Macht uns Corona zu besseren Menschen?

Die Psychologie des Engagements für Nachhaltigkeit ist ein Ausdruck der Konsum-Sinnkrise während der Coronavirus-Pandemie. Eine tiefenpsychologische Betrachtung zum kulturellen Umbruch von der Maximierung zur nachhaltigen Sinn-Sehnsucht.
Nachhaltigkeit
Die konsequente Einhaltung ökologisch, beziehungsweise nachhaltig einwandfreier Alltagshandlungen stellt sich als Ideal heraus, dem nachzueifern im Alltag immer wieder durchbrochen wird. (© Unsplash/Mert Guller)

Von Rochus Winkler, Geschäftsführender Gesellschafter, Concept M

Nachhaltigkeit und ökologisches Bewusstsein liegen im Trend, insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene treiben die Themen voran. Die „Generation Greta“ und die „Fridays for Future“-Bewegung stehen für die Sehnsucht nach einer grünen, heilen Welt ohne Menschen- und Tierleid. Aber auch die Zielgruppen ab 30 Jahre geraten unter moralischen Druck. Und im Prinzip wird die bewusste und kritische Haltung der jungen Generation als angemessen empfunden.

Diese Entwicklung fand schon vor Corona statt, doch nun hat sie sich rasant beschleunigt, wie einige Beispiele aus den Medien zeigen:

  • Im deutschen Frühstücksfernsehen wird dargestellt, welche Gemüsesorten man im eigenen Wohnzimmer züchten kann.
  • Bienen- beziehungsweise Insektensterben waren vor Corona eines der medialen Topthemen.
  • Vor Corona sprach die Gesellschaft von Feinstaub und der bösen Automobilindustrie und forderte autofreie Innenstädte und die langersehnte Elektromobilität, die unsere Gegenwart zunehmend prägt.
  • Laut einer aktuellen Studie der Europäischen Investitionsbank (EIB) sind 40 Prozent aller Europäer zu Verhaltensänderungen bereit, und viele glauben fest daran, dass sie mit persönlichen Verhaltensänderungen etwas bewirken können.

Woher rührt dieser Stimmungswandel?

Von der Maximierung zur nachhaltigen Sinn-Sehnsucht

Psychologisch ist die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit und Ökologie eine Vermittlungsform, die nach den letzten Jahren des Maximierungskonsums entstand. Konsumieren um jeden Preis und nach dem Motto „Ich – Jetzt – alles – zu jeder Zeit“ ist spätestens mit Corona in sich zusammengebrochen. Denn parallel zur „Maximierungskultur“ entwickelte sich eine „Besinnungskultur“, in der wir nach neuen Leitmotiven und letztlich nach dem Sinn des eigenen Lebens suchten. Corona ist in dem Kontext als Notbremse zu verstehen, die uns zu einer neuen Werteorientierung verholfen hat.

Wie stellt sich das seelische Erleben von Nachhaltigkeit und ökologischer Orientierung dar?

Die Motive stellen sich als besonders spannungsvoll heraus: Zum einen möchte man seine eigene ökologische Gesinnung demonstrieren und sich zu einer wünschenswerten, grünen und leidfreien Welt bekennen. Zum anderen förderten Tiefeninterviews, die Concept M mit Probanden führte, die Erkenntnis zutage, dass die Konkretisierungen fehlen. Vielfach griffen die Befragten zu Allgemeinplätzen, beispielsweise, dass die „Erdölindustrie ausgedient hätte“ oder dass „die Politiker mal aufwachen müssten, um zu sehen was mit der Welt gerade passiert“.

Die Forderung nach ökologischem Handeln jedes Einzelnen wird gestellt, und zwar mit einem moralisch hoch erhobenen Finger. Die tatsächlichen Bebilderungen, wie dies im Alltag geschehen soll, fokussieren sich jedoch auf einige wenige, eingeschliffene Verhaltensweisen: Müll trennen, Müll vermeiden, Bestellungen reduzieren, mehr Fahrrad fahren. Auch der Einkauf regionaler Produkte oder von Mode aus zweiter Hand werden oft erwähnt.

Die konsequente Einhaltung ökologisch, beziehungsweise nachhaltig einwandfreier Alltagshandlungen stellt sich dabei als Ideal heraus, dem nachzueifern im Alltag immer wieder durchbrochen wird – bei schlechtem Wetter wird dann doch das Auto genutzt, und manchmal machen auch Online- Bestellungen auf dem Wohnzimmersofa Spaß und vertreiben die Langeweile.

Fünf tiefenpsychologische Befunde

Das Thema des ökologischen und nachhaltigen Handelns ist also spannungsvoll, beziehungsweise fragil. Es lässt sich mit tiefenpsychologischen Methoden erklären. Dabei ergeben sich die folgenden fünf Befunde:

  • 1. Das Engagement für Natur und Umwelt lässt den Konsumenten an einer ideellen Werteorientierung teilhaben. Doch bei der Ausführung der vernünftigen Vorhaben ergibt sich häufig ein Widerspruch mit regressiver Lust, Vergnügen und Bequemlichkeit.
  • 2. Getragen wird diese demonstrative Wertehaltung von allumfassenden Naturbildern. Dabei werden sowohl naturverbundene Vorstellungen von paradiesischen Zuständen entwickelt – oder apokalyptische Bilder der Zerstörung gezeichnet. Diese Weltzeichnungen sind quasi kindlich. Das Bild der Intaktheit der Welt wird im frühen Kindesalter vermittelt. Bunte Kinderbücher mit glücklichen Tieren auf einem romantischen Bauernhof sind beziehungsweise bleiben die klassischen Erklärungsmuster der Erwachsenen.
  • 3. Aktuell leben wir in einer durch Corona bestärkten Besinnungskultur, in der wir uns viel intensiver mit uns selbst auseinandersetzen. Dazu gehört auch, darüber nachzudenken, ob wir in einer lebenswerten, gerechten Welt leben. Werden aber die Kriseneinschläge persönlich spürbar, geraten auch Nachhaltigkeit und ökologisches Bewusstsein wieder in den Hintergrund. Die individuelle Bedeutung kann also angesichts von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, privaten Rückschlägen geringer werden.
  • 4. Die Konzerne sollen es richten. Unternehmen fungieren als Blitzableiter, und alle nachhaltigen Verfehlungen, die man selbst im Alltag unternimmt, werden auf sie projiziert. Nicht die eigene Müllvermeidung wird alltäglich umgesetzt, sondern stattdessen wird Klage geführt über die „großen Packungen“, die die Industrie uns kaufen lässt.
  • 5. Konkrete Umsetzungen des eigenen Umweltengagements münden oftmals zu einem Aufreiben in Einzelaktionen. Der Sinn der eigenen Aktivitäten für die Weltverbesserung kann dadurch zunehmend in Frage gestellt werden.

Fazit

Das Thema des ökologischen, nachhaltigen Tuns erscheint auf den ersten Blick für viele Menschen hochattraktiv, ist jedoch in der Konsequenz ambivalent. Eine persönliche Beruhigung kann am besten dann stattfinden, wenn wir uns in moralische Vergleiche und Verrechnungen mit anderen Menschen begeben. Dann schneiden wir meist besser ab „als die Allgemeinheit“.


Rochus Winkler, Mitbegründer von Concept M, hat sich mit den psychologischen Besonderheiten des Umweltengagements beschäftigt. Das ökologische Bewusstsein in Deutschland beobachtet der Forscher im Rahmen seiner qualitativen, quantitativen Forschung und Beratung seit über 20 Jahren. Im Rahmen der Initiativstudie „Moral am Regal“ wurden 2020/2021 über 2000 Deutsche befragt.

Concept M ist eines der führenden, globalen Institute für Kultur- und Konsumforschung. Die Gründer Rochus Winkler, Thomas Ebenfeld, Dirk Ziems verstehen sich als Orientierungsgeber und Lotsen in eruptiven Märkten.