Klima-Professor: „Marketing spielt eine ganz wichtige Rolle“

Professor Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, spricht im Interview über spannende Absatzmärkte durch den “Green Deal” der EU und die Gefahr, dass Unternehmen den Zeitpunkt zur Neupositionierung verpassen.
Fischedick
"Marketing spielt eine ganz wichtige Rolle, um Nachhaltigkeit und Qualität von Produkten herauszustellen", sagt Manfred Fischedick. (© Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft/Armin Huber)

Herr Professor Fischedick, der Grüne Deal bedeutet nichts weniger als den ökologischen Umbau einer ganzen Volkswirtschaft. Kann das ehrgeizige Vorhaben gelingen?

PROF. MANFRED FISCHEDICK: Ich glaube, dass es zu packen ist. Wir haben gar keine Alternative. Es sei denn, wir wollten uns auf ein Szenario einlassen mit einem Temperaturunterschied von drei bis vier Grad Celsius – ein Unterschied wie der zwischen unserer Gegenwart und der letzten Eiszeit. Richtig ist: Es geht darum, das gesamte Wirtschaftssystem massiv zu verändern. Das ist kein Selbstläufer.

Nachhaltigkeit war für die Wirtschaft auch bisher schon ein Thema. Was ändert sich durch den Green Deal?

Neu ist die ganzheitliche Strategie: Der Green Deal umfasst Klimaschutz, aber auch nachhaltige Industrie, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität. Damit sind klare Ziele verbunden, etwa Treibhausgasneutralität bis 2050. Dazu soll noch in diesem Jahr ein europäisches Klimaschutzgesetz verabschiedet werden. Neu ist auch der Versuch, nachhaltige Investitionen besser zu definieren. Auch die Banken werden künftig darauf schauen, wenn sie Kredite vergeben. Die wenigsten Unternehmen haben das auf dem Schirm.

Die Unternehmen müssen zurzeit die Coronakrise bewältigen. Ist es da richtig, ihnen auch noch einen ökologischen Umbau aufzubürden?

Ich verstehe, dass für viele in der Pandemie andere Themen im Vordergrund stehen. Trotzdem müssen sie sich genau jetzt darüber Gedanken machen, wie sie sich künftig positionieren wollen. Es geht ja nicht nur um Anforderungen, sondern auch um Chancen, um neue Märkte.

Zum Beispiel?

Alle Produkte und Prozesse müssen einen Beitrag leisten, damit Europa treibhausgasneutral werden kann. Das fängt an beim Design: Wie kann ich Produkte entwickeln, die mit weniger Materialien die gleiche Leistung bieten und wiederverwendbar sind? Das ist ein riesiges Potenzial für künftige Märkte, auch im Bereich Digitalisierung. Kreislaufwirtschaft kann es nur geben, wenn man die Stoffströme besser kennt. Besonders wichtig ist der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien. Ohne sie wird man keine grüne Wasserstoffwirtschaft aufbauen können. All das, was man braucht, um erneuerbare Energien in den Markt zu bringen, ist eine Option – von Speichertechnologien bis zu digitalen Lösungen, die helfen, die Nachfrage zu flexibilisieren. Bei der Mobilität werden mit dem Verbrennungsmotor zwar große Märkte wegbrechen, aber durch die Elektromobilität neue entstehen.

Innovative Technologien sind in vielen Bereichen wichtig, sei es zur Erzeugung grünen Wasserstoffs, sauberen Zements oder von Laborfleisch. Wie weit ist die Übersetzung in die Praxis?

Teilweise sind die Technologien schon im Einsatz, andere gibt es in Pilotanlagen, oder sie sind zumindest im Labor so weit entwickelt, dass sie in den nächsten Jahren anwendungsreif werden. Das ist erst mal gut. Das Problem ist, dass wir uns schwertun, das „Valley of Death“ zu überwinden, dass also aus guten technologischen Ideen in der Breite angewandte Produkte werden. Da sind andere Länder wie die USA und China viel schneller. Deutschland ist ein Land voller Bürokratie, Zweifel und Akzeptanzschwierigkeiten. Selbst zur Errichtung eines Windparks braucht man sechs bis acht Jahre, und das ist eine vergleichsweise einfache Technologie. Auch da müssen wir schneller werden.

Bis sich neue Technologien durchsetzen vergehen Jahre.

Das stimmt. Allerdings stehen in diesem Jahrzehnt ohnehin große Reinvestitionen an: etwa 50 Prozent der Stahlwerke, die gleiche Größenordnung in der Chemie, nicht ganz so viel im Zementbereich. Da muss man gucken, dass die Investitionen – wir reden über Milliarden – in die richtige Richtung gehen. Für eine Übergangszeit braucht es Instrumente, damit sich diese ersten Anlagen, zum Beispiel zur wasserstoffbasierten Stahlerzeugung, im Wettbewerb behaupten können. Etwa durch Verträge zwischen Anlagenbetreibern und Staat, in denen das eingesparte CO2 mit einem Preis versehen wird und die Differenzkosten für einen bestimmten Zeitraum ausgeglichen werden. Solche Instrumente sind auf Bundes- und EU-Ebene in der Diskussion. Parallel kann der Staat mittels Standards grüne Produktmärkte initiieren. Etwa indem Behörden für ihre Autoflotten einen Anteil grünen Stahls vorschreiben.

Welchen Beitrag kann – oder muss – Marketing leisten?

Künftig wird es auch darauf ankommen, dass Konsumenten recycelte und langlebige Produkte nutzen. Das kommt nicht aus dem Nichts, dafür muss man werben. Marketing spielt eine ganz wichtige Rolle, um Nachhaltigkeit und Qualität von Produkten herauszustellen und Innovationen Akzeptanz zu verschaffen. Es braucht ja immer beide: diejenigen, die es herstellen, und diejenigen, die es nutzen.

Haben wir genug Fachkräfte, die etwas von Nachhaltigkeit verstehen?

Nein, haben wir nicht. Der Bereich hat sich erst in den letzten Jahren als Zukunftsfeld herausgemendelt, die Ausbildung hinkt hinterher. Auf der einen Seite sind es die aufs Marketing bezogenen Aktivitäten, die zu wenig gelehrt werden, auf der anderen Seite gibt es auch zu wenig Verständnis dafür, wie Transformationsprozesse funktionieren. Unternehmen brauchen Mitarbeiter, die wissen, mit welchen innovativen Produkten man Systemveränderungen beeinflussen und beschleunigen kann.

Insgesamt ist der Green Deal anspruchsvoll und komplex. Mancher Unternehmer mag hoffen, dass das Projekt einfach wieder begraben wird.

Diejenigen, die jetzt den Kopf in den Sand stecken, werden Schwierigkeiten haben, ihn jemals wieder herauszuziehen. Weltweit ist die Entscheidung gefallen; Europa, China, Japan, Südkorea, Kanada und neuerdings auch wieder die USA haben sich Ziele für Treibhausneu­tralität gesetzt. Wenn Unternehmen nicht wissen, wie sie ihre Kompetenz neu einsetzen wollen, werden sie es künftig schwer haben, Absatzmärkte zu finden.

Gibt es Unternehmen, die Sie als besonders progressiv wahrnehmen?
Interessanterweise einige, die man bei dem Thema gar nicht so im Kopf hat, ­etwa aus der klassischen Stahlindustrie. Unternehmen wie Salzgitter oder Thyssenkrupp zeigen sich sehr offen gegenüber wasserstoffbasierten Technologien, inklusive mutiger Überlegungen, Standorte zu verändern. Das imponiert mir. Oder Unternehmen wie Bosch mit dem Ziel, in der Nettobilanz treibhausgasneutral zu werden. Das hat Vorreiterpotenzial.

Skeptiker sagen: 2050 werden wir auf dem Papier lauter klimaneutrale Unternehmen haben und trotzdem so viel CO2 rausblasen wie heute.

Das glaube ich schon deshalb nicht, weil Klimaveränderungen zu massiven Schäden führen. In China ist ein Drittel der Bevölkerung abhängig vom Wassergleichgewicht des Himalaja, 400 Millionen Menschen. Oder denken Sie an die Feuer in Kalifornien. Deshalb muss 2050 global die Nettonull stehen. Und dann gibt es eben keine Kompensation mehr.

Dieses Interview ist Teil der Titelgeschichte „Der grüne Hebel“ – Wie der Green Deal der EU das Marketing beflügelt” im Printmagazin der absatzwirtschaft, das Sie hier abonnieren können.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.