Konkurrenz für Amazon? Alibaba baut Präsenz in Europa aus

Der chinesische E-Commerce-Gigant eröffnet ein großes Logistikzentrum in Lüttich. Damit nimmt die lang erwartete Expansion in Europa Gestalt an.
Alibaba-Zentrale in Hangzhou: Der Konzern wächst mit atemberaubender Geschwindigkeit

„Wir haben bereits angefangen“, sagt Terry von Bibra, Alibabas Europachef, gegenüber der belgischen Zeitung L’Echo. Das neue Fulfillment-Center im Lüttich wird von Alibabas Logistiktochter Cainiao errichtet und soll rund 380.000 Quadratmeter groß sein. Es ist das fünfte nach Hongkong, Dubai, Kuala Lumpur und Moskau. E-Commerce-Lieferungen aus China werden per Flugzeug an diese sogenannten „Hubs“ transportiert und von dort in die umliegenden Länder weiterverteilt. Im Gegenzug werden von dort Waren nach China geliefert. In Deutschland bestehen bislang zwei Logistikstandorte in der Nähe des Frankfurter Flughafens und in Grolsheim bei Bingen. Die ersten Flieger aus China sollen laut von Bibra bereits vor einigen Tagen in Lüttich eingetroffen sein.

Alibaba gab dem belgischen Standort den Zuschlag, nachdem sich auch die Niederlande darum beworben hatten. Aber was nicht ist, kann noch kommen: Wie von Bibra erklärt, wird „die Ausweitung von Alibaba in Europa dort nicht enden“. Je nach Erfolg könnten in den nächsten Jahren ein bis zwei weitere Logistikzentren dieser Art entstehen. Experten erwarten schon lange, dass Alibaba ein europaweites Logistiknetz knüpfen und damit sein Geschäft unterstützen will.

Deutsche Kunden suchen bei AliExpress vor allem Schnäppchen

Alibaba hat erst vor vier Tagen aufmerksamkeitsstark die Muskeln spielen lassen: Am Singles Day, dem weltweiten Shopping-Event mit Ursprung in China, wurden über die verschiedenen Plattformen Waren im Wert von über 30 Milliarden US-Dollar verkauft, 27 Prozent mehr als im Vorjahr.

Experten gehen davon aus, dass Alibaba langfristig der einzige Anbieter sein könnte, der dem übermächtigen Amazon die Stirn bieten kann. Zwar hat Alibaba im vergangenen Geschäftsjahr, das im März 2018 endete, „nur“ 39,9 Milliarden Dollar Umsatz gemacht (Amazon 2017: 178 Milliarden US-Dollar). Aber gemessen am Bruttowarenvolumen, das über die Plattform gehandelt wird, ist die Gruppe bereits das größte Handelsunternehmen weltweit. Zum Konzern, der 1999 vom ehemaligen Englischlehrer Jack Ma gegründet wurde, gehören unter anderem die B2B-Plattform Alibaba.com, der B2C-Handelsplatz AliExpress, das Online-Auktionshaus Taobao und das Online-Bezahlsystem Alipay. Insgesamt zählt Alibaba über eine halbe Milliarde Kunden.

Handelskrieg mit den USA macht den Chinesen zu schaffen

Bislang teilen sich die beiden Giganten den Weltmarkt auf: Amazon beherrscht Nordamerika und Europa, Alibaba den ostasiatischen Raum. Umkämpft ist Indien: Amazon liegt vorn, aber seit Markteintritt 2015 holt Alibaba hier auf. Am Aktienmarkt musste Alibaba Verluste von bis zu 25 Prozent gegenüber Vorjahr hinnehmen, weil der Konzern stark unter dem Handelskrieg Chinas mit den USA zu leiden hatte.

Auch in Deutschland ist Alibaba schon längst angekommen. AliExpress gehört laut Analyse-Unternehmen Similarweb zu den meistgenutzten Shopping-Apps in Deutschland und ist besonders bei jugendlichen Schnäppchenjägern beliebt. Chinesische Touristen können in Deutschland mit Alipay bezahlen, unter anderem seit 2017 in den Filialen von Rossmann und neuerdings in verschiedenen Käufhäusern der KaDeWe-Gruppe. Und hiesige Unternehmen wie Aldi, Lidl, DM und Bosch verkaufen über den ebenfalls zu Alibaba gehörenden Marktplatz Tmall.

Kommt mit der Ausweitung der Logistikkapazitäten jetzt auch der Großangriff auf den deutschen Markt? Dazu ist es wohl noch zu früh. Gerüchten über eine großangelegte Offensive hat Deutschlandchef Karl Wehner Ende September gegenüber dem Manager Magazin eine Absage erteilt: „Die Nachfrage in China ist so groß, dass wir mit unseren Ressourcen natürlich auch haushalten müssen – und Prioritäten setzen, in welche Märkte wir gehen.“

 

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.