Markenlektion 2016 oder die (gefährliche) Macht der positiven Übervereinfachung

Gegen die EU, gegen Mexikaner, gegen Wall Street, gegen Ausländer, gegen Muslime. Immer öfter treffen auf der politischen Ebene übervereinfachte Botschaften auf eine Vielzahl an guten Argumenten und gewinnen. Hatten früher diese Gegenpositionen maximal Platz am linken oder rechten Ende des politischen Spektrums, werden sie heute teilweise sogar mehrheitsfähig.
Michael Brandtner

In der Welt der Marken ist Übervereinfachung nichts Neues. So sind viele Marken heute rund um ein zentrales Schlagwort aufgebaut. BMW steht für „Fahrfreude“, Audi für „Technik“, Google steht für „Suche“, Spotify steht für „Streaming“ bei Musik, Dr. Best für „nachgebend“ bei Zahnbürsten und Geox für „atmet“ bei Schuhen.

Interessant dazu war und ist auch der Schlagabtausch zwischen den Abtreibungsgegnern und den Abtreibungsbefürwortern in den USA. Die Kernidee der Gegner lautet „für das Leben“. Damit bezieht man nicht nur klar Position, man suggeriert zudem auch, dass die Gegenseite „gegen das Leben“ ist. Nur den Abtreibungsbefürwortern gelang es die eigene „Gegen etwas sein“-Position in etwas Positives zu übersetzen, nämlich in „für die Wahlfreiheit der Frau“.

Brexit, Trump und das Establishment

Genau dieses Prinzip des einen positiven Schlagwortes nutzten auch die Brexit-Befürworter. Im Kern waren sie gegen die EU, aber es gelang ihnen ebenfalls diese Gegen-Position in eine positive Idee zu übersetzen, indem sie ihre Kampagne auf das Wort „Control“ fokussierten. So lautete der Slogan dazu „Take Back Control“, eine einfache und mächtige Botschaft, die punktgenau das Gefühl und den Zeitgeist vieler vor allem älterer Briten traf, die wieder gerne die Kontrolle über das eigene Land zurückhaben wollten. Dasselbe gelang Donald Trump mit der für viele Amerikaner positiven Botschaft „make America great again“.

Trotzdem versuchen immer noch viele Unternehmen, vor allem aber auch Politiker ihre Kunden bzw. ihre Wähler mit vielen Argumenten zu überzeugen. Nur das funktioniert in der Regel immer schlechter. So schafften es auch die Brexit-Gegner nicht, ihre Argumente für den Verbleib in der EU auf eine positive Idee zu fokussieren. Vielmehr warnten sie vor den negativen Folgen des Austritts. Nur das war zu schwach (und auch zu verwirrend) gegen eine einfache positiv formulierte Botschaft, die den Briten versprach, dass sie alles wieder selbst im Griff haben werden. Hier muss auch Angelika Merkel vorsichtig sein. So konnte man Anfang Mai dieses Jahres folgende Zeilen in der FAZ lesen: „Kanzlerin Merkel will der AfD mit „guten Argumenten“, aber „ohne Schaum vorm Mund“ begegnen.“

Auf den digitalen Stammtisch achten

Denn durch die sozialen Medien, allen voran Facebook, YouTube und Twitter kommt noch ein weiterer wesentlicher Aspekt hinzu. So zeigte auch eine Studie von SimilarWeb, dass die Kampagne der Brexit-Befürworter der klare Sieger in den sozialen Medien, vor allem auf Facebook war. Die sozialen Medien entwickeln sich so – speziell bei politischen Themen – immer mehr zu einer Art „digitalem Stammtisch“, der aber im Gegensatz zum herkömmlichen Stammtisch viel mehr Menschen erreichen kann.

Nur genau diese Entwicklung fördert noch einmal mehr einfache „eindimensionale“ Botschaften. Sie gewinnen eine Diskussion am Stammtisch in der Regel nicht mit guten Argumenten. Sie punkten auch dort mit einfachen, oft auch überspitzten oder sogar provozierenden Botschaften. Genau das kommt (oft auch radikalen) Herausforderern mehr entgegen als den Verteidigern des Status Quo.

Gefahr der Radikalisierung

Nur damit besteht auch die große Gefahr, dass speziell die sozialen Medien mit auch zu einer neuen Art der Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft beitragen. Dies sollte uns allen zu denken geben. Vor allem aber sollte uns zu denken geben, dass anscheinend die Herausforderer des Status Quo die neuen Regeln und Medien besser beherrschen als die Verteidiger des Status Quo. So gesehen hat auch die AfD keine schlechte Ausgangsposition für den Wahlkampf 2017 mit ihren Gegenpositionen, speziell dann, wenn es ihr gelingen sollte, diese auf eine positive Botschaft zu fokussieren. Hier wird es zudem spannend, ob die etablierten Parteien mehr bieten können als nur eine Ansammlung an guten Argumenten. Das heißt: Egal wie viele gute Argumente auf Seiten einer Marke sind, im Idealfall lässt sich das Ganze auf eine positive Idee bündeln, die zudem eine Stimmungslage in der Gesellschaft trifft.

Zum Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, OÖ, Associate of Ries & Ries und Autor des Buches „Brandtner on Branding“. Sein Blog: www.brandtneronbranding.com