Marketing-Automation bei Kraft Foods: Vom Rezept zum Cookie

Kraft Foods setzt in wesentlichen Teilen seiner Werbung auf Contentmarketing. Dadurch gewinnt der Lebensmittelkonzern fundierte Kenntnisse über das Nutzerinteresse und münzt das nun in personalisierte Werbung um, die unter anderem auch durch Real-Time-Bidding ausgespielt wird.

Eine Milliarde Cookies, 100 Millionen Unique User pro Jahr, 100 Markenwebsites: Der US-Lebensmittelkonzern Kraft Foods kann sich nicht beschweren, zu wenig Kontakt mit seinen Kunden zu haben. Der Konzern, zu dem demnächst auch Heinz Tomatenketchup gehören wird, verfügt eher über zu viele als zu wenige Daten. Was auf den ersten Blick erfreulich wirkt, kann sich auch schnell zu einem Bumerang entwickeln: Wer große Datenmengen nicht handhaben kann, der wird darin auch nicht die wichtigen und relevanten Datenpunkte finden, die für zugkräftige Kampagnen verwendet werden können.

Daten aus Contentmarketing

Latent haben Marken einen eher isolierten Blick auf ihre Kunden: Sie wissen zwar, für welches ihrer Markenprodukte sich ein Nutzer interessiert, welche weiteren Interessen der Nutzer hat, aber nicht. Ein Konzern mit 100 Markenwebsites hat da bereits andere Möglichkeiten. Richtig spannend wird es für Marken dann, wenn sie beginnen selbst zu verkaufen. Dann wird der „Purchase-Intent“ einer Realitätsprüfung unterzogen.

Eine zweite Möglichkeit, die Kontaktdichte zum Endkunden zu steigern, bietet Content-Marketing. Themen, die nur teilweise im Kern einer Marke und eines Produktes liegen, lassen Rückschlüsse auf weitere Interessenmerkmale zu. So kann eine Nutzerin an einem kalorienarmen Getränk interessiert sein, weil sie besonders modebewusst ist und ihre Figur halten möchte. Die gleiche Person könnte allerdings auch das Thema Sport fokussieren und sich gerade für einen Halbmarathon vorbereiten. Es ist leicht zu erkennen, dass in dieser zweiten Interessenebene ein enorm wertvoller Hebel fürs Marketing steckt.

Letzteres ist genau der Ansatz von Kraft. Die Inhalte, um die es geht, sind zum einen Rezepte und zum anderen Erklärstücke über Herkunft, Anbau, Herstellung oder Veredlung von Lebensmitteln. Besucht der Nutzer ein entsprechendes Inhaltsstück, so wird sein Interesse in der Webanalyse protokolliert und im CRM mitgeschrieben.

Doch die Einrichtung eines funktionierenden Trackings ist natürlich erst der Anfang. „Durch unsere Mahlzeiten-Vorschläge, Rezeptideen und Videos haben wir jedes Jahr eine Milliarde Interaktionen mit Endkunden“, beschreibt Bob Rupczynski, Vizepräsident CRM bei Kraft Foods.

Effizienzgewinn durch Automatisierung

Bei Kraft begann man schon vor 18 Jahren, die Inhaltsstücke mit Schlüsselbegriffen zu verschlagworten. 22 000 verschiedene solcher Tags haben die Redakteure bisher vergeben. Das bildet die perfekte Grundlage für eine Automatisierungslösung. Dort werden Persönlichkeitsprofile hinterlegt, sogenannte Personae, und in diesen Profilen sind die gleichen Schlagwörter zu finden. Macht das Analysesystem eine solche Persona aus, so kann die Software die exakt passende Werbung ausspielen, also eben das edle Mode-Motiv oder die dynamische Sport-Aufnahme.

Angesichts des massiven Anstiegs potenzieller Kontaktpunkte zu den  Kunden ist die Steigerung der Werbeeffizienz einer der wichtigsten Gründe, um überhaupt eine Automatisierungslösung in Betracht zu ziehen. Für Kraft Foods bedeutete das vor allem herauszufinden, welche der vielen Personae eine höhere Kaufwahrscheinlichkeit aufweisen als andere. „Man lässt ja deswegen die Personae mit geringer Kaufwahrscheinlichkeit nicht weg, aber man bewirbt sie mit einer anderen Strategie“, erklärt Paul Alfieri, Chef-Marketer bei Turn.

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Paul Alfieri, Chef-Marketer bei Turn

Die Kernkompetenz des Unternehmens liegt in der Zusammenführung  unterschiedlicher Datentöpfe unter einem Softwaredach. So kann der Marketer Leistungs- und Profildaten aus unterschiedlichen Quellen für das Tagesgeschäft handhabbar machen. Daraus ist inzwischen eine veritable Data-Management-Plattform (DMP) geworden, die sich vor allem auch dadurch auszeichnet, dass man auch historische Daten schnell analysieren kann. Der zweite Baustein im Turn-Portfolio ist das Audience-Management. Hier werden Zielgruppen-Merkmale zu Personalprofilen verdichtet. Das Produkt bildet die Grundlage für erweitertes Targeting. Und damit die Daten nicht im Unternehmen hängen bleiben, gibt es drittens noch eine DSP, eine Demand-Side-Plattform. Sie übernimmt den automatischen Einkauf von Werbeinventar.

Bei Kraft Foods liegt das Hauptaugenmerk auf dem direkten Umsatzpotenzial. Hier fand das Unternehmen im Laufe der Bestandsanalyse heraus, dass einige der althergebrachten Zielgruppenansätze heute gar nicht mehr tragen. „Kraft hatte die Zielgruppe der arbeitenden Mütter gar nicht im Visier. Sie wollen gerne gesunde Nahrung für ihre Kinder zubereiten, haben aber nicht mehr so viel Zeit dafür“, erläutert Paul Alfieri.

Der Fall Tassimo

Sehr direktes Umsatzpotenzial entfaltet zum Beispiel das Kaffeesystem Tassimo. Es wird direkt an Endkunden verkauft. Da es sich dabei um eine sehr kleine Betriebseinheit handelt mit entsprechend kleinem Budget, ist es umso wichtiger, aus einer Effizienzperspektive erfolgreich zu sein.

Im ersten Schritt reduzierte Kraft die Anzahl der Dienstleister von neun auf zwei. Zwischen den beiden verbliebenen lief eine Art Vergleichstest. Im nächsten Schritt reduzierte Kraft das Zielpublikum auf solche Nutzer mit hoher Kaufwahrscheinlichkeit. Das waren Bestandskunden, Warenkorbabbrecher und Kunden aus kleinen, spezifischen Segmenten im Bereich Luxusgüter. Ausgehend von dieser Verschlankung erzielte die Automatisierung mit der Lösung von Turn einen um 34 Prozent höheren Return aus den Werbeausgaben im ersten Halbjahr 2013. Inzwischen arbeitet Tassimo ausschließlich mit der Turn-Lösung.

Tiefe Verankerung im Unternehmen und bei Agenturen

Nach solch kleineren Feldversuchen hat sich die Zusammenarbeit zwischen Turn und Kraft inzwischen gefestigt. „Derzeit versuchen wir auch die Marken an Bord zu holen, die bislang sehr eigenständig arbeiten, damit wir auch für diese auf Unternehmensebene aktiv werden können“, sagt Julie Fleischer, Media-Direktorin bei Kraft Foods. Aktuell sind 28 unterschiedliche Kraft-Marken und deren Daten auf der Turn-Plattform angekommen. Die Hälfte aller digitalen Ausgaben wird über die programmatische Software ausgeliefert.

Eine der großen Stärken von Turn war dabei das Onboarding. Nach den ersten erfolgreichen Projekten begann man systematisch nicht nur die Mitarbeiter in Sachen programmatischer Einkauf und Marketing-Automation zu schulen, sondern Turn wandte sich auch an die beteiligten Agenturen und stellte diesen im Rahmen von Workshops nötiges Know-how zur Verfügung. Insgesamt 18 Agenturpartner nahmen an den Weiterbildungsmaßnahmen teil und bei der Mediaagentur Starcom wurde gleich das gesamte Team geschult.

Softwareentwickler im Marketing

„Es müssen nicht alle Daten in Echtzeit vorliegen, sondern nur die wichtigen. Die Verkaufszahlen in Echtzeit abzubilden bedeutet sehr viel Aufwand und ist im Fall von Kraft Foods gar nicht nötig. Hier kann man also die Bestandssysteme so lassen, wie sie sind.“ Alfieri betont, dass das aber auf lange Sicht nicht reicht. Die Bedeutung von Automatisierung werde auch im Branding-Segment schnell weiter steigen, da die Komplexität der fragmentierten Kanallandschaft sonst nicht zu handhaben sei. Das müss nicht zuletzt einen Einfluss auf die Personalpolitik haben: „Der nächste Mitarbeiter für die Marketing-Abteilung sollte vielleicht ein Softwareentwickler sein.“

Ob sich Julie Fleischer daran hält, wird zu beobachten sein. Bislang allerdings scheint sich für sie die Zusammenarbeit auszuzahlen: „Wir sehen enorme Verbesserungen in unserer Werbeeffizienz sowohl bei der Markenwahrnehmung als auch bei der Kaufwahrscheinlichkeit und nicht zuletzt beim direkten ROI.“