Lokale Marktplätze: Raketen oder Rohrkrepierer?

„Always on – always available“ Verbraucher haben sich daran gewöhnt, dass Angebote rund um die Uhr online verfügbar sind und wissen gleichzeitig die persönliche Beratung als größten Vorteil des stationären Handels zu schätzen. Die Digitalisierung des Konsums zwingt Einzelhändler, sich mit ihrer digitalen Strategie auseinanderzusetzen. Städte und Kommunen haben jetzt die Chance in lokale Marktplätze und Apps zu investieren. Doch treffen die lokalen Initiativen den Nerv des Kunden?
Der deutsche Einzelhandel bleibt auf Wachstumskurs. (© dpa)

Von Gastautor Carsten Puschmann, Co-Founder Q.One Technologies GmbH

Der Handelsverband Deutschland (HDE) rechnet damit, dass zwischen 2015 und 2020 rund 50.000 Läden und Filialen vom Markt verschwinden werden. Um diesen Prozess aufzuhalten, entwickeln Städte, Kommunen und regionale Verbände in den vergangenen Jahren fast schon panikartig Apps sowie lokale und überregionale Online-Marktplätze als Alternativen zu Massen-Plattformen wie Amazon oder Ebay. Laut Competence Center E-Commerce (CCEC) gab es 2016 allein in Nordrhein-Westfalen über 200 solcher Plattformen. Die Palette reicht von einfachen Händlerverzeichnissen bis hin zu aufwendigen Transaktionsplattformen. Diese Lösungsansätze sind Hoffnungsträger und Überforderung zugleich, denn das Angebot ist ebenso vielfältig wie unübersichtlich. Bei einer Befragung für eine Studie der Hochschule Koblenz gaben zudem die meisten der befragten Händler an, dass ihre Beteiligung an den Online-Marktplätzen weder zu höheren Besucherzahlen noch zu mehr Einkäufen im Laden geführt habe. Auch die Zahl der Online-Verkäufe fiel nicht signifikant höher aus. Sie würden Händlern in vergleichbarer Situation eine Teilnahme nicht empfehlen.

Local Commerce – doch kein Rettungsanker für den Einzelhandel?

Wer sich die lokalen Initiativen näher anschaut, erkennt schnell, dass der Fehler im System liegt. Der Paketdienst DHL zum Beispiel startete Ende 2017 mit „AllyouneedCity – Lokal einkaufen“ seinen Online-Marktplatz für Bonner Einzelhändler. 90 Händler registrierten sich zum Start. DHL setzt auf seine Kompetenz in der Logistik und verknüpft diese mit den Vorteilen einer Shoppingplattform. So weit so gut. Doch wer heute auf „allyouneed.de“ nach Bekleidung sucht, erhält unter dem Stichwort „Hose“ ganze sieben Angebote. Alle Produkte wurden zudem von demselben Händler eingestellt. Das Preissegment ist mit 119,00 EUR für den ersten Treffer als hoch anzusehen. Wer dann tapfer weiter nach „Jeans“ sucht, erhält zehn weitere Treffer: das dritte Angebot ist ein Paar Socken, das Vierte ein Gürtel.

Dieses Experiment bestätigt sich auf weiteren lokalen Marktplätzen. Fakt ist: Lokale Einzelhändler können sich nicht mit Giganten wie Amazon oder ebay messen. Sie verfügen weder über das Warensortiment noch können sie bei der Preisgestaltung mithalten. Wenn lokale Online Markplätze als Adaptionen gigantischer und weltweit erfolgreicher Shoppingplattformen konzipiert werden, können sie im Wettstreit um den Kunden nur verlieren.

Customer Centricity im Local Commerce

Auffällig ist: Die Mehrzahl der Local Commerce Initiativen hat den Kunden und seine Bedürfnisse nicht in den Mittelpunkt ihres Konzepts gestellt. Damit lassen sie ihre einmaligen USPs ungenutzt und spielen Big Playern wie Amazon in die Hände. Amazons Mission ist eindeutig: Der Marktplatz strebt danach, weltweit das kundenorientierteste Unternehmen zu sein, bei dem Verbraucher alles finden und entdecken können, was man online kaufen kann, und bemüht sich, seinen Kunden günstige Preise zu bieten. Und das mit Erfolg. 51 Milliarden Euro Umsatz machte das Unternehmen im ersten Quartal mit allen Sparten. Viele Kritiker sehen in Amazon daher den Verursacher für das Ausbluten der Innenstädte. An die Bedeutungslosigkeit des stationären Handels scheint Amazon aber selbst nicht zu glauben, denn Anfang 2018 hat der Online-Riese in Seattle den ersten Supermarkt ohne Kassen eröffnet. In der Amazon Go-Filiale legen die Kunden ihre Ware direkt in die eigene Einkaufstasche. Abgerechnet wird später über das Amazon-Kundenkonto. Bereits seit 2015 eröffnet Amazon in den USA Buchläden und steuert die Auswahl des Sortiments weitestgehend über Big Data. Die Filialen bieten zwar Produkte zum Anfassen und sofortigem Mitnehmen, auf eine persönliche Beratung müssen Kunden dabei aber verzichten. In den Regalen stehen ausschließlich Bücher mit einer Online-Bewertung von mindestens vier von fünf Sternen. Für die Auswahl des Angebots nutzt Amazon zusätzlich Daten, die über den E-Reader Kindle erfasst werden. So enthält die Kategorie „Page Turner“ Bücher, welche die Leser in weniger als drei Tagen verschlungen haben.

Das brauchen Lokale Marktplätze, um erfolgreich zu sein

Der Local Commerce hat eine große Chance. Experten sagen voraus, dass die Grenzen zwischen der Online- und Offline-Welt ohnehin immer weiter verschwinden werden.

1. Trennung im Kopf aufheben

Die Zukunft ist nicht mehr der eCommerce. Die Zukunft ist der „Commerce in einer digitalisierten Welt“ mit Kunden, die die Vorteile aus beiden Welten nutzen wollen. Das Konzept der lokalen Marktplätze sollte die Kernkompetenzen des ortsansässigen Handels betonen und die Verbindung zwischen online und offline forcieren. So wird der Rettungsanker für den Einzelhandel zum Sprungtuch für den Kunden.

2. Servicepower betonen

Händler können Kunden online ansprechen und die persönliche Beratung sowie Serviceorientierung im stationären Handel fortführen. Denn Kunden schätzen am stationären Handel vor allem, die Produkte vor Ort in die Hand nehmen und direkt kaufen zu können. Umsetzungsmodelle für etablierte Modehäuser können beispielsweise sein, die gewünschte Hose vor Ort kostenfrei abzustecken und zu kürzen. Kunden, die einmal vor Ort eine perfekt angepasste Hose gekauft haben, bestellen diese zukünftig direkt online. Alle Daten lassen sich für den Einzelhändler im System speichern. So berät er einmalig intensiv und hat einen Kunden fürs Leben gewonnen. Alternativ können Händler ihre Kunden mit besonderen Rabattaktionen, Modeschauen und Typberatungen zurück ins Geschäft holen.

3. Den Kunden in den Mittelpunkt stellen

Die lokalen Marktplätze sollten den Verbraucher ganzheitlich betrachten. Welche Restaurants besucht meine Zielgruppe? Wie verbringt sie ihre sonstige Freizeit? Lokale Initiativen sollten darauf abgestellt signifikante Mehrwerte bieten. Einen Friseurtermin buchen, den Lieblingstisch im Restaurant reservieren, die Parkplatzsituation in der City checken – all das ließe sich über die Portale abwickeln.

4. Ein Support-Team zusammenstellen

Einzelhändler benötigen kompetente kundenorientierte Unterstützer, die ihnen die eigenen Stärken bewusst machen und ihnen zeigen, wie sie diese online transparent machen können. Die Städte und Kommunen wiederum benötigen ein cleveres Netzwerk aus technischen Dienstleistern und lokalen Reichweitenpartnern, die sie darin unterstützen, eine relevante Reichweite für ihre Initiative aufzubauen.

Zum Autor: Carsten Puschmann ist Co-Founder der Q.One Technologies. Sein IT-Unternehmen entwickelt seit mehr als zehn Jahren erfolgreich digitale Plattformen und Netzwerken. Zu den Q.One Kunden gehören Konzerne wie die Deutsche Bahn, Hubert Burda, Miles&More und PAYBACK. Das Kernprodukt der Q.One Technologies ist der CloudBasket, ein universaler Warenkorb, der es ermöglicht mit einem Account und Login in verschiedenen Onlineshops einzukaufen. Dafür konnte das Q.One Team kürzlich den ehemaligen Adesso-Gründer Michael Hochgürtel als Business Angle gewinnen.