Warum die Marke Mercedes ein Relevanzproblem bekommt

Im Jahr 2019 verzeichnete Mercedes-Benz im PKW-Segment mit 2,3 Millionen ausgelieferten PKWs einen Absatzrekord. Knapp ein halbes Jahr später kündigte der Daimler-Vorstandsvorsitzende Ola Källenius einen Strategiewechsel mit einem größeren Schwerpunkt im Luxussegment an. Doch dieser könnte für die Marke Mercedes gefährlich werden.
Mercedes
Daimler-Chef Källenius verkündet eine neue Luxusstrategie: raus aus dem Mengen- hin zum Wert-Denken. Die zielführende Frage ist aber nicht: Wie können wir aus Premium Luxus machen? (© Imago)

Im Fokus des von Daimler-Chef Källenius ausgerufenen Strategiewechsels ist nicht mehr das Mengendenken und die Technologie-Führerschaft, sondern die Konzentration auf das Luxussegment. Wenn er Mercedes zurück zu alter Rentabilität führen möchte, scheint diese Entscheidung unausweichlich. Doch die Konzentration auf das Luxussegment ist gefährlich. Denn sie lässt die Antworten auf die zentralen Fragen der Zukunftspositionierungen der Marke offen. Und sie bezieht sich auf einen unpräzise formulierten Kern der Marke Mercedes-Benz.

Ist Luxus die richtige Markengrenze?

Doch fangen wir von vorne an. Källenius wolle „… zurück zu unserem Kern als Hersteller von modernen Luxusfahrzeugen“. Bereits hier beginnt die erste Fehleinschätzung. Mercedes hat sich selbst immer als „der erfolgreichste Hersteller von Premiumfahrzeugen“ bezeichnet, wie auch aktuell noch auf der Homepage des Unternehmens zu lesen ist. Doch Premium ist nicht Luxus. Ob eine reine Luxusmarkenstrategie nach dem Vorbild des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH erfolgreich wäre, ist zu bezweifeln. Dieser Konzern atmet und lebt Luxus in allen Ritzen, an allen Markenkontaktpunkten, durch alle dazugehörigen Marken, von Louis Vuitton, Dior bis Moët & Chandon. Der Trugschluss: Eine S-Klasse herzustellen, macht aus Mercedes-Benz noch keine Luxusmarke.

Es geht nicht um das Was, sondern um das Wie

Dabei ist das vom Daimler-Chef ausgegebene Ziel absolut nachvollziehbar: raus aus dem Mengen- hin zum Wert-Denken. Die zielführende Frage ist aber nicht: Wie können wir aus Premium Luxus machen? Um höhere Preise durchzusetzen, muss die Frage lauten: Wie können wir die Marke Mercedes-Benz wieder so differenziert und begehrlich machen, dass Menschen bereit sind, dafür mehr zu bezahlen.

Die zentrale Frage aus Markensicht ist also, welche „Art von Premium“ sollte die Marke verkörpern? Denn anders als vor hundert Jahren ist Mercedes auf diesem Feld nicht mehr alleine. Premium- und Luxusmarken gibt es mittlerweile zuhauf. Der Hebel für mehr Rentabilität liegt in der eindeutigen Differenzierung der Marke. In der Markentechnik nennen wir das „Verdichtung“. Anziehungs- und Strahlkraft entstehen aus der Verdichtung und Neuinterpretation dessen, was die Marke schon immer verkörpert hat. Man stelle sich vor, Mercedes-Benz würde bei jedem Markenkontaktpunkt, bei allen Puzzleteilen der Marke absolute Premiumqualität liefern. Alle von Daimler lancierten Mobilitätsmarken und Zukunftsprojekte, alle technologischen Weiterentwicklungen wären „das Beste oder Nichts“. Bräuchte Mercedes dann eine neue Positionierung?

Doch anstatt das Profil zu schärfen und dieses durch neue Mobilitätsspitzenleistungen zu beweisen, hat man in jüngster Vergangenheit den Eindruck gewinnen können, Mercedes wolle so sein wie alle: sportlich wie BMW, technologisch führend wie Audi, und ja, zuverlässig wie Mercedes. Doch starke, begehrliche Marken ahmen den Wettbewerb nicht nach, sie definieren wie sie sein wollen – und ebenso, wie sie nicht erlebt werden wollen.

Von Premium – made in Germany zu Luxus – made for China

Studien, darunter „Digital Luxury: How The Digital Transformation Shapes Luxury Brands“ von Brand Trust, zeigen, dass die Bedeutung von Luxusprodukten, die man nur als kostspielige, dem Vergnügen und Prestige dienende Produkte ansieht, in Europa und USA eher abnimmt. In Asien hingegen steigt die Begehrlichkeit für derartiges. Fast könnte man meinen, die chinesischen Mercedes Großaktionäre BIAC und Geely Chef Li Shufu hätten die Luxus-Strategie diktiert, um die passenden Produkte für den asiatischen Markt anbieten zu können.

Deutsche empfinden das Entfliehen der ständigen Erreichbarkeit als Luxus, nicht das Prestigefahrzeug. Und beim Umgang mit Luxusprodukten steht das Erlebnis im Vordergrund, nicht der Besitz. Das gilt vor allem für die wichtige und größte Kundengruppe, die Millennials. Auf deren Wünsche gilt es sich einzustellen. Dazu passt beispielsweise das Premium Auto-Abo von Volvo weitaus besser als die Luxusstrategie von Mercedes.

Relevanz von Automobilmarken: vom Besitz zum Erlebnis

Marken wie Mercedes-Benz tun sich schwer, Strategien nicht aus der Hersteller-Genetik abzuleiten. Insbesondere für deutsche Ingenieur- und Technologiemarken ist es das Größte, überlegene Produkte zu erfinden, zu entwickeln, zu produzieren und dann zu verkaufen. Deshalb scheint es die logische Konsequenz zu sein, alle neuen Mobilitätslösungen, die nicht unmittelbar zu dieser Gewohnheit eines Herstellers gehören, auch unter einer anderen Marke zu führen.

Als Vorwand wird dann häufig herangezogen, dass man nicht 100-prozentiger Eigentümer des Unternehmens sei oder die Mobilitätsleistung auch mit Fahrzeugen anderer Automobilmarken nutzbar wäre. Das führt aber dazu, dass etablierte Automarken nicht mit jenen neuen Leistungen aufgeladen werden, welche in Zukunft an Relevanz gewinnen. Wenn nicht mehr das Produkt, sondern die Nutzung des Produktes im Vordergrund stehen, müssen begehrliche Automobilmarken auch nicht nur mit Zukunftstechnologien, sondern durch Zukunftsservices begehrlich gemacht werden. Um in Zukunft relevant zu bleiben, muss die Marke beantworten, welches Mobilitätsproblem künftiger Kundengenerationen sie besser lösen wird als der Wettbewerb.

Was Marken aus der alten, „made in Germany-Ingenieurswelt von Technologiemarken wie Apple, Samsung oder Tesla lernen können: Diese Marken verkaufen kein Produkt, sondern eine Idee von der besseren Zukunft. Ob es um die unterhaltsamere, einfachere Art der Nutzung von Computern, die vernetztere Bedienung von Unterhaltungselektronik oder den nachhaltigeren Transport geht. Sie wecken die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und helfen dabei, diese Stück für Stück zu kreieren.

Auffällig ist, dass solche Marken nicht von Ingenieuren, sondern von Visionären geführt werden. Für gestandene Ingenieure mögen Management-Instrumente wie Vision und Mission wie ein notwendiges Übel erscheinen. Für Technologiemarken der Zukunft sind das aber die wesentlichen Treiber für Begehrlichkeit und Relevanz. Nur wenn Marken einen klaren Beitrag zu einer besseren Zukunft leisten, werden sie für künftige Kunden relevant bleiben. Das zumindest offenbart die aktuelle Brand-Trust-Studie „Impact Brands“. Nicht erst seit Corona ist die Sehnsucht nach Marken, die Lösungen für die Herausforderung und Missstände unserer Welt bieten, massenfähig geworden.