Klein aber geil – Warum Craft Brands die Zukunft sein könnten

Läuft man dieser Tage über Berliner (Floh-)Märkte, kommt es einem so vor, als müsste in jedem Neuköllner Hinterhof eine Seifen-, Marmeladen-, Spirituosen- oder Taschenmanufaktur stehen. Das kann man als Schrulle besserverdienender Hauptstädter abtun. Oder als Spielart eines größeren Trends hin zu kleinen, geilen Marken sehen.
Jan Pechmann

Die großen Brüder und Schwestern der Berliner Hipster-Marktschreier sind Craft Brands wie Aesop oder Coffee Circle. Sie schaffen es, für ihre Produkte teils absurde Preisaufschläge am Markt durchzusetzen. Coffee Circle etwa verkauft das Kilo Kaffee für 80 Prozent über dem Weltmarktpreis. Aesop verkauft Haarshampoo für 40 Euro pro Flasche. Überaus erfolgreich.

Das Geheimnis dieser Marken besteht zum großen Teil darin, dass die Menschen dahinter wirklich für das brennen, was sie mit Leidenschaft und Handwerkskunst produzieren. Sie haben einen echten Purpose mit Tiefenwirkung. Sie leben den Geist der kleinen Manufaktur mit klarer Vision und überragender Passion.

Tief statt breit

So entstehen sehr vitale Marken mit hoch-engagierter Fangemeinde – meistens weit über die eigentliche Kundschaft hinaus. Trotz zum Teil aberwitzigen Preis-Premiums erfreuen sich diese Marken häufig einer nicht zu befriedigenden Nachfrage. Craft Brands bewegen sich im Longtail, fernab der Aufmerksamkeit der Massen. Das ist essentieller Bestandteil ihres Erfolges. Was diese Marken so spannend macht, ist Kennerschaft: Das Dazugehören zum Inner-Circle derjenigen, die das Besondere schätzen und wissen, wo es zu finden ist.

Der heiße Scheiß interessiert Craft Brands nicht. Und gerade dadurch werden sie zum heißen Scheiß. Sie tun, worin sie gut sind und emanzipieren sich damit von Trends und Hypes. Sie machen einfach nicht mit beim immer gleichen ‚Kanon-Hamsterrad‘, in dem sich die Big Player abstrampeln. Ihr Wirkungskreis ist eher klein. Ihre Wirkungstiefe aber umso größer.

Kultur statt Kampagne

Marken wie Dollar Shave Club oder Deus Ex Machina machen vor, wie man als kleiner Player seine (Nischen-)Produkte und seine Geschichte exzellent in Szene setzt. Wie viele andere Craft Brands sind sie Meister darin, das Besondere zu transportieren, nach dem die Menschen sich sehnen. Sie verstehen sich eher als Kultur oder Lebensgefühl, denn als Marke.

Sie kommunizieren super professionell und tolle Hintergrund-Geschichten werden dank Nischen-Medien und Social Media so verbreitet, dass über Nacht vitale Marken entstehen. Und: Man nimmt ihnen ab, dass die Menschen lieben, was sie tun. Die Geschichten sind schon da – sie müssen sie einfach nur gut erzählen. In ihrer monströsen Glaubwürdigkeit liegt die Kraft.

Für alle, aber nicht für jeden

Den Erfolg der Craft Brands muss man im gesellschaftlichen Kontext auch als Hilferuf und Ausbruch aus dem gleichgeschalteten Massenkonsum begreifen. Sie sagen sich von der Triebfeder maximaler Skalierung los. Craft Brands machen genau das nicht, was McKinsey und Co. den Factory Brands all die Jahre gepredigt haben. Das macht sie so stark.

Sie sind Vorreiter einer gesellschaftlichen Bewegung hin zu einer sehr charmanten, konstruktiven Art, sich kritisch mit den Wucherungen der Moderne auseinanderzusetzen. So wird die Digitalisierung beispielsweise nicht geleugnet, sondern sehr souverän auf ihre Bedeutung reduziert. Werte des Handwerks – Qualität und Tradition – werden intuitiv als Bereicherung positioniert. Dabei geht es nicht um „früher war alles besser“, sondern um „morgen wird alles richtiger“.

Leider also kein einfach zu übernehmendes Rollenmodell. Aber ein schönes Vorbild. Oder?