KPMG-Studie: Das Marketing vernachlässigt die Kunden

Ob Industrie 4.0, KI oder Blockchain - Unternehmen nutzen die Digitalisierung in vielen Bereichen zur Steigerung von Effizienz und Effektivität. Für die Unternehmensfunktionen Marketing und Vertrieb gibt es laut einer Studie von KPMG und der Hochschule Esslingen allerdings noch Nachholbedarf.
Empfehlung der Fachleute: Unternehmen sollten den Kunden in den Mittelpunkt stellen und Prozesse durch seine Brille beurteilen. (© Giu Vicente / Unsplash)

Die Studie „Digitalisierungsindex in Marketing und Vertrieb“ des Beratungsunternehmens KPMG in Zusammenarbeit mit der Hochschule Esslingen stellt dem Marketing in Unternehmen ein schlechtes Zeugnis aus: Den Studienmachern zufolge sei im Rahmen vielfältiger Digitalisierungsinitiativen ein Flickenteppich entstanden und die Kundensicht vielfach vernachlässigt worden. „Eine durchgängige positive Customer Experience über analoge und digitale Schnittstellen hinweg ist somit die absolute Ausnahme. Damit verpassen viele Unternehmen die Chance, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und ihre Marktposition zu stärken“, heißt es im Fazit der am Mittwoch vorgestellten Untersuchung.

Mögliche Ursachen dieses Flickenteppichs sehen die Autoren in der gestiegenen technischen Komplexität, einer fehlenden Zusammenarbeit verschiedener Unternehmensfunktionen sowie mangelnder Zielsetzung und Erfolgsmessung digitaler Maßnahmen. Die Studie zeigt auch, dass deutsche Familienunternehmen zwar zaghafter, aber dafür konsequenter digitalisieren als mehrheitlich kapitalmarktorientierte Unternehmen (Corporates). Letztere würden häufiger Projekte beginnen, sie dann aber nicht immer richtig zu Ende führen – das wirkt sich negativ auf das Kundenerlebnis aus.

Engagement bei Familienunternehmen gefragt

Familienunternehmen profitieren dagegen von kurzen Entscheidungswegen – oft fehle es ihnen allerdings an den nötigen Ressourcen für Digitalisierungsprojekte. „Die deutschen Familienunternehmen bringen hierzu eigentlich aufgrund ihrer Wendigkeit die besten Voraussetzungen mit, um Wettbewerbsvorteile zu nutzen. Sie müssen sich jedoch stärker engagieren“, sagt Rainer Elste, Forschungsleiter und Professor an der Hochschule Esslingen für Marketing und Vertrieb.

Für die Studie wurden 136 deutsche Entscheider aus Marketing und Vertrieb unterschiedlicher Industrien und 25 Einkaufsmanager sowie weitere 15 Gesellschafter von Familienunternehmen in Tiefeninterviews befragt. Aus den Ergebnissen wurde ein Index-Wert ermittelt, der Aufschluss über den aktuellen Status Quo der Digitalisierung in Marketing und Vertrieb geben.

Das sind die Kernergebnisse und die Bewertung der Studienmacher:

  • Digitalisierungsindex-Wert: Insgesamt erreichen deutsche Unternehmen auf einer Skala von 0 Prozent („nicht digitalisiert“) bis 100 Prozent („vollständig digitalisiert“) einen Digitalisierungsindex-Wert in Marketing und Vertrieb von 49 Prozent. Die Hälfte des Weges zu einer durchgängigen und wertschöpfenden Digitalisierung ist damit erreicht. Allerdings ist der zweite Teil des Weges der Schwierigere, denn nun geht es vor allem um Prozessintegration für ein nahtloses Kundenerlebnis und um komplexere Technologien wie künstliche Intelligenz (KI).
  • Häufig fehlende Zielsetzung und Erfolgsmessung: Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen hat eine klare Vorstellung, welche kurz, mittel und langfristigen Unternehmensziele mit der Digitalisierung in Marketing und Vertrieb erreicht werden sollen. Nur 16 Prozent der Unternehmen messen den Erfolg konsequent hinsichtlich der avisierten Zielerreichung.
  • Fokus auf Umsatzsteigerung: Die Digitalisierung wird eher für die Umsatz- als für die Effizienzsteigerung eingesetzt – gerade hierfür prädestinierte Kundenprozesse sind noch hochgradig analog.
  • Customer Journey leidet: Nur fünf Prozent der Entscheider sind der Meinung, dass Kunden ein durchgängiges Erlebnis entlang der Kundenreise wahrnehmen. Die Realität ist ein digitaler Flickenteppich mit starken Medienbrüchen.
  • Vermeintlich wenig Gefahr durch digitale Wettbewerber: Nur acht Prozent der Verantwortlichen für Marketing und Vertrieb sehen sich durch digitale Geschäftsmodelle von Wettbewerbern bedroht.
  • Familienunternehmer weniger digitalisiert als Corporates, aber umsetzungsstark: Familienunternehmen zeigen einen geringeren Digitalisierungsgrad in Marketing und Vertrieb als Corporates, sind aber konsequenter bei der Umsetzung von Initiativen.
  • Analoge Instrumente mit hoher Relevanz: Der persönliche Verkauf ist heute noch deutlich wichtiger als von den Studienautoren erwartet, neue Instrumente und Technologien, etwa Virtual Reality, sind noch nicht im Tagesgeschäft angekommen. In Zukunft wird eine steigende Relevanz von Big Data und KI für Unternehmen aber erwartet.

„In Zeiten immer kürzerer Innovationszyklen und angesichts einer steigenden Geschwindigkeit gesellschaftlichen Wandels sollten Unternehmen den Kunden in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen und Prozesse durch seine Brille beurteilen“, fordert Markus Deutsch, Director im Bereich Consulting bei KPMG. Dadurch werde ein besseres Verständnis für die Präferenzen und das Verhalten der Kunden sichergestellt. „Mit dieser Vorgehensweise lässt sich feststellen, wie reibungslos analoge und digitale Kontaktpunkte ineinandergreifen und wie es sich anfühlt, Kunde zu sein.“

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Er hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.