Markenkiller Innovation

Wahrscheinlich gibt es keinen zweiten Begriff, der im Management so positiv besetzt ist, wie der Begriff „Innovation“. So wird Innovation in der Regel mit Erfolg gleichgesetzt. Die einfache Formel lautet: Innovativ ist gleich erfolgreich. Warum ist aber der Begriff Innovation so positiv besetzt?

Markenbauer Innovation

Ein wesentlicher Grund dafür ist sicher, dass viele der stärksten Marken der Welt auf Innovationen beruhen. Zum Beispiel war die Glühbirne von Thomas Edison der Grundstein von General Electric. Coca-Cola war die erste Cola, Persil das erste Waschmittel, Nivea die erste Creme auf Öl-Wasser-Basis. Red Bull war der erste Energydrink, Geox der erste Schuh, der atmet, Actimel das erste probiotische Joghurt, das Abwehrkräfte aktiviert, und der Fusion von Gillette ist der erste Fünf-Klingen-Rasierer.

Wenn man sich diese Erfolgsliste ansieht, ist klar, warum der Begriff Innovation so positiv besetzt ist. So ist auch klar, warum viele Unternehmen auch so innovativ sein wollen. Nur wie überall im Leben hat alles Gute auch seine Nebenwirkungen. Deshalb sollte man auch mit Innovationen sehr vorsichtig umgehen.

Markenkiller Innovation

Bestes Beispiel im positiven wie auch im negativen Sinne dafür ist Motorola! Am Beginn dieses Jahrhunderts war Motorola in der Krise. Der Erfinder des Mobiltelefons war hinter Nokia und Samsung auf Platz drei zurückgefallen. Dies alles änderte sich 2004 mit einer Innovation, dem Razr, dem dünnsten Handy der Welt. 2005 war Motorola wieder massiv auf Wachstumskurs und hatte damals das „coolste“ Mobiltelefon der Welt. (Die Macht der Innovation.)

Nur bei Motorola dachte man – wie auch bei vielen anderen Unternehmen – anscheinend, dass wenn eine Innovation einen solchen Erfolg bringt, dann müssen mehrere Innovationen noch mehr Erfolg bringen. Also überschwemmte man den Markt mit vielen innovativen Modellen wie Motorazr, Motokrzr, Motoslvr, Motopebl, Motorokr, Motoslim oder Motoming. Die brutale Folge: Heute ist Motorola wieder nur ein weiterer Mobiltelefonanbieter. Die vielen Innovationen führten dazu, dass Motorola heute wieder für nichts mehr steht. (Daran wird auch das neue Milestone nichts ändern, weil es nur me-too ist.)

Nur genauso machen es heute viele Unternehmen. Sie überschwemmen den Markt mit Innovationen und wundern sich gleichzeitig, dass der erwünschte Erfolg ausbleibt. Das Problem: Die meisten Innovationen gehen dann einfach sang- und klanglos in der Menge der Innovationen unter. So muss auch Nokia vorsichtig sein. Laut Medienberichten brachte Nokia alleine in den vergangenen beiden Jahren im Schnitt 60 Handymodelle auf den Markt. Können Sie sich an eines wirklich erinnern? Wissen Sie ein Nokia-Modell, dass man unbedingt haben sollte? (Auch die Marke Nokia wird so immer schwächer, weil man zu innovativ und zu wenig selektiv ist.)

Razr vs. iPhone

Was hätte Motorola tun sollen? Man hätte das machen müssen, was Apple mit dem iPhone machte, nämlich das Razr nicht als ein Modell, sondern als eine Marke betrachten. Statt der vielen Modelle, hätte man das Razr weiterentwickeln müssen, zuerst das Razr II, dann das Razr III und so fort. Genau das macht Apple zurzeit sehr erfolgreich. Apple ist sehr selektiv bei seinen Innovationen und behandelt jede wichtige Innovation wie eine Marke, die man dann auch weiterentwickelt, wie den iPod, das iPhone oder kürzlich das iPad. (Hier hat man als Kunden einen klaren Überblick.)

Wenn Apple morgen das iPhone in eine eigene iPhone Incorporation auslagern würde, wäre das kein Problem. (Es wäre sogar eine sehr gute Idee.) Man spricht jetzt bereits nur vom „iPhone“ und nicht vom „Apple iPhone“ oder dem „AppiPhone“. Dasselbe Bild auch bei iPod, iPad oder den iTunes.

Neu über Innovation denken

Viele Unternehmen bezeichnen sich heute stolz als „innovatives Unternehmen“ und merken dabei gar nicht, dass sie eigentlich viel zu innovativ sind. Sie sind dann so innovativ, dass die meisten Innovationen einfach in der Menge der Innovationen untergehen. Schlimmer noch: Sie sind so innovativ, dass letztendlich die Marken für nichts mehr stehen und der Preis als Entscheidungskriterium immer wichtiger wird.

Typisches Beispiel dafür ist die Elektronikindustrie, egal ob Sony, Samsung, Philips, LG, Panasonic, Pioneer und wie sie alle heißen. Die Namen mögen bekannt sein, die Unternehmen extrem innovativ sein, aber der Preis als Auswahlkriterium wird immer wichtiger, steht doch keine der Marken mehr für irgendetwas wirklich Besonderes. Die großen Ausnahmen sind die Spielkonsolen, weil es da klar positionierte Marken wie die Wii von Nintendo, die Playstation oder die Xbox gibt, die sehr selektiv mit ihren Innovationen umgehen.

Fazit: Innovation ist kein Selbstzweck. Innovation sollte immer im Dienste der Marke stehen. So beruhen viele der großen Markenerfolge auf Innovationen, aber es müssen auch immer mehr Unternehmen erkennen, dass zu viele Innovationen Marken letztendlich deprofilieren und „killen“.

Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, Oberösterreich, Associate of Ries & Ries und Autor des Buches „Brandtner on Branding“.