu investieren.

Zur Autorin: Andrea Kindermann ist Professorin für Digitale Transformation an der Quadriga Hochschule Berlin. Außerdem berät sie Unternehmen bei der Bewertung und Adoption von Marketing-Innovationen und hat unter anderem für Proximity Consulting, TribalDDB, Jung von Matt und Villeroy & Boch gearbeitet. E-Mail: andrea.kindermann@quadriga.eu

Zur Studie: Die Quadriga Hochschule Berlin hat die Untersuchung „Marketing 2020: Innovationstreiber oder Follower?“ im Sommer 2019 als Online-Befragung durchgeführt. Zur Teilnahme waren Berufstätige aus dem Marketing-Management innerhalb der DACH-Region eingeladen. Insgesamt haben 1249 Marketing Manager – überwigend in Führungspositionen – an der Studie teilgenommen.

Den vollständigen Bericht zur Studie finden Sie hier hier.