Komplexe Themen in aller Kürze: Kann Tiktok wirklich B2B?

Alpla will sich mit seinen Kunststoffverpackungslösungen als nachhaltiges Unternehmen präsentieren und geht dabei neue Wege in der B2B-Kommunikation: Es setzt auf Tiktok. Doch wie effektiv ist B2B auf der Kurzvideo-Plattform, wenn es um komplexe Themen wie Nachhaltigkeit geht?
Alpla-CEO Philipp Lehner ist selbst Hauptdarsteller der neuen B2B-Kampagne auf Tiktok. (© Alpla)

Tiktok wird mit seiner rasch wachsenden Zahl aktiver Nutzer*innen für B2C-Werbetreibende immer interessanter. Wegen seiner vornehmlich jungen Zielgruppe und seinem wankelmütigen Algorithmus zeigen sich B2B-Marketer jedoch noch zurückhaltend, die Plattform zu nutzen, zumal es hier nicht selten um komplexe Sachverhalte geht. Zahlen von Statista zufolge setzten bis Beginn des Jahres 2022 lediglich 15 Prozent von B2B-Marketern auf Tiktok, während es auf Twitter 49 Prozent und auf LinkedIn oder Facebook sogar mehr als 80 Prozent waren.

Dennoch wagen sich einige Unternehmen in diese noch neuen Marketing-Gefilde vor. Aktuelles Beispiel ist das österreichische Unternehmen Alpla, das in Zusammenarbeit mit der Agentur Towa eine solche Kampagne gestartet hat.

Generationswechsel in der Führungsetage

Der Hersteller von Verpackungslösungen aus Kunststoff steht vor einer großen Herausforderung. In einer Zeit, in der das Thema Nachhaltigkeit zum Pflichtbestandteil von Marketingkampagnen geworden ist, muss er seine Geschäftskund*innen davon überzeugen, weiterhin auf das in Verruf geratene Plastik zu setzen. Dass sich das Unternehmen hierfür ausgerechnet Tiktok ausgesucht hat, scheint auf den ersten Blick verwunderlich.

Alpla setzt seit einem Generationswechsel in der Führungsetage auf Social Media bei seiner Kommunikation und verfolgt dabei eigenen Angaben zufolge insbesondere das Ziel „dem schlechten Image von Kunststoff mit Fakten entgegenzutreten“. Von Kunststoffverpackungen profitieren nicht nur die Endkund*innen, sondern am Ende gar die Umwelt, lautet die Botschaft von Alpla auf Tiktok, überschrieben mit dem knackigen Hashtag „plasticisfantastic“.

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Tiktok setze Maßstäbe im B2B-Markt, wie Alpla weiter erklärt. Neben einer hohen Reichweite würde die Plattform auch jede Menge Mechaniken bieten, eine Community aufzubauen und mit den User*innen zu interagieren.

Als Gallionsfigur der Kampagne fungiert CEO Philipp Lehner selbst, der sich vieler dieser Mechaniken bedient und die Nutzer*innen interaktiv einbindet, während er in kurzen, unterhaltsamen Videos – kaum ein Clip dauert länger als eine Minute – Fun Facts über Themen wie Recycling, Verpackungen und umwelttechnische Vorzüge von und mit Plastik vorstellt.

Taugt Tiktok für tiefschürfende Themen?

Ein Thema, über das wissenschaftliche Abhandlungen verfasst werden, herunterdestilliert auf einminütige Videos – ist Tiktok wirklich das richtige Medium dafür?

Kommunikationswissenschaftlerin Brigitte Huber von der IU Internationalen Hochschule in München erklärt: „Ja, Tiktok ist definitiv geeignet, um auch komplexe Themen zu behandeln. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es besonders gut geeignet ist.“

Im Gegensatz zu anderen Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Instagram, wo es vordergründig um den Austausch mit Kontakten und Freunden ginge, würde bei Tiktok die Interaktion mit dem Content im Mittelpunkt stehen. „Tiktok zeichnet sich durch den sogenannten ‚memetischen‘ Stil aus. Kreative Inhalte werden verbreitet, aufgegriffen, verändert und das oft auf eine humoristische oder auch sarkastische Art und Weise. Es wird gerne mit Content von anderen experimentiert, was durch spezielle Funktionen wie ‚Duet‘ oder ‚Stitch‘ begünstigt wird“, erklärt Huber und bezieht sich dabei auf Tiktok-Videos, bei denen im geteilten Bildschirm unmittelbar auf den Clip anderer Nutzer*innen reagiert werden kann oder Schnipsel anderer Videos in das eigene eingebaut werden.

Brigitte Huber ist Professorin für Marketing an der IU Internationalen Hochschule in München. ©Barbara Sautter

Die Tiktok-typische Kürze sieht Huber demnach nicht zwingend als Nachteil. „Wenn jemand etwas verkürzt zu einem komplexen Thema Stellung bezieht beziehungsweise eine hochkomplexe Fragestellung sehr vereinfacht oder einseitig darstellt, ist es durch die oben beschriebenen Charakteristika nicht unwahrscheinlich, dass jemand inhaltlich darauf reagiert und dem mit Hilfe der Duet-Funktion widerspricht oder etwas ergänzt.“

Dadurch könne kritischer mit den Inhalten umgegangen werden, als es durch eine reine Kommentarfunktion möglich ist. Huber führt noch einen weiteren Vorteil an: „Tiktok eignet sich auch deshalb gut, um komplexe Themen zu erklären, weil es durch den ‚Green-Screen‘-Effekt ermöglicht wird, Tabellen, Grafiken und so weiter einzublenden.“ In einer eigenen Studie habe sie einige Beispiele gefunden, bei denen Eco Influencer den Green-Screen-Effekt genutzt haben, um Fachzeitschriftenartikel einzublenden, auf die sie sich bei ihren Erklärungen bezogen haben oder auch, um ihre Argumente wissenschaftlich zu untermauern.

Greenwashing-Gefahr

Solche wissenschaftlich fundierten Belege fehlen bei Alpla auf Tiktok bislang, obwohl sie bei vielen Themen wie der Argumentation für Lebensmittelverpackungen aus Plastik wider der Lebensmittelverschwendung vorhanden wären. In anderen Bereichen wie der Verschmutzung der Meere folgt rasch ein Fingerzeig auf andere Industrien wie der Fischerei. Statistiken wie die des WWF, dass drei Viertel des Mülls im Meer aus Plastik bestehen, würden sich hier wohl nicht gut machen.

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Alpla geht es freilich nicht um reine Aufklärung, sondern um Eigenwerbung. B2B lautet hier das Ziel, doch angesprochen scheint hier die gesamte Bevölkerung inmitten eines steten Nachhaltigkeitsdiskurses.

Greenwashing ist das Stichwort, das sich hierbei aufdrängt. Hier könnte sich Alpla-CEO als Botschafter seines Unternehmens als Nachteil erweisen. „Was manche Unternehmen schon machen ist, dass sie auf Influencer*innen setzen, um CSR-Botschaften zu verbreiten. So haben Studien beispielsweise gezeigt, dass Influencer*innen es teils besser schaffen, Likes, Kommentare und Verständnis zu erzeugen als Unternehmen selbst“, erläutert Brigitte Huber. Als ein aktuelles Beispiel für Greenwashing-Vorwürfe nennt sie Cola-Cola: Der Konzern geriet jüngst ins Kreuzfeuer der Kritik, als er bei der UN-Klimakonferenz als einer der Hauptsponsoren agierte, obwohl er im neuesten Brand-Audit-Bericht der Initiative „Break Free From Plastic“ wieder zum größten Plastikverschmutzer der Welt gekürt wurde.

Authentizität ist jedoch auch in Sachen Influencer Marketing wichtig: „Entsprechend ist zu erwarten, dass Unternehmen bei Nachhaltigkeitsthemen verstärkt auf Influencer*innen setzen. Wichtig ist hier nur, dass Influencer-Typ und Botschaft auch wirklich kongruent sind. User*innen merken schnell, wenn das nicht zusammenpasst“, ergänzt Huber.

Wie irreführend sind kurze Tiktoks?

Eine andere Frage sollte Huber zufolge nicht unterschätzt werden: Wie leicht können kurze Fun-Fact-Clips, wie sie auf Tiktok üblich sind und auch Alpla sie präsentiert, die sehr junge Zielgruppe der Social-Media-Plattform beeinflussen?

Die Nutzer*innen von Tiktok sind zu 52,8 Prozent zwischen 18 und 24 Jahre alt, wie Zahlen von Statista zeigen. „Bei der eher jungen und urbanen Zielgruppe sind sicher einige dabei, die Nachhaltigkeit leben, und entsprechend darf eine stylishe Nachfüll-Trinkflasche nicht fehlen. Diese Nutzergruppen werden Botschaften zu Plastikflaschen, die als nachhaltig präsentiert werden, entsprechend kritisch hinterfragen und kommentieren“, bemerkt Huber. „Bei Alpla zeigen sich auch solche kritischen Kommentare. Da kommt es dann darauf an, wie das Unternehmen reagiert.“

Alpla-Chef Lehner reagiert auf kritische Fragen bei Tiktok. ©Screenshot Tiktok

Zielgruppe bleiben vorerst Endkund*innen und Belegschaft

Derartige Interaktionen scheinen bislang vornehmlich mit Endkund*innen stattzufinden, und Alpla betont selbst, dass sich die Tiktok-Kampagne nicht nur an Stakeholder und Kund*innen richtet, sondern auch die eigene Belegschaft sowie potenzielle neue Mitarbeitende. „Wir glauben an Kunststoff. Zu Kunststoff gibt es mit dem momentanen Lebensstandard keine Alternative. Plastik ist dennoch in Verruf. Mir ist wichtig, der öffentlichen Debatte eine zweite Sichtweise hinzuzufügen und sie um den Blickwinkel Kunststoff und seine Vorteile zu erweitern. Ich bin sicher, Tiktok ist dafür der richtige Kanal“, erklärt Philipp Lehner.

Damit bleibt die Frage: Kann Tiktok B2B? „Das wird sich noch zeigen“, sagt Brigitte Huber. „Derzeit ist noch LinkedIn die klassische Plattform, die hierfür genutzt wird. Aber es gibt erste Versuche, wie so etwas auf Tiktok funktionieren kann – indem ich etwa humoristische Einblicke in das Unternehmen gewähre und mich als spannenden Arbeitgeber zeige.“

Ein Beispiel sei Siemens Austria, die bereits mit Influencer*innen experimentieren und als B2B-Unternehmen auf Employer Branding setzen.

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Die Rolle von Social Media im gesellschaftlichen Diskurs

Jenseits des Recruiting- und Employer-Branding-Themas scheint sich Tiktok als B2B-Plattform noch auszuprobieren – und nach wie vor End- statt Geschäftskund*innen zu erreichen. Um komplexe Materien wie die Rolle des Kunststoffs in einer nachhaltigen Welt zu diskutieren, eignet sich die Plattform nach Expertenmeinung durchaus.

Hierbei könnte Social Media künftig eine noch größere Rolle spielen, was Huber mit einem Forschungsteam an der IU aktuell untersucht. „Personen informieren sich ja insgesamt zunehmend via Social Media über aktuelle Themen, und das trifft entsprechend auch für Nachhaltigkeitsthemen zu. Hier interessiert uns beispielsweise die Rolle von Influencer*innen. Dabei können wir auf Studien von anderen Forscherteams aufbauen, die gezeigt haben, dass Personen, die sogenannten ‚Greenfluencern‘ folgen, stärkere Intention zeigen, auch selbst nachhaltig zu handeln. Hier stellt sich die Frage, wen man erreicht – also ob ich hier nur Personen, die sich ohnehin bereits sehr für eine nachhaltige Lebensweise interessieren, ansprechen und mobilisieren kann oder auch solche, die noch nicht so dabei oder überzeugt sind.“