Kundenverständnis ohne Code

Erst Daten machen die Bedürfnisse (potenzieller) Kund*innen verständlich. Für ihre Auswertung braucht es aktuell noch programmierfreudige Datenfreaks. Mit Low- und Zero-Code-Anwendungen soll sich das ändern.
Klemmbausteine
Das Beratungsunternehmen Gartner geht davon aus, dass bis 2024 65 % aller Aktivitäten zur Umsetzung von Software auf das Konto von Low-Code-Plattformen gehen werden. (© Unsplash)

Zu Beginn des digitalen Zeitalters wurden die Daten kurzerhand zur wichtigsten Währung erklärt. Sie sollen zum Beispiel dabei helfen, potenzielle Kund*innen zu verstehen. Meistens sind aber schon die Daten selbst schwer verständlich. Um mit riesigen Datenmengen umzugehen, braucht es vor allem eines: Code, also Programmierung, die dem Computer sagt, was mit den Daten zu tun ist. Damit lassen sie sich rasch in eine strukturierte Form bringen und nach wertvollen Insights durchforsten. Insbesondere für komplexe Modelle braucht es Programmiersprachen. Und die beherrschen nur wenige. Die Frage nach Insights wird so oftmals zur Frage nach Expert*innen.

Hier kommen Low-Code- und Zero-Code-Plattformen ins Spiel. Erstere ersetzen Code großflächig durch ein grafisches Interface, zum Beispiel durch Blöcke. Dabei bleibt jedoch die Möglichkeit offen, die Anwendung mit Code manuell anzupassen. Bei Zero Code hingegen ist das ausgeschlossen. Die Entwicklung basiert dann allein auf dem visuellen Zusammenfügen einzelner Komponenten. Beide Prinzipien gibt es bereits seit Langem in der Software- und Webentwicklung.

Was andere Bereiche also längst gewohnt sind, geschieht aktuell in der Datenanalyse. Nur ist Automatisierung hier das falsche Stichwort. Natürlich automatisieren Low-Code-Plattformen einzelne Schritte der Datenauswertung. Doch bereits die einzelnen Blöcke automatisieren einzelne Schritte. In ihnen steckt bereits Code, der bestimmte Aufgaben erledigt. Über ein grafisches Interface wird aber auch dieser Code automatisch erstellt. So handelt es sich also eher um die Automatisierung der Automatisierung, kurz gesagt: Hyperautomatisierung. Darin sehen viele Expert*innen einen Trend. Für 2023 prognostiziert Gartner einen weltweiten Markt für Hyperautoma­ti­sierungssoftware mit einer Größe von knapp 729 Milliarden US-Dollar. Prozess­un­abhängige Software soll davon knapp 45 Milliarden US-Dollar ausmachen.

Datenanalyse im Drag-and-drop-Modus

Warum also der Aufruhr? Schließlich werden Low-Code-Plattformen – zum Beispiel Salesforce – in vielen Unternehmen genutzt. Doch inzwischen drängen zunehmend Plattformen auf den Markt, die sich auf Analytics spezialisiert haben. Den Anfang machte hier unter anderem ­Knime. Der Begriff steht für Konstanz Information Miner – denn an der Universität in der Stadt am Bodensee begann das Projekt, das heute ein eigenständiges Unternehmen mit rund 200 Mitarbeiter*innen ist. Zu Beginn bestand das Publikum vor allem aus Forscher*innen. Das sollte sich schnell ändern. „Die größte Veränderung war die Einführung eines grafischen User Interface“, sagt Rosaria Silipo, Head of Data Science Evangelism bei ­Knime. „Das hat die Zielgruppe ein wenig verändert.“ Was sie als kleine Verschiebung darstellt, stößt aber eine große Entwicklung an. Datenanalyse wird zugänglich – für jede*n. Denn ­Knime ist von da an eine Low-Code-Plattform – das „beseitigt die Programmierbarriere“, sagt Silipo.

So steigt nicht nur die Zahl potenzieller Nutzer*innen. Die Zusammenarbeit in Sachen Insights wird maßgeblich vereinfacht. „Es führt kein Weg daran vorbei, das aus den Händen der klassischen Softwareentwickler zu nehmen und dafür zu sorgen, dass verschiedene Teams kollaborieren können“, erklärt der Gründer Michael Berthold. Darüber hinaus profitiert die Entwicklung von Knime unter anderem von einer frühen Entscheidung zu Open Source. Weil die Plattform frei verfügbar ist, ist eine echte Community darum gewachsen. Auch deshalb resümiert Silipo: „Low Code entwickelt sich rasend und ist bereits jetzt eine vollwertige Alternative für die meisten Anwendungen.“

Inzwischen gibt ­Knime an, die gesamte Data-­Science-­Pipe­line modellieren zu können. Das gilt auch im Marketingbereich. Für typische Cases bietet ­Knime bereits fertige Workflows: Segmentierung, Churn Prediction oder die Analyse von Kundenfeedback. Diese breite Aufstellung als Plattform hält Berthold für essenziell, „weil im Bereich Data Science niemand genau weiß, was in zwei, drei Jahren passieren wird“.

Spezialwerkzeug statt Alleskönner

Andere Player spezialisieren sich dagegen auf einzelne Aufgaben. Dazu gehört das Start-up Textada. Mit einem Tool will es die Annotation von Texten, also die inhaltliche Kodierung, vereinfachen. Damit lassen sich große Textmengen auf ihre Kernaussagen herunterbrechen. „Die Assisted Annotation schlägt Annotationen vor und kann sogar eigenständig annotieren“, erklärt Co-Gründerin Franziska Weeber. Um dies zu ermöglichen, lerne die vom Start-up entwickelte KI im Hintergrund von den manuellen Annotationen der Nutzenden. Ergänzt würden diese Hauptkomponenten durch weitere Features und smarte Assistenten, zum Beispiel zur Keyword-Klassi­fizierung und um besonders interessante Dokumente zu identifizieren.

Das Tool erfordere zudem keinerlei Programmierkenntnisse. Im Marketing könnte die Software einige Probleme lösen. Im Kundenservice, aber auch auf Social Media fallen massenhaft Texte an, bei denen einzelne Mitarbeiter*innen schnell den Überblick verlieren. Tools wie Textada könnten das in Zukunft verhindern. Mit einem Gründerstipendium betreibt das Start-up laut Weeber aktuell mehrere Pilotprojekte, um die Software weiterzuentwickeln. Im April soll eine Early Adopter Version gelauncht werden, gegebenenfalls mit zusätzlichen Funktionen: „Wir haben Tausende Ideen für weitere Features“, sagt Weeber.

Low Code könnte den Fachkräftemangel lindern

Plattformen wie Knime und Textada haben eines gemeinsam: Mit ihnen steigt die Zahl derer, die sich an die Datenanalyse wagen und Insights schaffen. Mit mehr bedienfähigen Nutzer*innen wären Unternehmen weniger auf Spezialist*innen angewiesen. Deren Expertise wird damit nicht weniger wichtig, vielmehr können sie sich so um die wirklich komplexen Themen kümmern. Knime-­CEO Berthold sieht das ähnlich: Dass Low Code den Fachkräftemangel lindere, „das sehen wir auch bei Kunden“, sagt er.

Außerdem können Marketingteams bestehende Lösungen selbstständig für andere Cases erweitern. So nehmen Consumer Insights erst richtig Fahrt auf. Beim Ausbau solcher Funktionen sieht Berthold jedenfalls kein Ende. „Es wird nie das perfekte Set-up geben. Das wird sich immer weiterentwickeln.“

(js, Jahrgang 2001) ist seit Juli 2023 freier Autor der absatzwirtschaft. Er ist fasziniert von neuen Technologien und der Frage, warum Konsumenten das tun, was sie tun. Außerdem ist er ein wahrer Espresso-Enthusiast.