Keine Cookies und kein Plan? 

Alle reden von First-Party-Daten. Doch wie bekommt man sie und wie können sie für das digitale Marketing aktiviert werden? Und welche Rolle spielen dabei eigentlich Data Clean-Rooms? Ein Aufklärungsversuch. 
Eigenen Datenquellen werden immer wertvoller für das digitale Marketing. (© iStockphoto)

Überall im World Wide Web konnten Werbetreibende bisher mit Hilfe von Third-Party-Cookies Daten über das Verhalten von Onlinenutzer*innen sammeln. Passend zu den jeweiligen Profilen spielten die Advertiser anschließend Werbung aus. Doch damit ist bald Schluss. Das Third-Party-Cookie wird verschwinden. Spätestens Ende kommenden Jahres ist alles vorbei; dann wird auch der Google Chrome Browser die Datenkekse von Drittanbietern nicht mehr akzeptieren.  

Ein langes Kapitel des digitalen Marketings geht damit zu Ende. Doch gleichzeitig dürfte dies die Geburtsstunde einer neuen Ära sein: Es könnte nun das digitale Zeitalter der First-Party-Daten anbrechen. Dabei handelt es sich um jene Daten, die Websitebetreiber*innen auf ihren eigenen Seiten sammeln. Sie dürfen weiterhin völlig datenschutzkonform für das Online-Targeting genutzt werden. Ebenso können First-Party-Daten auch zur Optimierung der eigenen Content-Empfehlung nützliche Signale liefern. Entsprechend gefragt sind sie. Alle wollen sie haben, jeder möchte First-Party-Daten einsetzen. Doch woher nehmen? Auf Bäumen wachsen sie jedenfalls nicht. 

Aus vorhandenen Datensätzen lernen 

Wenn nur noch die eigenen Daten hinzugezogen werden können, dürfte es für Marken und insbesondere für Onlinehändler*innen künftig schwerer werden, neue Kund*innen anzusprechen. Wichtig ist darum eine solide First-Party-Data-Strategie. Das Kernelement einer solchen Strategie ist klar: Ziel muss es sein, selbst so viele Informationen wie möglich von seinen Websitebesucher*innen zu sammeln. „Zunächst sollte eine Bestandsaufnahme gemacht werden, welche Informationen bereits vorhanden sind und welche Daten erhoben werden“, rät Jens Depenau, Expert Lead Cookieless bei GroupM. Zum Beispiel wissen Onlineshopbetreiber*innen schon einiges über ihre Kunden: Wer kauft was in welchem Rhythmus, wie hoch sind die Warenkörbe, wie ist die Wiederkäuferrate, wie loyal sind Kunden? „Das sollte man als Lern-Datensatz ansehen, den es zu analysieren gilt“, sagt Depenau. Darüber hinaus können aus Sicht des Experten auch klassische Webbefragungen sinnvoll sein, um zusätzliche Informationen von den Kund*innen und Websitebesucher*innen zu erhalten. 

Die zweite Datenquelle für First-Party-Daten ist der Datenstrom, der von den Endgeräten der Nutzer*innen produziert wird, wenn diese eine Website ansteuern. Wo hält sich die Zielgruppe auf? Welche Endgeräte werden genutzt, zu welchen Uhrzeiten ist man besonders aktiv und vieles mehr. Solche Informationen können ausgelesen, ausgewertet und für Werbekampagnen verwertet werden. „Wer mehr technische Signalen erfasst, lernt mehr über seine Nutzer*innen und kann diese Informationen für künftige Targetings einsetzen“, erläutert Depenau. Und dieses Targeting kann dadurch auch genauer werden – zum Beispiel indem sich herausstellt, dass ein Produkt in einer bestimmten Preiskategorie bevorzugt von Nutzer*innen mit einer bestimmten Smartphone-Marke gekauft wird, die gleichzeitig auf der Website noch am Thema X oder Y interessiert sind. 

Data Clean Rooms als Datenquelle nutzen 

Neben den bekannten Kund*inneninformationen und den technischen Signalen gibt es noch eine weitere Datenquelle, die bisher sehr gehypt ist, aber für diesen Zweck noch vergleichsweise selten eingesetzt wird: Die sogenannten Data Clean Rooms. Dabei handelt es sich um geschützte Umgebungen, die von einem Dritten – in der Regel ein Technologieanbieter – bereitgestellt werden, und in denen Unternehmen ihre Daten datenschutzkonform miteinander abgleichen können. 

Ursprünglich werden diese Plattformen genutzt, um Daten zwischen Publisher und Advertiser abzugleichen, um Nutzer*innen zielgerichteter mit Werbung ansprechen zu können. „Auch im Rahmen einer First-Party-Strategie haben sie ihre Berechtigung“, sagt Experte Depenau. Ein Onlinehändler könnte in einer solchen neutralen Umgebung beispielsweise seine Daten mit einem Lieferanten oder einem Unternehmen abgleichen, mit dem er bereits partnerschaftlich zusammenarbeitet. Gematcht werden die Datensätze stets auf Basis eines gemeinsamen Identifikators.  

Auch mit einem Unternehmen aus einer ähnlich gelagerten Branche kann ein Abgleich sinnvoll sein – zum Beispiel der Datenabgleich zwischen einem Onlineshop für Naturprodukte und einem Händler für nachhaltige Kleidung. „Beide Parteien können auf diese Weise mehr über ihre Nutzer*innen erfahren“, so Depenau. Und je besser man seine Zielgruppe kenne, desto besser und relevanter könne man sie ansprechen. Ein weiterer positiver Effekt: Je mehr Merkmale bekannt sind, desto vielfältigere sogenannte Lookalikes können modelliert werden, also Profile, deren Merkmale mit den eigenen Nutzern übereinstimmen. Das steigert die Reichweite und minimiert die Streuverlauste. Es gilt als eine vielversprechende Möglichkeit, auch künftig Neukunden mit Online-Werbemaßnahmen anzusprechen. 

First-Party-Strategien in der Praxis 

Viele Publisher und Vermarkter sind derzeit bemüht, ihre Datenschätze zu heben und entwickeln ihre First-Party-Data-Strategien. Bei der Ad Alliance greift man zum Beispiel auch bei Soziodemographie kaum noch auf externe Daten zurück. Zunehmend kann der Vermarkter präzise Alter und Geschlecht aus seiner eigenen Data Management Plattform bedienen. Dabei spielt dem Unternehmen die Diversität seines Portfolios in die Hände. Basierend auf Zielgruppendefinitionen modelliert die Ad Alliance auf mehreren Milliarden Gerätekontakten pro Monat sogenannte „smart groups“. Man erstellt also individuelle Zielgruppen mit den gewünschten Merkmalen oder rechnet Zielgruppen hoch, indem man Lookalikes bildet. 

Axel Springer All Media (ASAM) setzt ebenfalls stark auf First-Party-Daten. Das Unternehmen hat Ende 2021 die Arbeiten an seinem ASAM Data Stack abgeschlossen. Der Vermarkter ist mittlerweile in der Lage, mehr als 70 Millionen Profile über alle Kanäle und Browserarten durch First-Party-Daten zu aktivieren. ASAM kann nach eigenen Angaben nun alle gängigen Targeting-Arten auf Basis von First-Party-Daten anbieten und schneidert passgenau Lösungen für seine strategischen Partner. Der ASAM Data Stack ist Kern dieser Datenstrategie. Das Konzept dahinter: Zum einen macht das Unternehmen seine Angebote über alle Kanäle und auf Basis von First-Party-Daten nutzbar. Beteiligt sind daran alle Mediengattungen und Themen wie TV, DOOH, aber auch die Marktforschung. Zum anderen können die ASAM-Partner zusammen mit Axel Springer einen Data Clean Room nutzen, um Daten-Matchings in einer sicheren Umgebung abzuwickeln. Ein drittes Element dieser Strategie sind langfristige Datenpartnerschaften.  

In Summe sieht man sich auf diese Weise als strategischer Partner für Unternehmen bestens aufgestellt, die auch ohne Third-Party-Cookies datengetrieben werben wollen. Eines zeigt die gesamte aktuelle Entwicklung deutlich: die eigenen Datenquellen werden wertvoller. Sie optimal zu nutzen, wird eines der Schlüsselelemente für ein zukunftsfähiges Digitalmarketing sein. 

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.