KI in der Kreation: Wie weit kann die Automatisierung gehen?  

Big Data, Machine Learning und künstliche Intelligenz helfen nicht nur bei der Optimierung und Personalisierung digitaler Werbemittel. Sie liefern auch selbst Texte, Bilder und Videos.
KI-generierte Gesichter
Sehen aus wie Menschen, sind aber „Metahumans“ – animierte, fotorealistisch nachempfundene Menschen. KI in der Kreation macht’s möglich. (© www.thispersondoesnotexist)

Die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Umso besser, dass man in Zeiten von Personalisierung und Targeting unterschiedlichen Adressat*innen auch unterschiedliche Werbemotive zeigen kann. Aber wie entscheidet man, ob eine Zielgruppe lieber das lebhafte oder das ruhige Bild zu sehen bekommt, ob der Text sie besser subtil umschmeicheln oder autoritär zum Kauf auffordern soll?

Früher führte man dazu aufwendige Pretests durch oder horchte einfach auf das Bauchgefühl. Seit Mitte der Zehnerjahre kommt Big Data zu Hilfe: Im Verlauf einer digitalen Kampagne steuern Algorithmen die Motivauswahl je nach Erfolg. Was bei bestimmten Zielgruppen gut klickt, wird ihr häufiger gezeigt. Was nicht, fliegt raus aus dem Set der verfügbaren Werbemittel.

Dynamic Creative Optimization (DCO) oder Programmatic Creation nennt man das, und der ­Hype war anfangs ziemlich groß. Große Marken wie Volkswagen, Tchibo und Zalando experimentierten mit den neuen Möglichkeiten. Den Vogel schoss der britische Konzern Unilever ab, der in Brasilien für seine Deo-Marke Axe 100.000 Varianten des Werbefilms „Romeo Reboot“ produzierte. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt, die neue Flexibilität ist selbstverständlicher Bestandteil der Agenturarbeit. „Die Erwartungen haben sich mehrfach erfüllt, und DCO wird seit jeher auch in jedem Planungsprozess mitgedacht“, sagt etwa Philip Westhoff, Head of Technical Ad Operations bei der Mediaagentur Pilot in Hamburg. „Die Optimierung der Motivauswahl ,on the fly‘ im Sinne des multivariaten Testings ist ein wertvolles Werkzeug, um Nutzer*innen in der jeweiligen Mikrozielgruppe mit der für den jeweiligen Zeitpunkt richtigen Botschaft anzusprechen.“

Aber nicht in jeder Kampagne kommt die dynamische Optimierung zum Einsatz: „Natürlich gibt es auch Fallbeispiele, in denen die rahmengebenden Bedingungen den Einsatz von DCO erschwert haben und wo deren Vorteile nicht ausgespielt werden konnten“, so der Media-Manager. „Hier sind Kampagnenlaufzeit, Budget und Impressionsvolumen sowie die sinnvolle Differenzierbarkeit der Zielgruppe maßgebliche Faktoren.“ Natürlich muss sich der Aufwand, verschiedene Varianten eines Werbemittels zu produzieren, rechnen. „Auch funktionieren in manchen Situationen klare Botschaften ohne Dynamik schlicht besser“, ergänzt Westhoff, „um die Nutzer*innen im Funnel über die Ziellinie zu tragen. Banner mit statischen Inhalten haben also ebenfalls ihre Daseinsberechtigung.“

Automatische Auswahl der Anzeigen

Aber die Media­agenturen müssen sich nicht unbedingt selbst um alle DCO-Aspekte kümmern. Google und die großen Social-Media-Plattformen haben längst Automatismen eingeführt, die die Auswahl der am besten funktionierenden Anzeigenvarianten steuern – damit wollen sie sowohl die Performance steigern als auch die Einstiegshürden für Werbungtreibende senken, die nicht mit großen Mediaagenturen zusammenarbeiten. „Vor allem auf den Meta-Plattformen funktioniert das sehr gut“, sagt Markus Windisch, General Manager der Agentur Plan.Net Neo in München.

Zwar bildet sich bei den Media-Verantwortlichen mit der Zeit ein gutes Gefühl dafür heraus, was bei wem funktioniert und was nicht. Allerdings berichtet Windisch, dass ihn der Erfolg einzelner Werbemotive regelmäßig überrascht: „Dies gilt auch für Zielgruppen, die durch den Algorithmus optimiert werden können.“ Daher empfiehlt er, auch einmal offene Targetings zu testen, um so dem Algorithmus noch mehr Möglichkeiten der Optimierung zu bieten.

Bei der Erstellung und Optimierung von Motiven auf den sozialen Plattformen bieten auch Dienstleister ihre Hilfe an, die dort technisch integriert sind und die Performance von Millionen von Kampagnen auswerten dürfen. Auf Basis dieser Daten können sie nicht nur den Erfolg bestimmter Kreationen prognostizieren, sondern auch gleich selbst Ideen einbringen und umsetzen. Allein TikTok listet zurzeit 78 „Marketing-Partner“ im Bereich Creative auf. Dazu gehört unter anderem das amerikanische Unternehmen VidMob, das sich als „The World’s Leading Platform for Intelligent Creative“ positioniert und für Kunden wie L’Oréal, Johnson & Johnson und Anheuser-Busch arbeitet. VidMob bietet Tools an, die die Kreationen datengestützt und bei Bedarf mithilfe eines weltweiten Netzwerks von Kreativen optimieren. Der Einsatz solcher Werkzeuge will aber gut kalkuliert sein: „Die zusätzlichen Kosten werden meist nicht durch eine entsprechend höhere Performance gerechtfertigt“, sagt Plan.Net-Neo-Chef Windisch. „Daher verlassen wir uns lieber auf die eigene Erfahrung.“

Man erlebt regelmäßig Überraschungen, was den Erfolg einzelner Werbemotive angeht.

Markus Windisch von Plan.Net Neo

Aber womöglich ist die Optimierung von Werbung erst der Anfang – auch bei der ursprünglichen Kreation mischen künstliche Intelligenz und Machine Learning bereits mit. „Menschliche Kreativität verliert nicht an Bedeutung“, betont Christian Weigel, Managing Director der Berliner Werbe- und Digitalagentur Digitas Pixelpark. „KI kann uns aber die Skalierung und Fließbandarbeit bei Kommunikations-Assets abnehmen, also vor allem die Anpassung auf verschiedene Varianten, Formate oder Kanäle.“

Aber es ist noch mehr möglich. Um ganz am Anfang eine optische Inspiration zu bekommen, arbeitet Digitas Pixelpark unter anderem mit den Software-Lösungen DALL-E oder Nvidias GauGAN. Gibt man ein paar inhaltliche Stichwörter ein, schlagen sie innerhalb von Sekunden inspirierende Bilder in vielen Varianten vor – da kann schnell eine wegweisende Idee dabei sein. Manko natürlich: Die Software schöpft aus dem Bildervorrat des Internets, die entsprechenden Rechte liegen nicht vor.

Der KI-Boom hat für eine Welle vor allem amerikanischer Start-ups gesorgt, die Unterstützung bei der Kreation versprechen. Sprachspezialisten wie Persado, Copy.ai, Jasper, Pencil oder Phrasee liefern fertige Texte und optimieren sie auf bestimmte Zielgruppen. Video-Versteher wie Lumen3 und Designs.ai produzieren Bewegtbild-Content nach Vorstellung der Kund*innen. Und Produktionsstudios wie Rosebud.ai und Synthesia stellen Avatare und lebensecht wirkende Models zur Verfügung, die haargenau dem entsprechen, was die Kreativen sich vorstellen.

„Der nächste Schritt können die sogenannten ,Meta­humans‘ sein – animierte, fotorealistisch nachempfundene Menschen, die in Chats oder auch in Content Assets, wie Videos, auftreten und als Virtual Consultants in den Dialog mit Nutzer*innen gehen können“, glaubt Weigel. „Auch KI-gestützte virtuelle Influencer sind eine interessante Option.“

KI in der Kreation kann viel Geld sparen

Gut möglich, dass die fortschreitende Digitalisierung dafür sorgt, dass die Akzeptanz rein virtueller Kreationen zunimmt. Junge Zielgruppen, die sich längst an animier­te Filme gewöhnt haben, NFTs kaufen und sich auf das Meta­verse freuen, dürften nicht mehr auf realistische Darstellungen auf Anzeigenmotiven und in Werbespots bestehen. Für die Kreativagenturen und insbesondere die Filmproduktionen kann sich damit ein tiefer Wandel andeuten. Man muss nicht mehr auf andere Kontinente fliegen, um dort aufwendig authentische Szenen einzufangen, was Kosten sparen würde. Aber freut man sich als Kreative*r wirklich darüber? Macht man sich nicht auf Dauer überflüssig, wenn man KI und automatisierte Lösungen pusht? „Wenn wir das als Agentur nicht tun, werden wir irgendwann von der technologischen Entwicklung überrollt“, erklärt Weigel von Digitas Pixelpark. Er hat auch keine Bedenken, dass die Kern­aufgaben der Kreation auf absehbare Zeit von Maschinen übernommen werden. So sei zum Beispiel Humor für die KI immer noch eine sehr schwierige Aufgabe. „Aber vielleicht ist alles nur eine Frage der Zeit“, so der Agenturmanager. „In der Regel werden die Fantasien der Science-Fiction-Romane rund 30 Jahre später Realität.“

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.